User Online: 3 | Timeout: 00:31Uhr ⟳ | Ihre Anmerkungen | NUSO-Archiv | Info | Auswahl | Ende | AAA  Mobil →
NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Datensätze des Ergebnis
Suche: Auswahl zeigen
Treffer:1
Sortierungen:
Anfang der Liste Ende der Liste
1. 
(Korrektur)Anmerkung zu einem Zeitungsartikel per email Dieses Objekt in Ihre Merkliste aufnehmen (Cookies erlauben!)
Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Exzellenz und Kronjuwelen, Dudelsack und Big Ben
Zwischenüberschrift:
Vor 50 Jahren sollte die Woche „Großbritannien in Osnabrück″ aus ehemaligen Feinden wieder Freunde machen
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Vor 43 Jahren entstand aus einem Partnerschaftstreffen mit Gästen aus Angers und Haarlem auf dem Marktplatz die Osnabrücker Maiwoche. Noch sieben Jahre davor feierte Osnabrück im Mai 1966 die Woche der Freundschaft: Großbritannien in Osnabrück″.

Osnabrück. Es war also auch schon so eine Art Maiwoche, allerdings ohne die Zutaten, wie wir sie heute kennen, also ohne Partymusik auf offenen Bühnen, ohne Bierbrunnen und ohne hundert oder mehr Ess- und Trinkbuden. Stattdessen waren es ein vielschichtiges Kulturprogramm, offizielle Kontakte und ein intensives gegenseitiges Werben der beiden Länder, die sich gerade erst in zwei Weltkriegen als Feinde gegenübergestanden hatten, um Anerkennung und neue Freundschaft. Man mag bedenken, dass das Ende des Zweiten Weltkriegs 1966 noch nicht so lange zurücklag wie aus heutiger Rückschau etwa die deutsche Wiedervereinigung.

Das grenzenlose Europa gab es noch nicht, und eine gemeinsame europäische Identität im globalen Wettbewerb mit anderen Weltregionen lag in noch viel weiterer Ferne als heute. Man bestaunte, manchmal auch belächelte die Eigenarten der anderen Nation, versprach aber gleichwohl, sich besser kennenlernen und verstehen zu wollen. Dabei hatte Osnabrück schon gewisse Erfahrungen mit Freundschaftswochen: In den Vorjahren hatte es eine niederländische, eine österreichische und eine französische Woche gegeben. Sie wurden als Erfolge gewertet der Reiseverkehr profitierte, Waren des Gastlandes rückten nachhaltig in die Sortimente des Osnabrücker Einzelhandels ein, sei es holländischer Käse oder französischer Wein, persönliche Freundschaften entstanden, und mit dem niederländischen Haarlem und dem französischen Angers wurden offizielle Partnerschaftsverträge geschlossen.

Mit Großbritannien lief es nicht ganz so glatt. Die Ursache dafür war nicht das Wembley-Tor. Das sollte erst acht Wochen später beim Endspiel der Fußball-WM fallen (oder nicht fallen) und für hitzige Diskussionen sorgen. Auch der Umstand, dass die Royal Air Force das alte Osnabrück zerbombt hatte, spielte wohl keine Rolle mehr. Dafür eher die kleinen Reibereien mit britischen Soldaten. Osnabrück war größter Garnisonsstandort der britischen Rheinarmee, jeder Zehnte, der in Osnabrück lebte, besaß einen britischen Pass. Bei anderer Gelegenheit sprach Oberbürgermeister Willi Kelch es offen an: Trotz nunmehr 20-jährigen Zusammenlebens mit den britischen Streitkräften könnten die Kontakte noch intensiver, die Begegnungen freundlicher sein.″ Es gebe insbesondere von deutscher Seite noch viele Möglichkeiten zu einem besseren Miteinander.

Offene Kaserne

Zur Woche der Freundschaft ließen sich die britischen Regimenter nun viel einfallen, um sich den Osnabrückern zu öffnen. Das sonst hermetisch abgeriegelte Gelände der Winkelhausenkaserne empfing mehrere Tausend Besucher. Neben Fahrzeug- und Waffenausstellungen feuerten Feldhaubitzen der Royal Artillery auf dem Sportplatz Salutsalven in die Luft. Kinder durften auf Panzern herumturnen, die Eltern sich in Schießbuden, bei Wurfspielen und an Glücksrädern amüsieren Hauptgewinn war ein Schwein („ Win a pig!″). In der Turnhalle präsentierten die Traditionsregimenter ihr teilweise in Jahrhunderten zusammengetragenes Regimentssilber.

An jedem Tag veranstalteten die Militärkapellen an verschiedenen Orten in der Stadt Platzkonzerte, bis sie sich zur großen Musikparade im Stadion Illoshöhe mit deutschen und kanadischen Musikkorps vereinigten. 600 Musiker plus eine Regiments-Ziege traten auf und rissen Zehntausende zu Beifallsstürmen hin, wie das Osnabrücker Tageblatt″ berichtete. Das wartete übrigens zweimal mit achtseitigen Sonderbeilagen auf, wobei einzelne Fotos sogar in Farbe gedruckt wurden damals eine kostspielige Sache und reserviert für außergewöhnliche Anlässe.

Seine Exzellenz kommt

Ranghöchster Gast war Seine Exzellenz, der britische Botschafter in Bonn, Sir Frank Roberts. Zusammen mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Georg Diederichs hatte er die Schirmherrschaft über die Britische Woche übernommen. Nebst Gattin reiste der Botschafter standesgemäß im Rolls-Royce an. Oberstadtdirektor Joachim Fischer fuhr ihm entgegen und nahm ihn an der Stadtgrenze Schölerberg/ Nahne in Empfang. Eine Polizeieskorte geleitete den Konvoi zum Rathaus, wo der obligatorische Eintrag ins Goldene Buch erfolgte.

Am nächsten Tag unternahm Seine Exzellenz einen Schaufensterbummel. Die Stadtspitze zeigte ihm stolz, wie einfallsreich die Osnabrücker Geschäftswelt in Dekoration und Sortiment auf das Gastland eingegangen war. In einem Feinkostladen etwa stachen dem Botschafter edelste schottische Whiskys ins Auge. Verwundert bemerkte er: Die sind hier ja viel billiger als in meiner Heimat! Erfreut hatte er auf dem Marktplatz schon eine Nachbildung der Eros-Figur vom Brunnen auf dem Piccadilly Circus registriert, nun sah er an der Waben-Fassade des Kaufhauses Horten Londons Wahrzeichen Big Ben″ fast in Originalhöhe als Pappkameraden.

Überall Bobbies″

In den Schaufenstern und an den Fassaden, so weit das Auge reichte: Union Jacks″, Bobbies″, Beefeaters″, Dudelsackpfeifer, Tower Bridges und Houses of Parliament. Manche Geschäfte begrüßten die Gäste auf Englisch: Come and see our wonderful collection of original Scottish pullovers specially imported for the British Week″, warb etwa das Strickwarengeschäft Pohlmann am Nikolaiort. Tapeten Meyer am Heger Tor zeigte eigens importierte Sanderson- und Crown-Tapeten, Dahms Sport+ Mode am Neumarkt hatte Tischtennisschläger von Dunlop im Angebot, Erdbrink an der Johannisstraße den neuartigen Klopfsauger des britischen Hoflieferanten Hoover.

Shakespeare und BEA

Das Astoria-Theater zeigte die ganze Woche Shakespeare-Verfilmungen. Vor dem Filmstart nahmen Schauspieler des Theaters am Domhof auf der Bühne Platz und rezitierten. So etwa Rolf Hartmann den Prolog zu Romeo und Julia″. Das Kaufhaus L+ T ließ Modelle aller modernen Verkehrsflugzeuge der BEA und des Luftkissenfahrzeugs Hovercraft″ bewundern.

Und was gab es sonst noch? Die Queen persönlich hatte eine Ausstellung der Kronjuwelen im Rathaus genehmigt, allerdings als Nachbildungen, wo sie nun mit dem Osnabrücker Ratsschatz inklusive Kaiserpokal um die Wette strahlten. Eine Gruppe Sportflieger des Tiger-Klubs aus Surrey bei London landete auf der Atterheide. Auf dem Campingplatz an der Nordstraße waren 450 Camper aus Großbritannien, Schweden, Belgien, den Niederlanden und aus deutschen Hansestädten zusammengekommen, um die Hanseaten-Rallye″ zu begehen.

Abends traten englische und deutsche Volkstanzgruppen auf, bevor es zum individuellen Tanzen in den Twistschuppen″ ging. An der Männerwallfahrt nach Rulle nahm der Erzbischof von Birmingham teil, er zelebrierte die Pontifikalmesse auf Deutsch. Der britische Botschafter pflanzte im Schlossgarten eine Eiche aus den Königlichen Gärten bei Schloss Windsor. Und im Haus der Jugend tagte das Jugendforum zum Thema Europa Kontinent ohne Hoffnung? Wer hätte noch vor Kurzem gedacht, dass dieses Motto durchaus auch im Jahr 2016 wieder auf einer Tagesordnung auftauchen könnte?

Modenschau

In der Gaststätte am Schlossgarten präsentierten die Solida-Bekleidungswerke eine internationale Modenschau. Sechs Top-Mannequins″ präsentierten die neuesten Schnitte, angesagt von Helga Kruck, der Modereporterin″ des WDR in Köln. Dazu spielte die Kapelle Sonny Boys″. Die Polizei war während der Freundschaftswoche international unterwegs: Drei englische Bobbies″ und zwei britische Militärpolizisten verstärkten zusammen mit Kollegen aus den Niederlanden, Frankreich und Österreich die deutschen Beamten auf Streife und bei der Verkehrsregelung.

Vom Covent Garden

Kultureller Höhepunkt war eine Gala-Vorstellung des Balletts des Königlichen Opernhauses Covent Garden. Die Weltklasse-Aufführung unter anderem des Ballettstücks Les Sylphides″ zur Musik von Chopin habe einen ganz außerordentlichen künstlerischen Glanz auf Osnabrück geworfen, wie ihn die Hasestadt wohl so schnell nicht wieder erleben werde, merkte das Tageblatt″ an.

Hochkultur boten weiterhin Ausstellungen wie etwa Die Welfen im Hochstift Osnabrück ein Beitrag zur Geschichte der Personalunion Hannover-Großbritannien″ im Kulturgeschichtlichen Museum. Dazu passte die Enthüllung des wiederhergestellten Sandsteinwappens an der Bischöflichen Kanzlei durch den britischen Botschafter. Das Tympanon über der Eingangstür zeigt das Wappen des Herzogs Friedrich von York, der 1764 zum Bischof von Osnabrück gewählt wurde. Das total verwitterte alte Wappen war von Bildhauer Fritz Szalinski erneuert worden.

Oberbürgermeister Kelch erinnerte an die sehr engen osnabrückisch-britischen Beziehungen des 18. Jahrhunderts, die bis 1866 angehalten hätten und erst in preußischer Zeit gelockert worden seien bis sie in den Weltkriegen dann völlig zerrissen seien. Osnabrück tut gut daran, die einstigen Verbindungen wieder lebendig werden zu lassen″, sagte er. Vielleicht werde die Freundschaftswoche dazu beitragen, so seine Hoffnung.

Bildergalerie auf www.noz.de
Bildtexte:
Very British″ präsentierte sich der Osnabrücker Einzelhandel in Sortiment und Dekoration. Plum Pudding und Olde English Marmelade″ mit grob geschnittenen Orangenstücken durften selbstverständlich nicht fehlen.

Mannigfache Begegnungen ermöglichte die Britische Woche den Osnabrückern: mit den (freilich nicht echten) Kronjuwelen, Panzern auf dem Gelände der Roberts Barracks, einem Modell des Luftkissenfahrzeugs Hovercraft″, einer schottischen Regimentskapelle und Anzugmode im englischen Schnitt.

Archivfotos:
Löckmann (2), Fricke (2), Harms, Fender
Autor:
Joachim Dierks


Anfang der Liste Ende der Liste