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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Warum bleiben in Osnabrück die Vögel aus?
 
Wo bleiben Rotkehlchen und Co.?
Zwischenüberschrift:
In Osnabrück werden die Singvögel vermisst – Ornithologen schlagen Alarm
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. In diesem Winter ist es nicht zu übersehen: In Osnabrück bleiben die Singvögel aus. Gartenbesitzer wundern sich, dass ihre Meisenknödel nicht angeknabbert werden. Ornithologen registrieren schon seit Jahren einen gravierenden Rückgang der Populationen. Dieses Jahr schlägt aber alle negativen Rekorde. Naturschützer glauben, dass die Intensivlandwirtschaft mit ihren Insektiziden den Vögeln die Nahrungsgrundlage entzieht. Vor allem die rückläufigen Bruterfolge auch bei den Singvögeln werden darauf zurückgeführt. Unabhängig von dieser langfristigen Tendenz sieht der emeritierte Ornithologie-Professor Peter Berthold aus Radolfzell eine andere Ursache für das Ausbleiben der Wintervögel: Die Wälder seien in diesem Jahr überall voller Bucheckern, da könnten sich die Vögel frei bedienen.

In diesem Winter fällt es auf: Rotkehlchen, Dompfaff und Buchfink lassen sich immer weniger blicken. Liegt es an den Pflanzenschutzmitteln aus der Landwirtschaft? Oder schlicht daran, dass die Wälder in diesem Jahr voller Bucheckern liegen?

Osnabrück. Reinald Lücke wundert sich, dass seine Meisenknödel nicht mehr angeknabbert werden. In anderen Jahren waren die nach wenigen Tagen weg″, sagt der Naturfreund aus Gretesch. Auch beim Naturschutzverband Nabu häufen sich Anrufe von Gartenbesitzern, die sich das Ausbleiben der gefiederten Besucher nicht erklären können. Meist landen diese Klagen bei Gerhard Kooiker. Der Diplombiologe ist besorgt, weil es nach dem drohenden Aussterben der Wiesenvögel wie Kiebitz, Feldlerche oder Rebhuhn jetzt auch die ganz gewöhnlichen Artgenossen in der Stadt zu treffen scheint.

Weniger Eier im Nest

Aufgeschreckt haben ihn seine eigenen Aufzeichnungen. Der Ornithologe kontrolliert regelmäßig acht Meisenkästen, die er in seinem Umfeld in der Wüste angebracht hat. Seit 2011 ist die Zahl der Eier pro Nest von durchschnittlich 10, 3 auf 6, 6 zurückgegangen. Bei der Anzahl der flüggen Jungvögel gab es eine noch schlechtere Quote. Sie sank im selben Zeitraum um die Hälfte.

Dass sogar ein Allerweltsvogel wie die Meise auf einem so absteigenden Ast sitzt, findet Kooiker in höchstem Maße alarmierend. Von einem drastischen Rückgang wird auch an den Langelager Teichen bei Bohmte berichtet. Dort fangen Naturschützer die Singvögel im Herbst regelmäßig mit Netzen ein, um sie zu beringen. In diesem Jahr wurden 50 Prozent weniger als 2015 gezählt, und dieser Trend hält schon seit Jahren an.

Dazu kommt eine Beobachtung, die vor allem Autofahrer machen. Sie müssen ihre Windschutzscheiben und Scheinwerfer kaum noch von den sterblichen Überresten der Insekten reinigen, denen die Straße zum Verhängnis geworden ist. Die Luft ist nicht mehr der Raum, in dem sich Käfer, Fliegen und Schmetterlinge tummeln.

Immer weniger Insekten

Naturbeobachter wie Gerhard Kooiker registrieren das Ausbleiben ganzer Arten. In diesem Jahr lässt sich der Frostspanner kaum noch blicken, dessen Gespinste sonst großflächig die Eichen an der Landwehr verschleiert haben. Und im Spätsommer gab es kaum noch Wespen. Viele Menschen mögen darüber froh sein, aber für den Ornithologen stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Abwesenheit der vermeintlichen Plagegeister auf das komplizierte Uhrwerk der Natur haben wird. Denn die proteinhaltigen Kerbtiere sind für andere Lebewesen eine unverzichtbare Nahrung.

Kooiker glaubt, dass der aktuelle Vogelschwund eine direkte Folge dieser Entwicklung ist. Und er ist ziemlich sicher, dass in der Landwirtschaft eingesetzte Pflanzenschutzmittel die Kettenreaktion ausgelöst haben. Im Blick hat er dabei die Neonicotoide, das sind hochwirksame, synthetisch hergestellte Substanzen, die das Nervensystem von Insekten lahmlegen. Wohl auch das von Bienen und Hummeln, wie neuere Studien zeigen. In Frankreich soll 2018 ein Verbot dieser Wirkstoffe in Kraft treten, Deutschland müsse nachziehen, meint Kooiker.

Verwaiste Futterhäuser

So weit will Peter Berthold nicht gehen. Der emeritierte Professor vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell sieht zumindest keinen direkten Zusammenhang zu den verwaisten Futterhäuschen im Winter. Die Wälder sind in diesem Jahr voll von Bucheckern″, sagt der Vogelforscher, der schon häufiger mit unkonventionellen Thesen die Fachwelt geschockt hat. Von Flensburg bis zum Bodensee biete sich den Vögeln ein so reichhaltiges Nahrungsangebot, dass sie sich wie im Schlaraffenland fühlen könnten.

Abgesehen von dieser Momentaufnahme blickt auch Berthold auf eine besorgniserregende Entwicklung. Seit 1800 hätten sich die Vogelbestände in Deutschland um 80 Prozent reduziert. Die Insektenfauna sei dagegen in nur 30 Jahren um 80 Prozent dezimiert worden. Auf die Frage nach den Ursachen nennt Berthold zunächst die massenhafte Verwendung von Insektiziden in der Landwirtschaft. Weitere Faktoren seien aber auch die Lichtverschmutzung in den Siedlungsräumen und der Straßenverkehr.

Der Mangel an Insekten ist nach Ansicht des Ornithologie-Professors die Hauptursache für das rückläufige Brutergebnis, wie es auch in Osnabrück beobachtet wurde. Während bei den Kohlmeisen immerhin noch Jungvögel schlüpften, komme es bei anderen Arten zum Totalausfall. Das gelte etwa für die Gartenrotschwänze, sagt Berthold. Die kommen aus Afrika zurück und legen gar keine Eier mehr.″ So verschwinde eine Art nach der anderen.

Die Stadt als Lebensraum nicht nur für Menschen: Lesen Sie mehr im Internet auf www.noz.de

Bildtext:
Ohne Insekten kein Bruterfolg: Der Gartenrotschwanz ist vom Aussterben bedroht, aber auch Allerweltsvögel wie die Kohlmeise sind auf dem Rückzug.

Foto:
imago

Kommentar:

Alles hängt mit allem zusammen

Pflaumenkuchen ohne Wespenbeilage, Windschutzscheiben ohne Insektenkadaver: Da mag manchen eine klammheimliche Freude überkommen. Aber nur für einen kurzen Moment. Denn es zeichnet sich ab, dass der massive Rückgang der Arten jedem Einzelnen von uns großen Schaden zufügen wird. Die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur.

Der Raubbau an unserem Planeten lässt jeden Tag 130 Arten aussterben. Für immer. Weil Lebensräume verschwinden und Flächen versiegelt werden. Weil es immer noch Wettbewerbsvorteile verspricht, Boden, Wasser und Luft mit Schadstoffen zu vergiften. Und eben auch, weil die Landwirtschaft großflächig jedes Tier und jedes Pflänzchen vertreibt, das einer kurzfristigen Ertragssteigerung im Weg zu stehen scheint.

Auf den ersten Blick ist schwer vermittelbar, dass der Schutz von Käfern, Libellen und Schmetterlingen auch für den Menschen eine lebenswichtige Angelegenheit ist. In der Natur hängt alles mit allem zusammen, jeder Eingriff in das Räderwerk der Biodiversität zieht weitere nach sich.

Wenn die Vögel ausbleiben, wissen wir noch nicht, welche Folgen das hat. Wenn die Bienen und andere Bestäuber fehlen, könnte die menschliche Existenz auf dem Spiel stehen. Wer will da noch weitermachen wie bisher? Wir sägen am Ast, auf dem wir selber sitzen.
Autor:
rll


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