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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Mit Nähmaschinen am Puls der Zeit
Zwischenüberschrift:
Firma Karl Tiemann in der Johannisstraße sorgt seit 105 Jahren für die saubere Naht
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Der inhabergeführte Einzelhandel hat einen schweren Stand. Viele Traditionsgeschäfte mussten aufgeben. Aber nicht alle. Nähmaschinen Tiemann zum Beispiel hat sowohl die Kriegszerstörung überstanden als auch dem Trend zur Vermietung an Filialisten die Stirn geboten.
Osnabrück. Den Beweis für die Überlebenskraft nach der niederschmetternden Kriegszerstörung liefert das Foto vom Richtfest aus dem Jahr 1951. In der besonders schwer vom Bombenkrieg getroffenen Johannisstraße hat Karl-Heinz Tiemann als Erster in der Nachbarschaft wieder in der alten Höhe von dreieinhalb Geschossen aufgebaut. Die neu aufgemauerten Backsteine im ersten Obergeschoss zeigen das uneinheitliche Bild des mühsam von Mörtelresten befreiten Altmaterials. Hier wurde recycelt nicht etwa aus Gründen des Umweltschutzes, sondern weil es nichts anderes gab.
Die Front zur Johannisstraße musste komplett erneuert werden, da der Fluchtlinienausschuss der Stadt eine zurückgesetzte Bauflucht festgesetzt hatte. Der zunehmende Verkehr sollte mehr Straßenraum bekommen. Um rund fünf Meter mussten die Häuser zurücktreten. Noch markieren die Bordsteine der Gehsteige die alte Straßenkante. Die für die spätere Straßenverbreiterung gewonnene Grundstückstiefe zeigt sich etwa an der Erstreckung des Fahrradständers vor dem Tapeten-Farben-Lacke-Geschäft von Elfriede Krämer, wie auch weiter links an einem ähnlichen Ständer vor dem Strumpfgeschäft Seidel. Noch war eine Parkmöglichkeit für Fahrräder wichtiger als eine solche für Autos.
Nähmaschinen hatten früher eine größere Bedeutung als heutzutage. Als die Brüder Karl und Ludwig Tiemann 1911 die Firma in der Großen Straße 70 gründeten, war fertig konfektionierte Kleidung noch nicht der Standardfall. Es gab praktisch keinen Haushalt, in dem nicht selbst genäht wurde, und sei es nur zum He rauslassen″ der Hosenbeine, wenn die Kinder wieder ein Stück gewachsen waren.
So ganz rund lief es wohl nicht zwischen den beiden Brüdern. 1928 kam es zur Trennung. Ludwig übernahm das Nähmaschinengeschäft von E. Sommer in der Krahnstraße 22/ Ecke Hakenstraße, während Karl in die Johannisstraße ging. Ludwigs Geschäft existiert nicht mehr, während in der Johannisstraße bis auf den heutigen Tag Nähmaschinen, Stick- und Strickapparate, Bügelstationen und Ähnliches verkauft und repariert werden.
Gründer Karl starb 1938, dessen Sohn Karl-Heinz führte die Firma durch Kriegs- und Wiederaufbauzeit, und seit 1970 ist mit Rolf-Dieter die dritte Tiemann-Generation am Ruder. Er führt heute die Geschäfte gemeinsam mit Ehefrau Elisabeth und Tochter Britta.
Nach dem Krieg wurde genäht, um Geld zu sparen, heute ist es mehr ein kreatives Hobby″, berichtet der Nähmaschinen-Mechanikermeister Rolf-Dieter Tiemann über den Trend, der der Familie und drei angestellten Mechanikern ein Auskommen in der Nische bietet. Immer mehr junge Frauen würden Freude daran finden, Kleidung und Heimtextilien abseits des Mainstreams von eigener Hand zu gestalten. Den Kreativtrend bedienen die Tiemanns seit einigen Jahren auch durch Nähkurse und Workshops, die sie im ehemaligen Strumpfladen nebenan anbieten. Wer weiß, vielleicht wachsen uns bald auch neue Kunden aus dem Kreis der Flüchtlinge zu″, orakelt Tiemann. In den Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens sei das Schneidern schließlich weit verbreitet. Auf Vermittlung des Cafés Mandela habe er einer Irakerin kürzlich eine gebrauchte, aber generalüberholte Maschine für billiges Geld verkauft.
Auf dem Wiederaufbaubild von 1951 ist rechts die Filiale des Farbengeschäfts Krämer zu sehen. Elfriede Krämer hatte 1949 entschieden, neben dem Stammhaus in Lübbecke auch in Osnabrück vertreten sein zu wollen. Sie hatte das sichere Gespür, dass in der weitgehend zerstörten Großstadt noch auf viele Jahre ein großer Bedarf an Farben, Lacken, Tapeten und Bodenbelägen herrschen würde.
Erst war sie im notdürftig hergerichteten Erdgeschoss des Hauses Tiemann zur Miete. Dann ergab sich die Gelegenheit, das Trümmergrundstück Johannisstraße 98/ 99 gleich auf der anderen Seite der Einmündung der Goldstraße zu erwerben. Im ersten Schritt wurde das Erdgeschoss wieder aufgebaut, 1955 folgten die Obergeschosse.
Der Opel Olympia vor unserem Geschäft, der gehörte meiner Mutter″, weiß der heute 81-jährige Arnold Krämer zu erzählen, damit ist sie immer zwischen Lübbecke und Osnabrück hin- und hergependelt.″
Arnold Krämer hat vor wenigen Wochen den Vertrieb von Farben und Malerzubehör aufgegeben und das Haus verkauft. Seinen Stammkunden gab er mit auf den Weg: Ihr könnt jetzt zum Farbenhaus Kramer in der Stubenstraße gehen, mit denen sind wir sowieso häufig verwechselt worden.″

Bildtext:

Es geht wieder aufwärts: Richtfest des wiederaufgebauten Geschäftshauses Tiemann in der Johannisstraße 100 im Jahr 1951. Foto: Archiv Museum Industriekultur/ Georg Bosselmann

Gleiche Stelle, gleiche Branche: Nähmaschinen Tiemann in der Johannisstraße, Ecke Goldstraße. Foto: Joachim Dierks

Der Vorgängerbau mit dem markanten Eckturm war ein Blickfang in der Neustadt (Foto aus den 1930er-Jahren).

In der Ruine des alten Geschäftshauses an der Johannisstraße hatten sich 1949 wieder Ladengeschäfte notdürftig eingerichtet. Neben Karl Tiemann waren es das Farbengeschäft von Elfriede Krämer (Mitte) und Elektro Meinert (links). Fotos: Familienarchiv Tiemann
Autor:
Joachim Dierks


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