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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Wagenburg will sich nicht vertreiben lassen
Zwischenüberschrift:
Stadt plant Neubaugebiet am Finkenhügel – Alternative Wohnszene möchte nicht nach Atter oder in die Gartlage umziehen
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Es gibt Menschen, die lieber im Bauwagen leben als in gemauerten Wänden. Zehn von ihnen haben sich in der Wagenburg am Finkenhügel eingerichtet. Jetzt fürchten sie, aus ihrer kleinen Wildnis vertrieben zu werden. Die Stadt plant dort eine Wohnsiedlung.
Als die Westumgehung noch vierspurig werden sollte, sicherte sich die Stadt hektarweise Flächen für die Trasse, die sie jetzt nicht mehr braucht. Dazu gehört auch ein ehemaliges Gartengelände zwischen dem Klinikumsparkplatz und der Straße Am Hirtenhaus. Zwischen Buchen, Brombeeren und Brennnesseln haben sich zehn Nonkonformisten mit ihrem Wohnprojekt ihr eigenes Idyll geschaffen, mit Lagerfeuer, Komposttoilette und Regenwasserdusche, aber ohne anarchistische Attitüde.
Zwölf Bauwagen mit zum Teil abenteuerlichen Aufbauten verstecken sich unter den Baumkronen. Für das bunte Völkchen, Männer und Frauen zwischen Mitte 20 und Mitte 40, spielt sich das Leben überwiegend im Freien ab. Im überdachten Gemeinschaftsbereich treffen sie sich zum Reden und Rauchen, Essen und Trinken. Entscheidungen werden nach dem Konsensprinzip getroffen, niemand soll sich übergangen fühlen.
Die Wagenburg firmiert als eingetragener Verein Wabos. Und das Camp ist selbstverständlich an die städtische Müllabfuhr angeschlossen. Ihren Strom für Laptop, Musik und Handy erzeugen die Einwohner der Wildwuchs-Parzelle mit Solarzellen. Weil sie keinen Stadtwerke-Anschluss haben, schaffen sie ihr Trinkwasser mit Kanistern heran.
Wenn sie von ihrem alternativen Alltag erzählen, setzen sich die Wabos-Mitglieder nicht als Aussteiger in Szene, sondern als berufstätige Stadtbewohner, die sich lediglich für eine etwas andere Wohnform entschieden haben. Wir sind der letzte Freiraum″, sagt Sarah, die, wie sie sagt, in einer Manufaktur für biologische Präparate″ arbeitet.
Seit 1997 besteht die Kolonie mit der postalischen Adresse Am Hirtenhaus 5, seit 2001 gibt es einen Pachtvertrag mit der Stadt Osnabrück über ein 7000 qm großes Areal. Davon würden aber nur 4000 genutzt, heißt es in der Bauwagenkolonie. Der Pachtvertrag wurde zuletzt immer nur um ein Jahr verlängert, erzählt die angehende Diplom-Biologin Henrike, die auch als selbstständige Übersetzerin arbeitet.
Für sie und ihre Wildnis-Genossen war das ein Alarmsignal, dass da etwas im Busch ist. Und dann kamen Vorschläge für eine Umsiedlung. Aber die Leute von der Wagenburg finden die von der Stadt genannten Standorte in Atter und in der Gartlage nicht akzeptabel. Zu klein, zu abgelegen, zu schlecht erreichbar, lautet die Begründung. Und von einer längerfristigen Perspektive könne keine Rede sein.
Inzwischen hat der Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt mit der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 616 Am Hirtenhaus″ seine Absicht erklärt, aus dem Areal Bauland zu machen. Einzelheiten lässt der Entwurf aus dem Fachbereich Städtebau noch nicht erkennen. Wo in Zukunft Wohnhäuser oder Parkplätze entstehen, entscheidet sich im weiteren Verfahren.
Noch ist offen, ob bestimmte Lebensräume für Pflanzen, Tiere und vielleicht auch Wagenburgbewohner erhalten bleiben. Was am Ende umgesetzt wird, entscheidet die Mehrheit im Rat. In der bevorstehenden Bürgerbeteiligung hat auch das Wabos-Kollektiv Gelegenheit, seine Vorstellungen einzubringen. Ich bin grundsätzlich gegen Bebauung″, sagt Sarah, es gebe doch schon genug versiegelte Flächen in Osnabrück, und Freiräume dürften nicht einfach plattgemacht werden, nur weil sie verfügbar sind.
Christian, ihr Sitznachbar in der Gemeinschaftsecke, verweist auf die Leerstände in Osnabrück und pocht auf einen sozialen Aspekt: Die Stadt will mehr Wohnraum schaffen, aber sie übersieht, dass hier schon Leute wohnen.″
Die Leute von der Wagenburg gehen in die Offensive und empfehlen ihr Wohnmodell zur Nachahmung. Das sei preiswert, ökologisch und platzsparend, vermerkt Henrike, der Garten sei das schönste Wohnzimmer. So ein Bauwagen-Camp biete sich an als idealer Übergang von der Wohnbebauung zur Naherholung. Eigentlich erstaunlich, dass die Stadt noch nicht auf die Idee gekommen sei.

Bildtext:

So lebt es sich im Bauwagen am Finkenhügel.

Der Garten als Wohnzimmer: Die Stadt will Wohnhäuser auf dem Gelände der Wagenburg am Finkenhügel bauen, die Bewohner wollen sich nicht vertreiben lassen. Foto: Jörn Martens

Kommentar:

Sand im Getriebe

Das Ziel ist anspruchsvoll: 3000 neue Wohnungen sollen bis 2020 entstehen. Alle Fraktionen im Rat sind dafür. Da werden es die Leute von der Wagenburg schwer haben, ihr kleines Paradies am Finkenhügel zu verteidigen. Aber wenn Osnabrück nur auf Wachstum von Einwohnern und Wohnraum fixiert ist, wird einiges auf der Strecke bleiben. Eine lebenswerte Stadt muss auch Subkulturen Raum bieten.

Es ist bemerkenswert, dass sich die Argumente der Bauwagensiedler nicht so sehr von denen wohlsituierter Bürger unterscheiden, die gegen eine neue Straße, einen Gewerbepark oder ein geplantes Wohngebiet protestieren. Aber für sie geht es ums Ganze, nicht bloß um einen unverbaubaren Blick.

Aus Sicht der Planer ist die Wildwuchs-Community Sand im Getriebe der Stadtentwicklung und ihr Lebensraum erstklassiges Bauland. Das Areal rundet eine bestehende Siedlung ab und lässt sich leicht erschließen. Im Vergleich zu den Flächenreserven in der freien Landschaft dürfte der ökologische Schaden dabei geringer ausfallen. Es besteht auch kein Zweifel, dass die Grundstücke auf rege Nachfrage stoßen werden.

Wenn die Stadt auf die Kräfte des Marktes setzt und die Parzellen gegen Höchstgebot abgibt, werden auf dem Wagenburg-Gelände am Ende vielleicht weniger Menschen leben als jetzt. Das passt nicht zum Anspruch der Stadt, bezahlbaren Wohnraum für viele zu schaffen. Am Hirtenhaus wird sich zeigen, wie ernst es ihr damit ist.
Autor:
rll


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