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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Der Schnee von gestern
Zwischenüberschrift:
Rodelvergnügen am Harderberg um 1910
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Im Langzeitgedächtnis der Norddeutschen gab es früher viel strengere Winter mit mehr Eis und Schnee als heutzutage. Inwieweit das zutrifft oder romantische Vergangenheitsverklärung dabei eine Rolle spielt, ist ein Dauerthema der Wetter- und Klimaexperten.

Fest steht, dass die " Kleine Eiszeit" in Nordeuropa regelmäßig in jedem Winter über Monate die Kanäle zufrieren ließ, so wie wir das aus Darstellungen von Winterlandschaften etwa Pieter Brueghels kennen. Diese Kleine Eiszeit reichte vom 15. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit etwa 1850 steigen die Durchschnittstemperaturen an, und wir scheinen auf dem Weg in eine neue Warmzeit zu sein, ob ausgehend von Sonnenaktivitäten oder nur menschengemacht, sei einmal dahingestellt. Die globale Kleine Eiszeit war jedenfalls vorbei, als um 1910 die hier gezeigte Aufnahme des Rodelvergnügens auf der Frankfurter Heerstraße entstand.

Zunächst fällt auf, dass auf dem Bild mehr Erwachsene als Kinder miteinander Schlitten fahren. Das mag Zufall sein, könnte aber auch ein Indiz dafür hergeben, dass selbst für die Erwachsenen Wintersport noch etwas ganz Besonderes war. Die Zeiten, wo man mal eben nach Innsbruck jettet, um ein verlängertes Wochenende im Skizirkus der Alpen zu verbringen, lagen noch in weiter Ferne. Für den Durchschnitts-Osnabrücker waren selbst Mittelgebirgsziele wie Harz oder Sauerland unbekannt oder aus finanziellen Gründen unerreichbar.

Wintertourismus war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer hauchdünnen Oberschicht vorbehalten. Erst 1947 wurde der erste Sessellift Österreichs errichtet (in Tschagguns/ Montafon). Mit zunehmender Mobilität und höherem verfügbaren Einkommen boomte ab den 1960ern der Wintersport, die Übernachtungszahlen stiegen zwischen 1950 und 1990 in den Hauptorten um das Dreißig- bis Fünfzigfache. Auch viele Norddeutsche, darunter ganze Schulklassen, legten den weiten Weg in die Alpen zurück, um sich eine oder zwei Wochen lang dem Weißen Sport hinzugeben. Wer einmal die Steilheit der Hänge und die Länge der Pisten im Hochgebirge kennengelernt hat, den können renberg oder Harderberg nicht mehr so sehr beeindrucken.

Aber das war, wie gesagt, um 1910 noch ganz anders. Gruppen von Erwachsenen ziehen ihre Schlitten die Frankfurter Heerstraße hinauf. Das war ungefährlich, denn es gab hier praktisch keinen Verkehr. Die Straße war auch schon im Kaiserreich keine Heerstraße mehr, genau genommen seit 1715. Da wurde nämlich die neue Chaussee nach Iburg weiter westlich im Verlauf der heutigen B 51/ B 68 gebaut. Die Frankfurter Heerstraße verlor ihre frühere Bedeutung als Hauptausfallstraße nach Süden. Bis 1805 wurde sie noch für den Verkehr in Richtung Bielefeld genutzt, dann war auch das vorbei. Die Frankfurter Heerstraße konnte sich zur ruhigen Wohn-Sackgasse entwickeln. Oder, wenn mal wieder Winter war, zur Rodelstrecke.

Der hier abgebildete Winter war wohl so lang, dass sich die Einrichtung eines Kiosks lohnte. Am linken Bildrand sehen wir die " Giftbude", wie es auf der Postkarte heißt. Dort sollte niemand vergiftet werden, sondern man ließ sich dort etwas geben, etwa Getränke, kleine Speisen oder Süßigkeiten. Gift geht hier auf das althochdeutsche Wort für Gabe oder Geben zurück (wie englisch " gift" = Geschenk). " Giftbuden" hängen eng mit der Entwicklung des (Sommer-) Tourismus zusammen. In vielen der entstehenden Strandbäder an Nord- und Ostsee gehörten " Giftbuden" zu den ersten touristischen Infrastruktureinrichtungen. Daraus hervorgegangene Strandcafés und Souvenirläden etwa auf Norderney, in St. Peter-Ording und Schleimünde tragen noch heute diesen Namen.

Bildtext:

Als noch richtig Winter war und zwar wochenlang: Die Frankfurter Heerstraße in Nahne war eine beliebte Rodelstrecke, wie die Ansichtskarte aus der Sammlung Helmut Rieckens zeigt. Sogar eine " Giftbude" (links im Bild) wurde eingerichtet. Heute würde man von einem Kiosk sprechen.

Ein Hauch von Winter herrscht auch in diesen Tagen. Zum Rodeln reicht es aber zumindest auf der Frankfurter Heerstraße nicht. Foto: Jörn Martens

Im Dezember 1964 bot auch der Bürgerpark auf dem Gertrudenberg Rodelspaß. Foto: Archiv NOZ/ Kurt Löckmann
Autor:
Joachim Dierks


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