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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Der Calmeyer-Platz im Eisregen
Zwischenüberschrift:
Schon 1932 kreuzten sich hier die Wege von Calmeyer und seinem Verfolger Grotefend
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Der Rosenmontag 1987 ist für viele Menschen in der Region unvergesslich. Warme und kalte Luftmassen prallten am 2. März heftig aufeinander und bescherten Osnabrück einen Eisregen, wie ihn kaum einer je zuvor erlebt hatte. Unter dem Gewicht dicker Eispanzer barsten unzählige Bäume. Man konnte dem Naturschauspiel aber auch ästhetische Seiten abgewinnen. NOZ-Leser Holger Möllmann hielt diesen Blick aus dem Haus Roonstraße 6 fest, in dem er damals wohnte.

Im Vordergrund sehen wir Gewächshäuser des Blumenhauses Niemann, darüber jenseits der Lotter Straße Dienstgebäude des alten Straßenbahndepots. " Im ehemaligen Pförtnerhäuschen war ein Imbiss, den wir wegen der 1-a-Pommes sehr geschätzt haben", erinnert sich Möllmann. Der " Duschvorhang", eine kreuzhässliche Plastikplane als Wetterschutz für die Imbisskunden, habe dem Geschmack von Bratwurst, Schaschlik, Pommes & Co jedenfalls keinen Abbruch getan.

Schornstein und Betriebsgebäude im Hintergrund gehören zur Celluloid-Fabrik Hagedorn. Das gelb gestrichene Haus am rechten Bildrand beherbergte die Phoenix-Apotheke des Apothekers Dr. Karl Heinz Scholtz (heute Bäckerei Brinkhege) und der ebenfalls in Gelb gehaltene Bau in der Bildmitte die alte Depot-Schänke, die sich damals " Pink Piano" nannte und heute in Anlehnung an die hier einmündende Friedrichstraße das Restaurant " Friedrich" beherbergt.

Der Platz davor, das " Mündungsdelta" von Friedrich-, Blumenthal- und Roonstraße, trägt seit 1989 den Namen Hans-Calmeyer-Platz.

Was Holger Möllmann damals nicht wusste, und mit ihm wohl auch sonst kaum ein Osnabrücker, ist die Tatsache, dass der " Schindler der Niederlande", Rechtsanwalt Hans Calmeyer (1903–1972) unweit dieses Platzes in der Friedrichstraße 48 wohnte und sein gefährlichster Verfolger, der spätere SS-Untersturmführer Ulrich Grotefend (1907–1945), gleich um die Ecke in der Roonstraße 7.

" Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich Calmeyer und Grotefend auf dem heutigen Calmeyer-Platz häufiger über den Weg liefen, bevor sie zu ihren jeweiligen Dienstsitzen in Den Haag beziehungsweise Berlin abberufen wurden", sagt dazu der Calmeyer-Biograf Mathias Middelberg, der von einer bemerkenswerten Ironie der Geschichte spricht.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Middelberg hat sich in seinem Buch "‚ Wer bin ich, dass ich über Leben und Tod entscheide?′ – ‚ Rassereferent′ Hans Calmeyer in den Niederlanden 1941–1945" eingehend mit der Frage beschäftigt, ob Calmeyer " ein Schindler oder ein Schwindler" war ob also er durch manipulierte Abstammungsnachweise Tausende Juden in den besetzten Niederlanden tatsächlich vor der Deportation in die Vernichtungslager retten konnte oder ob er letztlich doch nur ein funktionierendes Rädchen im Getriebe der NS-Mordmaschinerie war. Middelbergs Resümee nach 219 Seiten: " Hans Calmeyer konnte mit seiner Strategie scheinbarer Anpassung, aber tatsächlicher Sabotage vielen Menschen das Leben retten."

Dicht auf den Fersen war ihm SS-Mann Grotefend. Im Rasse- und Siedlungs-Hauptamt der SS in Berlin hatte man nämlich Verdacht geschöpft, dass mit den zahlreichen von Calmeyer attestierten " Mischlingen", also " Halbjuden" und " Vierteljuden", etwas nicht stimmen könne. Berlin setzte eine Untersuchungskommission unter Grotefends Leitung ein, die nach Den Haag reisen und dort Calmeyers Fallentscheidungen nachprüfen sollte.

Grotefend war promovierter Historiker, ausgebildeter Archivar und Genealogie-Experte. " Bei seinen Vorkenntnissen hätte Grotefend sehr schnell durchschaut, was da für eine Täuschungsmaschinerie im Gange war", ist sich Middelberg sicher. Die Beschlagnahme der Akten im September 1944 stand unmittelbar bevor, als die Luftlandung der Alliierten bei Arnheim auf einmal den Frontverlauf gefährlich nahe an Den Haag heranschob und die SS andere Sorgen hatte. Sie musste nämlich ihren Dienstsitz Den Haag aufgeben und weiter in Richtung deutsche Grenze verlegen. Nur aufgrund des Kriegsverlaufs wurde Grotefends Mission abgebrochen. Calmeyers manipulierte Abstammungsentscheidungen blieben unentdeckt.

Bildtext:
Ein geschichtsträchtiger Platz im Eisregen am Rosenmontag 1987. Der heutige Hans-Calmeyer-Platz erinnert an den Osnabrücker Juristen, der in den bestetzten Niederlanden zwischen 1941 und 1944 zahlreiche Juden rettete.
Foto:
Holger Möllmann

Beim alten Depot ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Auch die Celluloid-Fabrik Hagedorn existiert nicht mehr. " Mittewest" heißt das hier entstandene Wohnquartier.
Foto:
Parton

Hans Calmeyer arbeitete in Osnabrück als Rechtsanwalt und war ein Nachbar seines späteren Widersachers Grotefend.
Foto:
NOZ-Archiv

Ulrich Grotefend. Das Foto entstammt dem Bundesarchiv Berlin und wurde entnommen aus Mathias Middelbergs Calmeyer-Chronik.
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