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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Flüchtling rennt in sein neues Leben
Zwischenüberschrift:
Integration im Schnelldurchgang: Wie der Sudanese Abdelmajeed Abdallah ein Top-Läufer wurde
Artikel:
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Originaltext:
Abdelmajeed Abdallah ist aus dem Sudan geflohen. In Osnabrück kommt er in Kontakt mit der Laufgruppe Jede Oma zählt″ der Hilfsorganisation Help-Age und gewinnt anspruchsvolle Laufwettbewerbe. Die Geschichte einer spektakulären Flucht und überraschender Wendungen beim Ankommen.
Osnabrück. Lachend schüttelt Abdelmajeed Abdallah den Kopf. Nein, im Sudan wäre es ihm nicht in den Sinn gekommen, einfach mal durch die Gegend zu rennen. Viel Arbeit, kein Sport″, sagt der 24-Jährige, der in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum als Karosseriebauer tätig war und seit eineinhalb Jahren in der Flüchtlingsunterkunft in der Landwehrstraße in Osnabrück lebt. Dort hatten die Läufer der Gruppe Jede Oma zählt″ vor einem Jahr gefragt, ob jemand Lust habe mitzulaufen. Einige Flüchtlinge schlossen sich an.
Mit den Läufern verbindet Abdallah längst Freundschaft. Zunächst ohne ganz viele Worte, weil sich Deutsch nun mal langsamer lernt, als ein Halbmarathon gewonnen ist. Seine Laufzeiten gehen ihm zwar schon in flüssigem Deutsch über die Lippen, aber um seine Geschichte zu erfahren, lassen wir uns von Mohamed Attaallah helfen. Er kommt aus Ägypten, schreibt an der Hochschule Osnabrück seine Masterarbeit im Studiengang Management für Nonprofit-Organisationen und spricht neben Arabisch ausgezeichnet Deutsch.
Etwas Überzeugung braucht es erst, damit Abdallah uns seine Fluchtgeschichte erzählt. Ist das wichtig für den Beitrag?″, fragt er. Wen wundert′s, dass ein 24-Jähriger lieber von Erfolgen erzählen möchte als vom zurückgelassenen Leben ohne Perspektive zugleich aber alles tut, um die Erwartungen an ihn in seiner neuen Heimat zu erfüllen. Er erzählt alles″, übersetzt Attaallah nach kurzer Klärung.
Ein arbeitsreiches, aber gutes Leben hätten er und seine Familie vor dem Krieg gehabt, berichtet Abdallah. Seines habe sich schlagartig verändert, als er in Khartoum mit anderen jungen Leuten gegen die staatliche Enteignung von Landwirten demonstriert habe. Verhaftung, drei Monate Gefängnis, danach Zwangsarbeit so, wie er uns seine Geschichte erzählt, ist sie exemplarisch für das Schicksal vieler Flüchtlinge aus dem diktatorisch geführten Land.
Abdallah und weitere zu Zwangsarbeit verurteilte junge Leute beschließen, das Land zu verlassen, und flüchten nach Kairo. Von dort schlagen sie sich in die Hafenstadt Alexandria durch.
Eine Woche dauert es, bis ein Schlepper für die Fahrt übers Mittelmeer nach Italien gefunden ist. 3500 Dollar habe jeder bezahlen müssen, erzählt Abdallah. Das Schiff: nicht hochseetüchtig, mit 315 Personen hoffnungslos überfüllt, ein Spielball der Wellen. Am siebten Tag der Überfahrt sei so viel Wasser ins Boot eingedrungen, dass an Bord Panik ausgebrochen sei.
Dann entdeckt der italienische Küstenschutz das Flüchtlingsboot, das zu kentern droht. Ein Container-Schiff nimmt die Flüchtlinge auf. Alle werden gerettet und aufs italienische Festland gebracht.
Ob er Angst bei der Überfahrt hatte? Abdallah verneint. Das muss er allerdings auch bei der Frage tun, ob er schwimmen kann. Sein Lächeln lässt den Betrachter im Ungewissen, ob er sich womöglich ein bisschen über die besorgte Frage amüsiert. Wer sein Land unter solchen Umständen verlässt, setzt alles auf eine Karte und hat vieles nicht mehr selbst in der Hand. Das gilt auch für das Ziel der Flucht. Abdallahs Reise führt über Bordeaux, Paris, Köln und Hamburg nach Osnabrück.
Genau genommen war Abdallahs Wunsch, Deutsch zu lernen, der Einstieg in den Laufsport. In seiner Unterkunft nimmt er an einem Sprachkurs teil, den die Osnabrückerin Mechthild Landwehr ehrenamtlich gibt. Von ihrem Mann Andreas, Mitglied der Help-Age-Laufgruppe, erfährt Abdallah von der Einladung.
Durch die derzeitige Fluchtbewegung sah sich Help-Age verpflichtet, neben der humanitären Hilfe im Ausland zusätzlich Flüchtlinge in Deutschland willkommen zu heißen″, sagt Help-Age-Geschäftsführer Lutz Hethey. Mehrere Flüchtlinge schlossen sich den Oma-Läufern″ an. Für Abdallah beginnt in diesem Moment die Geschichte eines steilen sportlichen Aufstiegs mehr noch: die Geschichte seiner Integration über den Sport.
Prompt entstand die Idee, beim bevorstehenden Laufwettbewerb in Oldenburg mit der bunt gemischten Gruppe teilzunehmen. Daten erheben, Größen ermitteln, die Neu-Läufer einkleiden für eine eingeschworene Gemeinschaft wie die Oma-Läufer kein Problem. In Oldenburg machten sie große Augen, als sie erlebten, wie Abdallah den Kurs durch die Stadt mangels Orts- und Sprachkenntnisse vier- statt dreimal lief und trotzdem mit einer sehr guten Zeit ins Ziel kam. Er hatte schlicht die Abzweigung zum Ziel verpasst, weil er vorne lief.
Bald folgen gute Platzierungen und Siege in Serie bei Langstrecken-Läufen. Andreas Landwehr trainiert in dieser Zeit schon mit der sportlichen Neuentdeckung aus dem Sudan. Längst ist der Grundschullehrer für Abdallah und andere Flüchtlinge aus der Landwehrkaserne ein geschätzter Ansprechpartner für das Leben in der neuen Umgebung geworden.
Lachend erinnert sich Landwehr daran, wie er und Abdallah mit Händen und Füßen Strategie und Taktik für lange Läufe besprachen.
Für besonderes Aufsehen sorgt Abdallah, als er beim sogenannten Piesberger Gipfelsturm als Erster durchs Ziel läuft. Nicht wenige Sportler träumen schon länger davon und trainieren hart dafür, den 180 Meter hohen Berg an der Osnabrücker Stadtgrenze in solch guter Zeit zu stürmen.
Bei einem Halbmarathon im Juni trauten Abdallahs Lauffreunde ihren Augen nicht: Der 24-Jährige läuft als Dritter über die Ziellinie. Und das, obwohl Ramadan ist und er sich als Muslim wie gewohnt daran hält, zwischen drei Uhr nachts und 22 Uhr weder zu essen noch zu trinken. Keine Ausnahmen für Sportler? Abdallah lacht. Nein, nicht vorgesehen.
Spätestens jetzt sind die Oma-Läufer davon überzeugt, dass noch ganz viel läuferisches Potenzial in ihm steckt, und fragen ihn, ob er mit ihnen Ende September in Berlin am Marathon teilnehmen möchte. Und ob er will. Mit seinem sudanesischen Lauffreund Abdelrahman Hamid wird er in Berlin für die Afrika-Hilfe von Help-Age den Marathon laufen.
Nach üblichem Help-Age-Verfahren ist auch für den Marathon der Flüchtlinge eine Spendenbox auf der Internetseite des Vereins geschaltet, über die sie um Spenden für die Afrika-Projekte bitten.
Mittlerweile wurde Abdallah in der Trainingsgruppe von Michael Karsch herzlich aufgenommen. Der Osnabrücker Sportmediziner und Abteilungsleiter Leichtathletik beim Osnabrücker Turnerbund trainiert die schnellsten Läufer Osnabrücks auf der Mittel- und Langstrecke. Seine Entwicklung ist enorm″, sagt er. Für Karsch ist Abdallahs Geschichte ein Beweis dafür, wie Menschen sich über den Sport in einer fremden Welt gut etablieren können″. Ein bisschen Organisation sei erforderlich, damit Abdelmajeed auch an Trainings an Wochenenden im Landkreis teilnehmen könne. Aber das kriegen wir schon hin″, ist Karsch zuversichtlich.
Integration zu schaffen das ist auch das Motto der Oma-Läufer, die ihren sudanesischen Freund seit einem Jahr begleiten. Eine bunt gemischte Gruppe, die viel zu geben hat und gerne gibt. Die Mitglieder arbeiten als Lehrer, Krankenschwester, in der IT-Branche, als Sozialpädagogen, als Kaufleute, in Versicherungen, bei der Polizei, als Juristen, manche sind noch Schüler oder Studenten, andere schon Rentner. Was sie alle eint: der Wunsch nach einem liebenswerten Zusammenleben in dieser Welt, und der Wunsch, selbst etwas dazu beizutragen.
Nun träumt Abdallah davon, Marathonchampion zu werden″, aber darin erschöpfen sich die Hoffnungen des jungen Mannes nicht und auch nicht die Ambitionen seiner Unterstützer. Deutsch zu lernen und bald zu arbeiten sind seine großen Ziele.
Abdallah wartet darauf, dass es nach dem bereits geführten Gespräch bei der Ausländerbehörde in seinem Asylverfahren weitergeht. Und darauf, einen Sprachkurs zu bekommen, den er mit einem Zertifikat abschließen kann. Ob er nun eine Ausbildung macht oder jemand auf seine vorhandenen Fähigkeiten setzt Abdallah wäre offen für alle Wege, in Lohn und Brot zu kommen.
Er schaut in die Runde seiner Lauffreunde, die ihn auch bei der Suche nach Arbeit unterstützen wollen, sobald es eine Entscheidung in seinem Asylverfahren gibt und er auch arbeiten darf. Ohne Mechthild, Lutz und Andreas und viele andere wäre ich nicht hier″, sagt er. Ich bin sehr dankbar.″
Wie genau sein neues Leben aussehen wird, weiß Abdelmajeed Abdallah noch nicht, aber er hat eine feste Überzeugung: Wenn man keine Probleme macht, bekommt man auch keine.″ In seiner Heimat, hat er erleben müssen, ist das ganz anders.

Bildtext:

Verlassenes Flüchtlingsboot: 315 Menschen sind damit sieben Tage bis zu ihrer Rettung gefahren. Fotos: Abdelmajeed Abdallah

Nach der Entdeckung durch die italienische Küstenwache nahm dieses Frachtschiff die Flüchtlinge an Bord.

Laufend integriert: Die Laufgruppe " jede Oma zählt" hat Abdelmajeed Abdallah (vorne) als Ausnahmetalent entdeckt.

Foto: Hermann Pentermann

Kommentar:

Sudan Land mit Krieg und Armut

Der Sudan ist ein Staat in Afrika. Vor fünf Jahren hat sich der südliche Teil des Landes abgespalten. Heute gibt es also zwei Staaten:
Sudan und Südsudan. Der Sudan ist etwa siebenmal so groß wie Deutschland. In der Hauptstadt Khartoum leben rund acht Millionen Menschen, also mehr als doppelt so viele wie in der deutschen Hauptstadt Berlin. Im Sudan wird Arabisch gesprochen. Umar Hasan Ahmad al-Bashir regiert den Sudan seit 1989. Er kam durch einen Militärputsch an die Macht, das heißt: Er ist nicht vom Volk gewählt worden, sondern hat sich die Macht einfach genommen. Später gewann er die Wahlen zum Präsidenten. Das lag jedoch daran, dass alle anderen Parteien aus Protest gegen die Diktatur in dem Land nicht an der Wahl teilgenommen haben. In einer Diktatur hat ein Einzelner die ganze Macht. Die Menschen haben keine Grundrechte. Sie können grundlos verhaftet werden. 1998 haben die Vereinigten Staaten von Amerika den Sudan angegriffen, weil die Amerikaner vermuteten, dass das Land an Terroranschlägen beteiligt war und dass im Land Giftgas für Waffen produziert wird. Bei den Bombardierungen starben sehr viele Menschen. Seit über 50 Jahren gibt es Krieg in dem Land, und die Menschen leiden unter großer Armut. juk

Help-Age

Der Verein Help-Age Deutschland wurde im Jahr 2005 in Osnabrück gegründet und ist Mitglied des weltweit aktiven Netzwerkes Help-Age International. Help-Age setzt sich für alte Menschen in Entwicklungsländern ein. Die Osnabrücker Laufgruppe Jede Oma zählt″ steht Großmüttern im südlichen Afrika zur Seite, die ihre Kinder durch Aids und Migration verloren haben und sich um die verwaisten Enkel kümmern.
Autor:
Julia Kuhlmann


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