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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Zweite Chance zweiter Bildungsweg
Zwischenüberschrift:
Am Abendgymnasium Osnabrück können Erwachsene das Abitur nachholen
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Die Gründe, die dazu führen, dass Jugendliche auf dem ersten Bildungsweg auf der Strecke bleiben, sind individuell und vielfältig. Das Abendgymnasium Sophie Scholl in Osnabrück gibt diesen Menschen eine zweite Chance. Wir haben mit einer aktuellen und einer ehemaligen Studentin über ihren Lebensweg sowie über Chancen, Belastungen und Möglichkeiten des zweiten Bildungsweges gesprochen.

" Ganz schrecklich", urteilt Nadja Felka über ihre Zeit an einer Fachoberschule. " Du wirst nie wieder eine Chance auf das Abitur haben." – " Du bist für diese Schule nicht geeignet." – " Du bist zu doof für diese Schule." Die heute 27-Jährige habe in ihrer Schulzeit einige Sätze zu hören bekommen, die sie alles andere als motiviert hätten, als sie auf der Strecke zu bleiben drohte und schließlich tatsächlich scheiterte. Zudem sei sie selbst damals " jung und wenig zielgerichtet" gewesen. Heute " hat sich alles umgekehrt", sagt die junge Frau. Dass auch ihre Lehrer bei der Beurteilung ihrer Potenziale damals falsch lagen, hat sie längst deutlich bewiesen: Nadja Felka hat dank des Abendgymnasiums inzwischen ihr Abitur in der Tasche und studiert nun Erziehungswissenschaften und Soziologie an der Universität Osnabrück.

Doppelbelastung

Als " letzte Rettung" beschreibt die 27-Jährige den Moment, als sie vom Angebot des Abendgymnasiums erfuhr. " Mir war klar, dass ich noch was schaffen will", sagt sie. Gerade das vor 25 Jahren eingeführte Morgenangebot der Osnabrücker Bildungseinrichtung half ihr dabei, diesen Wunsch zu erfüllen, denn mit einer dreijährigen Tochter wäre es ihr nahezu unmöglich gewesen, Abendkurse zu besuchen. Eine ganz leichte Zeit war es für sie dennoch nicht musste sie sich doch bei Präsenzzeiten von zwei bis drei Tagen pro Woche trotzdem parallel um ihr kleines Kind sowie ihren Haushalt kümmern und jeweils einen langen Schulweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf sich nehmen.

" Morgenangebot am Abendgymnasium" das klingt ein bisschen wie ein Sprachwitz, sei aber absolut ernst gemeint, betont Lehrer Rainer Bendick. Tatsächlich werde das gesamte Lernangebot auch am Morgen und Vormittag unterrichtet.

Bei dem Abschluss, der am Ende winkt, handele es sich im Übrigen keineswegs um ein " billiges" Abitur, wie manche vielleicht glauben, sondern um ein vollwertiges Reifezeugnis. Denn auch das Abendgymnasium ist den Vorgaben des niedersächsischen Zentralabiturs unterworfen. Wer hier, ob nun morgens oder abends, seine Hochschulreife erlangen will, muss den gleichen Stoff erlernen wie ein klassischer Gymnasial- oder auch Gesamtschüler allerdings deutlich konzentrierter.

Bestimmte Fächer wie Sport oder Kunst fallen zwar heraus, ansonsten aber sind die Anforderungen in den Kernfächern wie Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen, Biologie oder Physik dieselben, inklusive Hausaufgaben. Wer " nebenbei" einen regulären Job hat, oder, wie im Fall von Nadja Felka, ein kleines Kind, das umsorgt werden will, für den entsteht eine keineswegs zu unterschätzende Doppelbelastung.

Die Abi-Prüfungen am Abendgymnasium hat Christina Abay noch vor sich. Sie besuchte von der siebten bis zur elften Klasse ein Gymnasium. Defizite in den Naturwissenschaften sorgten dann dafür, dass sie die Schule ohne Abitur verließ aber auch " jugendlicher Leichtsinn", wie sie selbst sagt.

Hoher Druck

Wie schnell ein Jugendlicher durchs Raster fallen kann, hat Christina Abay selber erlebt. Nicht nur sie selbst, auch die Lehrer hätten irgendwann aufgegeben und sie eine Fünf nach der anderen kassiert. Bendick sieht hier auch eine Schwäche im dreigliedrigen Schulsystem mit seinem " systembedingten Druck": Die schwachen Schüler würden oft einfach nach unten durchgereicht. Dies sei am Abendgymnasium anders. " Die Schüler können nicht einfach weggeschickt werden", bestätigt Lehrer Rainer Bendick.

Christina Abay ist Mutter eines achtjährigen Sohnes sowie einer vierjährigen Tochter. Ganz bewusst entschied sie sich zunächst für die Rolle der Hausfrau und Mutter. Irgendwann einmal das verpasste Abitur nachmachen zu wollen, das stand aber auch schon damals für sie fest.

Frisch im Morgenangebot gestartet, bekommt die 32-Jährige derzeit diese zweite Chance. Gerade der Vormittagsunterricht ermöglicht ihr die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sowohl Christina Abay als auch Nadja Felka erleben das Lernen und besonders die Begleitung durch die Lehrer als sehr positiv es ist ein Unterricht auf Augenhöhe. Die Studenten so werden die Schüler im Abendgymnasium genannt seien zielstrebiger und" wollen lernen", denn sie hätten sich bewusst für die Schule entschieden, sagt Rektor Manfred Keßling. Deshalb seien nicht nur sie selbst auf Erfolg aus auch die Lehrer seien motiviert und hätten deutlich größeren Spielraum, auf die individuellen Anforderungen der Lernenden einzugehen als zum Beispiel ihre Kollegen in den Gymnasien.

Hoher Bedarf

Das Einzugsgebiet des Abendgymnasium Sophie Scholl ist groß, denn Abendgymnasien sind in Niedersachsen rar gesät. Die nächsten vergleichbaren Schulen befinden sich erst wieder in Oldenburg und Hannover. Dabei ist sich Keßling sicher, dass der Bedarf für solche Einrichtungen groß ist. Mit einem entsprechenden Ausbau des Angebotes könne auch dir Klientel stark erweitert werden, glaubt er. Ein nächster Schritt wäre in seinen Augen die Einführung eines E-Learning-Angebots, wie es bereits im benachbarten Nordrhein-Westfalen Anwendung findet. Durch Online-Unterricht könnte die Präsenzzeit verringert und gleichzeitig die Flexibilität für die Studenten erhöht werden.

Durch sich verschärfende Arbeitsbedingungen im Berufsleben seien gerade Flexibilität und eine weitgehend freie Zeiteinteilung ein entscheidender Faktor, um Menschen einen Abschluss über den zweiten Bildungsweg zu ermöglichen und bereits angetretene Studenten zum Durchhalten zu bewegen, sagt Keßling.

Dass es sich lohnt, niemanden aufzugeben, darüber sind sich am Abendgymnasium Sophie Scholl alle einig. " Nicht nur die Schule verliert Menschen, sondern auch die Gesellschaft", unterstreicht Rainer Bendick. Das Osnabrücker Abendgymnasium werde sich gegenüber dem Land aktiv dafür einsetzen, das E-Learning auch in Niedersachsen zu ermöglichen. " Niedersachsen, das Land der Ideen das würde doch gut passen".

Bildtext:

Eine Doppelbelastung ist das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg. Dennoch geben Christina Abay und Nadja Felka (von rechts) eine klare Empfehlung, diesen Schritt zu gehen. Ein Wegbereiter ist Lehrer Rainer Bendick. Foto: Swaantje Hehmann

Das Abendgymnasium Sophie Scholl befindet sich am Knappsbrink im Stadtteil Kalkhügel. Foto: Archiv/ Jörn Martens
Autor:
David Hausfeld


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