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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
„Er war unser, ein Osnabrücker Kind!″
Zwischenüberschrift:
Die Trauerfeier für den Kunstflieger Gustav Tweer vor 100 Jahren mobilisierte die Massen
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Der Osnabrücker Flugpionier Gustav Tweer, Deutschlands erster Sturz- und Schleifenflieger″, wurde nur 23 Jahre alt. Er kam vor 100 Jahren bei einem Flugunfall ums Leben. Der Trauerzug für den populären Kunstflieger am 5. November 1916 geriet zu einem Großevent.

Osnabrück. Zehntausende Osnabrücker hatten seine Kunststücke auf Flugtagen bewundert. Nun säumten fast ebenso viele die Johannisstraße, um den eindrucksvollen Trauerzug vorbeidefilieren zu sehen und dem großen Sohn der Stadt eine letzte Ehre zu erweisen. Der Zug startete vor Tweers Wohnhaus Johannisstraße 35 neben dem Neustädter Rathaus und führte zum Johannisfriedhof.

Das Osnabrücker Tageblatt″ beschrieb ihn so: Zahlreiche, mit Flor behangene Fahnen grüßten von den Häusern herab auf den Trauerzug. An der Spitze des Zuges schritt die Militärkapelle, Trauerweisen spielend, dann folgte unter Gewehr eine größere Abteilung Infanterie, der sich sämtliche Osnabrücker Kriegervereine, Schüler des Gymnasiums Carolinum und mehrere Turn- und Sportvereine sowie der Katholische Kaufmännische Verein Osning, dem Tweer ein treues Mitglied geblieben war, anschlossen. Kurz vor dem Sarg schritten Vertreter der katholischen Geistlichkeit. Hier wurden auch der blumengeschmückte Propeller des Flugzeuges, mit dem Tweer seine letzte Fahrt unternahm, die Kriegsauszeichnungen des Verstorbenen und prächtige, mit verschiedenfarbigen Schleifen geschmückte Kränze getragen, während neben dem Sarge Mannschaften der Flieger-Ersatz-Abteilung schritten.″

Im langen Trauergefolge war auch die Stadtspitze mit Oberbürgermeister Rißmüller vertreten. Am Himmel sah man einen Doppeldecker, der, von einem Fliegerkameraden Tweers gesteuert, am Morgen in Hannover-Vahrenwalde gestartet war. Das Flugzeug schleppte einen Trauerflor hinter sich her. Beim Anflug auf den Johanniskirchhof ließ es einen letzten Gruß in Gestalt eines großen Kreuzes herniedersinken.

Das Tageblatt″ hielt fest: Noch steht das sympathische Bild des in seinem äußeren Wesen so bescheidenen und doch so wagemutigen jungen Helden noch lebhaft vor den Augen all derer, die ihn gekannt haben. Nun hat ein plötzlicher Tod dem Wirken und Streben des hoffnungsvollen Jünglings ein schnelles Ziel gesetzt. Sein Heldenname aber wird mit der Entwicklung unseres Flugwesens, mit den herrlichen, opfermutigen Taten unserer Flieger im Weltenkriege für immer verbunden sein. Und: Er war unser, er war ein Osnabrücker Kind!

Der wagemutige junge Held″ wurde von seiner Mutter, der Putzmacherin Karoline Tweer, zunächst zur Lehre in das ihrer Branche verwandte Modegeschäft Finkenstädt und Breusing (heute Holthaus) gesteckt. Das Kaufmännische und gar die Damenmode waren jedoch nicht sein Lebenstraum. Er war von der Begeisterung für die noch ganz am Anfang stehenden Fliegerei angesteckt worden und hatte wohl jedes Buch zum Thema verschlungen. Als er 18 war, reichte es ihm nicht mehr, kleine Flugmodelle zu basteln. Gustav Tweer besuchte die Fliegerschule in Münster-Loddenheide und lernte die Fliegerei von der Pike auf. Von dort zog es ihn nach Bork bei Magdeburg, wo der Flugpionier Hans Grade seine ersten selbst konstruierten Flugapparate ausprobierte.

Grade war ein guter Lehrmeister, auch was die Kunst des Fliegens anbetraf. Am 2. April 1912 hatte Tweer den Pilotenschein mit der laufenden Nummer 180 in der Tasche er war der 180. geprüfte Flieger im Deutschen Reich. Er kehrte in seine Heimat zurück, den zerlegten Grade-Eindecker″ seines Lehrmeisters und Mentors im Gepäck.

Ein Jahr zuvor war das Manövergelände Netter Heide zu Osnabrücks erstem Flugfeld″ bestimmt worden. Die Stadtoberen standen aber der Fliegerei und speziell Tweers Flugkünsten, die sie in der Nähe von Zirkusakrobatik sahen, eher skeptisch gegenüber. Tweer war darauf angewiesen, mit Schauflügen″ auf Flugtagen Geld für den Lebensunterhalt, für die Abzahlung des Fluggeräts und allfällige Reparaturen zu verdienen. Weil die Offiziellen in Osnabrück ihm allerhand bürokratische Schwierigkeiten in den Weg legten, wich Tweer in das Umland aus.

Das Schaufliegen in Melle brachte 10 000 Menschen auf die Beine. Am Pfingstsonntag startete Tweer auf der Wiese des Gastwirts Heuer am Lüstringer Bahnhof, am nächsten Tag in Bünde. Weitere Stationen waren Münster, Verden und Lengerich. Tweer mobilisierte jedes Mal Menschenmassen im fünfstelligen Bereich. Das Überwinden der Schwerkraft, das vogelgleiche Abheben in die Lüfte muss auf unsere Vorfahren ähnlich sensationell gewirkt haben wie 60 Jahre danach auf spätere Generationen die ersten Mondlandungen.

Gustav Tweer wurde in der Osnabrücker Bevölkerung von einer solchen Welle der Begeisterung getragen, dass auch die Stadtväter sich ihrem Flieger″ nicht mehr verschließen konnten. Die Netter Heide wurde sein Heimatflughafen. Mit Plakat-Ankündigungen Tweer fliegt in…″ veranstaltete er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs zahlreiche Schauflüge in ganz Deutschland. Der junge Mann hatte bei seinem französischen Vorbild Adolphe Pégoud Kunstflugfiguren einstudiert und wurde fortan als Deutschlands erster Sturz- und Schleifenflieger″ angekündigt. Vom Flugtag auf der Netter Heide am 14. Juni 1914 berichteten sogar Kino-Operateure″, sprich die Wochenschau, in bewegten Bildern. Nach der Landung wurde Tweer unter Jubelstürmen auf den Schultern seiner Anhänger vom Platz getragen.

Im Krieg meldete sich Tweer zur Fliegertruppe. Nach Einsätzen an der Ostfront holte man ihn zur Hannoverschen Waggonfabrik, die Militärmaschinen baute und erfahrene Piloten zum Einfliegen der Geräte benötigte. Beim Testflug mit einem neuen Typ stürzte Tweer am 1. November 1916 durch Bruch einer Tragfläche über der Vahrenwalder Heide ab. Der erst 23 Jahre alte Pilot war sofort tot. Tweers Grab auf dem Osnabrücker Johannisfriedhof wird heute bei keiner öffentlichen Führung ausgelassen.

So war es früher:

Berichte aus der Osnabrücker Geschichte auf noz.de/ historisch-os

Serie

Zeitreise

Foto: Colourbox.de

Bildtext:

Im Nachkriegsneubau Johannisstraße 35 ist heute eine Apotheke ansässig. Eine etwas kümmerliche Gedenktafel aus Plexiglas weist auf den früheren Bewohner hin. Foto: J. Dierks

Der Trauerzug startete vor dem Haus Johannisstraße 35, in dem Tweers Mutter Karoline ein Putzgeschäft betrieb. Am linken Bildrand ist das Neustädter Rathaus zu erkennen. Foto: Niedersächsisches Landesarchiv Standort Osnabrück, Dep. 3b III, Nr. 589, Fotos a-c

Gustav Tweer in Fliegermontur vor seinem Fluggerät″, einem Grade-Eindecker. Foto: Archive Frauenheim und Riecken

Der Trauerzug startete vor dem Haus Johannisstraße 35, in dem Tweers Mutter Karoline ein Putzgeschäft betrieb. Am linken Bildrand ist das Neustädter Rathaus zu erkennen. Foto: Niedersächsisches Landesarchiv Standort Osnabrück, Dep. 3b III, Nr. 589, Fotos a-c
Autor:
Joachim Dierks


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