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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Wölfe fressen keine Großmütter
Zwischenüberschrift:
Er bereitet Isegrims Rückkehr vor: Der Osnabrücker Hendrik Spiess ist Wolfsbotschafter
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Isegrim kommt zurück. Nach 150 Jahren. Auch im Raum Osnabrück ist er vielleicht schon heimlich durch die Wälder gestrichen. Hendrik Spiess arbeitet daran, dass der Wolf freundlich empfangen wird. Der 55-jährige Künstler und Naturschützer ist ehrenamtlicher Wolfsbotschafter. Seine Botschaft lautet: " Rotkäppchen lügt!"

Für Hendrik Spiess ist es nur eine Frage der Zeit, dass bei uns die ersten Fährten von Canis lupus entdeckt werden. Von Osten kommend, hat sich das scheue Wesen aus der Wildnis viele seiner vor 150 Jahren verlassenen Lebensräume langsam zurückerobert. Dabei kommt ihm der Wildreichtum zugute, und von Menschen geschaffene Hindernisse wie Straßen und Industrieanlagen scheinen ihm nicht viel auszumachen.

Das Osnabrücker Land sei " Wolfserwartungsgebiet", sagt Willkommenshelfer Spiess verheißungsvoll. Im Raum Diepholz, nur gute 40 km von Osnabrück entfernt, gab es bereits etliche Sichtungen. Ein Exemplar soll es schon in den Krebsburger Wald bei Ostercappeln verschlagen haben. Eigentlich ganz natürlich, meint er, für den wilden Vierbeiner seien 60 Kilometer pro Nacht doch keine Entfernung.

Schon mit 16 hat er sich für den Naturschutz engagiert. Die Rückkehr des Wolfes ist für ihn ein jahrzehntealter Traum. Wenn der jetzt in Erfüllung geht, soll er nicht an Ängsten und Vorurteilen scheitern. Hendrik Spiess, im Hauptberuf Mediengestalter, ist einer von 500 Wolfsbotschaftern für den Naturschutzverband NABU geworden, weil er den Bedenkenträgern handfeste Informationen entgegensetzen will. Der 55-Jährige hat sich schulen lassen und Kontakte geknüpft zu Menschen, die ganz praktische Erfahrungen im Umgang mit dem grauen Heimkehrer einbringen. Zu ihnen gehört eine Schäferin, die anderen Tierhaltern erklärt, wie sie ihre Herden am besten schützen.

" Natürlich ist der Wolf nach wie vor ein Raubtier", vermerkt Hendrik Spiess, und Schafe in einer Herde seien für ihn die leichteste Beute. Zumal er locker über Zäune springen könne. Die sollten deshalb möglichst 1, 80 Meter hoch und mit Flatterband versehen sein. Auch ein Herdenschutzhund helfe, einen Wolfsangriff zu vereiteln. Und am sichersten sei es, die Schafe abends in den Stall zu holen. Die Herden von professionellen Schäfern treffe es weit weniger als die von Hobbyschäfern. Wenn es dann doch einmal passiere, gebe es zwar eine Entschädigung vom Land Niedersachsen, aber " für die Schafhalter ist das nicht lustig!", räumt der Naturschützer ein.

Die meisten Untaten, die dem Wolf nachgesagt werden, verweist er aber ins Reich der Märchen. Vor allem, wenn es um Angriffe auf Menschen geht. Meister Isegrim habe eine natürliche Scheu vor den Zweibeinern, sagt der 55-Jährige. Wenn er einem Menschen zu nahe komme, sei fast immer ein Hund im Spiel, dem die Neugier gelte. Die Scheu gehe auch verloren, wenn die in der Wildnis lebenden Tiere angefüttert würden. Soldaten in der Lüneburger Heide hätten diesen Fehler offenbar begangen. So werde eine Verhaltensstörung provoziert, die auf den Menschen zurückfalle. Wildschweine seien viel gefährlicher als Wölfe, vermerkt Hendrik Spiess.

Auf seiner Jacke prangt ein roter Button: " Rotkäppchen lügt!", steht darauf, mit Ausrufungszeichen. Der Mythos vom bösen Wolf ist immer noch das größte Hindernis für einen unvoreingenommenen Umgang mit dem wilden Gesellen. Deshalb beginnt die Arbeit eines Wolfsbotschafters schon im Kindergarten oder in der Schule. Wölfe fressen keine Großmütter, lautet die Botschaft des Naturschützers, auch keine Kinder oder andere Menschen.

Hendrik Spiess verteilt Bilderbücher vom Nabu, in denen zu lesen ist, was sie wirklich fressen: Rehe und Wildschweine zum Beispiel, vor allem alte, kranke und ganz junge Tiere. Aber eben auch Schafe. Und was die Schäfer tun können, um ihre Herde zu schützen. Die Kinder erfahren auch, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie wirklich mal einem Wolf in freier Wildbahn begegnen sollten: " Man darf sie nie füttern oder streicheln", ist da zu lesen. " Mach dich groß, sprich laut und geh langsam zurück". Wölfe muss man eben in Ruhe lassen.

Für Hendrik Spiess wäre es wie ein Sechser im Lotto, wenn er einen leibhaftigen Isegrim in der Natur beobachten könnte. Das wird nicht so einfach, denn die Tiere gelten als ziemlich intelligent. Und sie können verdächtige Gerüche kilometerweit gegen den Wind wittern. Immerhin hatte er schon mehrfach das Erfolgserlebnis, auf eine Fährte zu stoßen. Der Wolf, erklärt er voller Begeisterung, läuft bevorzugt im " geschnürten Trab", einer geradlinigen und zugleich energiesparenden Gangart, gleichmäßiger als die meisten Hunderassen.

Von der Ästhetik des Wilden fühlt er sich angesprochen, der Maler Hendrik Spiess. Kunstfreunde in Osnabrück kennen ihn als Vertreter des Magischen Realismus, einer Strömung, in der reale Wirklichkeit und Fiktion zuweilen miteinander verschmelzen. Was sich seinem Blick entzieht, bekommt auf seinen Bildern Konturen. Natürlich auch der Wolf. Er zeigt sich, wie vom Scheinwerfer angestrahlt, auf einer Lichtung und nimmt Witterung auf. Kein Mensch würde ihn so zu sehen bekommen. Außer eben Hendrik Spiess.

Das beißt nicht: In seinem Atelier hat Hendrik Spiess zwei lebensgoße Wölfe aus Pappe stehen. Am Infostand ziehen sich alle Blicke auf sich.

Foto:

G. Westdörp
Autor:
Rainer Lahmann-Lammert


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