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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Bei Magnum geht′s zur letzten Schicht
 
Das Ende des Stahlwerks war der Anfang von Magnum
Zwischenüberschrift:
Bitterer Abschied: Die Aufträge sind abgearbeitet, die Beschäftigten gehen in die Transfergesellschaft
 
Von Anfang an stand die Existenz des Bearbeitungszentrums im Schinkel mehrfach auf der Kippe
Artikel:
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Originaltext:
Mit Heavy Metal kennen sie sich aus. Werkstücke, die mehr als 70 Tonnen wiegen, haben sie noch in diesen Wochen bearbeitet. Bei der IAG Magnum im Schinkel läuft die letzte Schicht. Bitter für die Kollegen, die seit Jahrzehnten zum Betrieb gehören. Am Freitag nehmen sie Abschied.

Osnabrück. Die Mahlschüsseln in Halle 4 könnte ein Riese für seinen Brotteig geordert haben. Oder eine Großbäckerei, die eine halbe Stadt versorgt. Nein, klärt Klaus Wendland auf, die sind für eine Zementfabrik bestimmt. Macht aber keinen Unterschied in der Größe. Nach Asien, Amerika und Europa sind die mächtigen Werkstücke oft gegangen, die bei der IAG Magnum aus einem Stück gefertigt wurden. Leitschaufeln für Kraftwerksturbinen aus hochlegiertem Spezialstahl, Bauteile für riesige Pressen, Castor-Behälter und andere Atommüll-Container.

Portalfräse für Millionen

Der letzte Großauftrag war eine Führungsplatte für eine Spindelpresse, ein Edelstahlkoloss so groß wie ein Altglascontainer, aber mit Fertigungstoleranzen, wie man sie aus der Feinmechanik kennt. Die Presse soll die größte der Welt werden und Turbinenschaufeln herstellen. Auch die Ringe für die Spindelpresse wurden bei der IAG Magnum geschmiedet. Bis zu 120 Tonnen große Werkstücke kann die große Portalfräse bearbeiten, die noch 2008 angeschafft wurde. Die hat über sechs Millionen Euro gekostet″, berichtet der Betriebsratsvorsitzende Klaus Wendland. Und er ist sicher, dass sie diese Summe noch längst nicht wieder eingespielt hat. Anfang 2017 wird die Demontage beginnen.

Bei der IAG Magnum konnten mit solchen Maschinen auch die ganz großen Teile bearbeitet werden, für die es weltweit nur wenige Hersteller gibt. Es haben in den letzten Monaten noch Kunden angerufen und gesagt, ihr dürft nicht dichtmachen!″, erzählt Andrea Flaspöhler, die als Sachbearbeiterin im Einkauf tätig war.

Nach 35 Jahren im Betrieb sieht sie einer ungewissen Zukunft entgegen. Dabei hat die 53-Jährige noch im Ohr, was ihr früher mal geraten wurde: Da hieß es immer: Geh zu Klöckner das ist ein Job fürs Leben! Erleben musste sie den Niedergang des Stahlwerks und den Wechsel der Konzerne, bis am Ende nur noch das Bearbeitungszentrum von Magnum übrig blieb. Und auch das schrumpfte im Laufe der Jahre weiter zusammen.

Weihnachtsfest versaut

Wir sind jetzt noch 35 Leute″, sagt Klaus Wendland und bleibt an einer Drehbank stehen, an der sich nichts mehr dreht. Im April, als der Stahlverarbeiter das Insolvenz-Schutzschirmverfahren beantragte, waren 131 Mitarbeiter bei Magnum beschäftigt. Der Betriebsratsvorsitzende bringt es auf den Punkt: Das Weihnachtsfest ist für die meisten versaut.″

Sechs Männer in ihren roten Overalls machen gerade Frühstückspause. Die Stimmung ist gedrückt. Einer von ihnen hat mit 51 eine neue Anstellung in der Automotive-Branche gefunden, ein anderer sogar mit 58 in einer Maschinenbaufabrik. Aber die beiden sind die Ausnahmen, den anderen bleibt wie der großen Mehrheit der Beschäftigten nur der Weg in die Transfergesellschaft. Neun Monate mit ungewissem Ausgang. Beneidet werden da die Kollegen, die den gleitenden Übergang in den Ruhestand geschafft haben. Man schläft schlecht″, erzählt ein Schlosser, der schon Jahrzehnte im Betrieb, aber von der Rente noch weit entfernt ist.

Die meisten sind über 50

Der Altersdurchschnitt bei IAG Magnum liegt jenseits der 50. Die meisten haben hier gelernt″, betont Klaus Wendland. Wobei sich das hier″ auf eine Zeit bezieht, als der Betrieb noch zu Klöckner, zu den Schmiedewerken Krupp Klöckner (SKK) oder zu den Vereinigten Schmiedewerken (VSG) gehörte. Zuletzt hatte Magnum sieben Auszubildende. Wendland war ihr Ausbilder. Er ist froh, dass seine Schützlinge von der Georgsmarienhütte übernommen werden. Er selbst hofft, dass er in einem anderen Unternehmen eine neue Stelle findet. Aber mit 61 ist die Aussicht ziemlich trübe.

Warum ist es mit der IAG Magnum bergab gegangen? Die Männer von der letzten Schicht sind sich einig, dass falsches Management ihr Werk in den Ruin getrieben hat. Großaufträge der Atomindustrie habe die Geschäftsleitung im Blick gehabt und dabei das Tagesgeschäft vernachlässigt, also die Fertigung von Spindeln, Turboladerwellen oder Komponenten für den Schiffsbau.

Aufs falsche Pferd gesetzt

Die haben aufs falsche Pferd gesetzt″, sagt Hartmut Rohlf aus der Fertigungssteuerung. Der 62-Jährige hat wenig Hoffnung, dass ihm noch ein erfülltes Arbeitsleben nach der Transfergesellschaft vergönnt ist. 46 Jahre und neun Monate hat er bei der IAG Magnum und den Vorgängerbetrieben gearbeitet. Davon jetzt Abschied nehmen zu müssen fällt ihm schwer. Bitter kommt es über seine Lippen: Dass einer kommt und bedankt sich für die langjährige Arbeit, das gibt es hier nicht!

Ein Video und weitere Fotos zur letzten Schicht bei der IAG Magnum finden Sie im Internet auf noz.de

Osnabrück. Die Entstehung der IAG Magnum im Jahr 1994 ist unmittelbar mit dem Niedergang des Osnabrücker Stahlwerks verbunden. Ein Blick ins Redaktionsarchiv.

Mai 1988: Letzter Abstich in Osnabrück. Nach Teilstilllegungen im Klöckner-Stahlwerk am Güterbahnhof gehen die Elektro-Lichtbogenöfen für immer aus. Von 1100 Mitarbeitern steht die Hälfte vor der Entlassung. Im selben Jahr verschmelzen die 1971 durch Fusion entstandenen Schmiedewerke Krupp Klöckner (SKK) mit dem Weiterverarbeitungsbereich der Thyssen Henrichshütte zu den Vereinigten Schmiedewerken (VSG). Der Standort Osnabrück wird zum Bearbeitungszentrum zurechtgestutzt.

April 1989: Europas einstmals größte Schmiedepresse wird in Osnabrück abgeschaltet. Die acht Meter lange und 1100 Tonnen schwere Anlage von 1954 galt als Herzstück der stillgelegten VSG-Warmbearbeitung.

März 1990: Wer nach der Amputation des Stahlwerks an ein Überleben mit mehr als 500 Mitarbeitern geglaubt hat, sieht sich getäuscht. Die VSG-Geschäftsleitung will die Zahl der Stellen auf unter 400 drücken.

Mai 1990: Alle Hoffnungen im VSG-Bearbeitungszentrum Osnabrück liegen in der Spartenbildung. Ab Juli kann es als eigenständiges Unternehmen innerhalb des Firmenverbundes selbst Aufträge einholen und kalkulieren.

Juli 1990: Die große Schmiedepresse wird demontiert und für eine Million Mark nach Indien verkauft.

Januar 1991: Der letzte Schornstein auf dem Klöckner-Gelände wird gesprengt. Die Vereinigten Schmiedewerke schreiben in Osnabrück schwarze Zahlen. Die Auftragslage im Bearbeitungszentrum sei gut, heißt es.

Dezember 1991: Eine Tunnelfräsmaschine für Fünfmeterlöcher verlässt Osnabrück Richtung Südafrika. Die VSG-Geschäftsführung hofft auf Folgeaufträge.

Juni 1992: Der VSG-Firmenverbund mit seinen fünf Standorten Osnabrück, Bochum, Hagen, Essen und Hattingen ist in akuter Gefahr. Binnen vier Jahren soll das Schmiedeunternehmen 400 Millionen DM Miese gemacht haben.

August 1992: Dunkle Wolken über dem VSG-Standort Osnabrück. Dürftige Auftragslage, kein eigenes Produkt, weiterer Personalabbau auf 350 bis Jahresende.

Dezember 1992: Die Klöckner AG stellt Vergleichsantrag für die Betriebe in Bremen, Duisburg und Georgsmarienhütte. Das Osnabrücker Werk ist wegen eines Forderungsverzichts aber nicht direkt betroffen.

Februar 1993: Jürgen Großmann, Vorstandsvorsitzender der Klöckner Edelstahl GmbH in GMHütte, kündigt an, als Manager auszusteigen und das Stahlwerk zu kaufen. Der Plan findet breite Unterstützung.

April 1993: Der Kaufvertrag ist notariell beglaubigt, das Stahlwerk heißt nun Georgsmarienhütte GmbH.

Januar 1994: Das Osnabrücker VSG-Werk wird verselbstständigt und heißt nun VSG-Stahl- und Metallfertigungszentrum GmbH.

April 1994: Das Bearbeitungszentrum der Vereinigten Schmiedewerke wird verkauft. Zum 1. Mai übernimmt der Osnabrücker Unternehmer Jost-W. Gehrhardt den Betrieb mit 241 Mitarbeitern.

Dezember 1994: Als Nachfolge-Firma der VSG erhält die Magnum Metallbearbeitung GmbH eine Landesbürgschaft von 14, 5 Millionen DM zur Absicherung des Kaufs.

Januar 1995: Die Vereinigten Schmiedewerke melden beim Amtsgericht Bochum Konkurs an. Der Stahlkonzern ist zahlungsunfähig geworden, weil ihn die Aufwendungen für 1650 Vorruheständler (davon 420 in Osnabrück) erheblich belasten. Erst nach zähen Verhandlungen erklären sich später die Konzernmütter Klöckner, Thyssen und Krupp bereit, 80 Prozent der Versorgungsleistungen zu übernehmen.

März 1998: Die Georgsmarienhütte GmbH übernimmt zum 1. April die Firma Magnum. Der Großmann-Konzern verspricht eine bessere Grundauslastung des bislang von Fremdaufträgen abhängigen Osnabrücker Werks sowie den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen.

November 1998: Die 220 Mitarbeiter von Magnum erhalten erstmals seit langer Zeit wieder einen Teil ihres Weihnachtsgeldes.

November 1999: Interne Finanz- und Strukturprobleme zwingen Magnum zur Kurskorrektur. 30 von noch 206 Stellen müssen abgebaut werden.

Bildtexte:
Fertig für den Transport nach China: Bauteile für die größte Spindelpresse der Welt gehören zu den letzten Werkstücken, die bei der IAG Magnum gefertigt wurden.

Nicht die richtige Stimmung, um Weihnachten zu feiern.

Nur noch ein paar Restarbeiten sind zu erledigen. Am Freitag nehmen die Kollegen Abschied von ihrem Betrieb.

Schwerer Koloss: 74 Tonnen wiegt diese Mahlschüssel, die für ein Zementwerk in China bestimmt ist

Schon in den 90er-Jahren auf der Kippe: Wärmebehandlung bei Magnum.

Fotos:
Jörn Martens, M. Hehmann
Autor:
Rainer Lahmann-Lammert, sst


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