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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Aus der Hölle in den Himmel von Osnabrück
Zwischenüberschrift:
Noch einmal zu Besuch bei zwei Flüchtlingsfamilien: Wie ist es ihnen 2015 ergangen?
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Im Juni besuchten wir die syrischen Familien Mansoraty und Mawas, die in Osnabrück Zuflucht gefunden haben. Die Eindrücke von Krieg, Bomben, Tod und Flucht waren damals noch frisch und die Sorge um die Kinder groß. Wie geht es ihnen heute?

Vorsichtig zündet Ibrahim Mansoraty (21) die Kerzen des Adventskranzes an. Alle vier Kerzen haben eine unterschiedliche Farbe und Bedeutung. " Grün steht für die Bewahrung der Natur, Weiß für den Frieden, Rot für die Nächstenliebe und die erdfarbene Kerze für die Verantwortung für die Welt", erklärt sein Bruder Jan (17). An Weihnachten werden sie einen kleinen Baum haben, so Jan. Darauf freuen sich die Geschwister. Vor gut einem Jahr sind sie zusammen mit ihren Eltern und ihren Großeltern nach Osnabrück-Has te gekommen. 73 Tage waren sie auf der Flucht, um über den Libanon dem Bombenhagel und den brutalen Repressalien des " Islamischen Staats" in ihrer Heimatstadt Al-Hassake im Norden Syriens zu entfliehen.

Seitdem hat sich viel geändert, insbesondere in den vergangenen sechs Monaten haben sich auch Ibrahim und Jan verändert. Ibrahims Gesicht ist sichtbar voller geworden, sein Körper kräftiger. Er wirkt gesund und aufgeräumt. Seit April lernt er wochentags fünf Stunden täglich Deutsch. Für eine ganze Unterhaltung reicht es noch nicht, doch er ist auf dem besten Weg dahin. Seine Tante Nuha Naoum, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, übersetzt seine Worte: " Der Deutschunterricht macht Spaß. Wir sind eine kleine Gruppe von fünf Personen unterschiedlicher Nationalitäten und treffen uns manchmal auch am Nachmittag."

Wenngleich er deutlich an Lebensfreude gewonnen hat, so lastet die Sorge um einen Ausbildungsplatz auf ihm. Als angehender Feinwerkmechaniker stand er kurz vor dem Abschluss seiner Lehre, als die Familie die Flucht ergriff. " Ich arbeite an meinen Deutschkenntnissen, um noch einmal zu beginnen und arbeiten zu können", sagt er. Sein Blick ist zuversichtlich, seine Stimme fest. Er möchte vorab ein Praktikum machen. " Vielleicht halbtags, sodass ich morgens Deutsch lernen und nachmittags die Arbeit hier schon mal kennenlernen und zusätzlich noch meine Sprachkenntnisse verbessern kann. Das wäre schön", so Ibrahim.

Auf dem Gymnasium

Ähnlich ergeht es Jan in diesen Tagen. Sein Deutsch hat sich erheblich verbessert. " Ich habe jeden Tag in der Schule nach dem Unterricht Förderunterricht", berichtet er stolz. Jan besuchte in Syrien die 11. Klasse eines Gymnasiums und wollte Medizin studieren. An der Thomas-Morus-Schule in Haste hat er in der zehnten Klasse begonnen. Allerdings zeigt sich, dass 13 Monate intensives Sprachtraining kaum ausreichen, um parallel dazu den Unterrichtsanforderungen gerecht zu werden, die ein erweiterter Realschulabschluss voraussetzt. Zu fremd und zu neu ist die Sprache.

Blauer Zeh

Jan, der sich beim vergangenen Besuch so aufgeweckt und redefreudig zeigte, schaut zu Boden auf seinen blauen Zeh, den er sich beim Fußballspielen verletzt hat. Schon in seinem Heimatdorf war er aktiver Spieler und Kapitän seiner Mannschaft. Mittlerweile spielt er zusammen mit seinem Bruder dreimal die Woche abends Fußball beim TuS Haste. Ob der Fuß schmerzt? " Nein, eher die Sache mit der Ausbildung", sagt er leise.

Beim Berufsinformationszentrum hat er sich im Frühjahr beraten lassen und sich auf Basis eines Realschulabschlusses für eine Ausbildung als Zahntechniker begeistert. Im Sommer machte er ein dreiwöchiges Praktikum. " Nach der Ausbildung könnte ich meinen Meister machen und dann immer noch studieren", weiß er.

Nun scheint aber diese Möglichkeit zunächst vom Tisch. Weil er gerne mit Materialien, Formen und Präzision arbeitet, hat er sich bei der Handwerkskammer erkundigt, welche Chancen er mit einem Hauptschulabschluss, seinen Interessen und Fähigkeiten habe. " Ich könnte mir sehr gut vorstellen, als Tischler zu arbeiten, und beginne damit, Bewerbungen zu schreiben. Später kann ich mich immer noch weiterbilden und das Handwerk verfeinern", sagt Jan. Sein großer Traum von Medizin, mit der er Menschen helfen wollte, rückt damit erst einmal in weite Ferne.

Er ist still, blickt auf seinen Zeh und schaut zum Fenster hinaus. Er sei froh und glücklich, hier in Haste wieder Weihnachten verbringen zu dürfen. " Aber meine Freunde, mit denen ich aufgewachsen bin, fehlen mir immer noch. Jeden Tag", sagt Jan. Gut könne er sich vorstellen, eines Tages wieder nach Syrien zurückzugehen. " Um das wieder aufzubauen, was mein Opa geschaffen hat und was von den Terroranschlägen zerstört wurde", fügt er nach einer kurzen Pause hinzu.

Am Fenster steht ein Käfig, in dem zwei leuchtend gelb und orange gefiederte Kanarienvögel singen. " Wir haben sie Opa geschenkt. Zu Hause hatte er viele bunte Vögel", erzählt Jan. Sein Großvater Ibrahim (84) beobachtet sie lächelnd. Seine Gesichtszüge sind entspannt. Von den ausgestandenen Todesängsten um seine Söhne und vor dem IS, den Entbehrungen und Strapazen der vergangenen Jahre ist ihm in diesen Momenten nichts anzumerken. " Wir leben nun in einem guten, in einem friedlichen Land. Die Besuche der Schwestern von St. Angela, die Menschen hier, sie alle haben uns so viel Liebe und Wärme und ein Zugehörigkeitsgefühl gegeben. Meine Kinder sind hier, und wir sind in Sicherheit. Was will ich noch mehr!", sagt er und nimmt die Hand seiner Frau Jeannete (75). Seine Augen strahlen. Jans Blick ist konzentriert. Er ist seit der letzten Begegnung ernster geworden. Erwachsener.

Pariser Anschläge

Zwar sind die islamistisch motivierten Terroranschläge in Paris nicht mehr in aller Munde, doch in den Köpfen. Angespannt saß auch Familie Mansoraty am Abend des 13. November vor dem Fernseher, fassungslos darüber, zu sehen, was geschah. " Auf einmal war alles ganz nah", sagt Jan. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Flüchtlingszustroms und der wachsenden Problematik wünscht er sich neben einem Ausbildungsplatz für das neue Jahr nur eins: " Dass wir alle in Frieden und Sicherheit weiterleben können, dass wir nicht doch eines Tages vom IS oder Militär eingezogen werden und dass die Deutschen, die uns bisher hier so sehr unterstützt und begleitet haben, uns auch weiterhin vertrauen."

Die Angst vor Krieg und Terror ist nicht nur geblieben, sie ist größer geworden bei Jan. Er möchte nicht fotografiert werden. Ibrahim, zuletzt eher schmächtig, zurückhaltend und in sich gekehrt, hat eine andere Entwicklung genommen. Er ist offener geworden, hat Vertrauen gefunden. So überrascht es kaum, dass er einem Foto sofort zustimmt. Vor einem halben Jahr noch undenkbar. Zu tief saßen die Ängste und Bilder der Vergangenheit.

Der Glückstag

Weihnachtlich warm und familiär geht es in diesen Tagen auch bei Youssef (59) und Janette (56) Mawas in der kleinen Wohnung im Schinkel zu. Auf der Couch sitzt ein Teddybär mit einer Weihnachtsmütze. Einen Weihnachtsbaum und eine kleine Krippe hatte sich Janette gewünscht. Doch für sie ist vor Weihnachten noch ein viel größerer Wunsch in Erfüllung gegangen: Liefen im Juni noch Tränen der Sorge, Angst und Ungewissheit um ihre Kinder, so fließen sie jetzt vor Freude. Ihr jüngster Sohn, Abdallah (25), der zusammen mit den beiden älteren Söhnen und deren Familie auf engstem Raum in Beirut lebte, ist nach langen Fußmärschen schließlich über das Mittelmeer in Deutschland angekommen. " Der 17. November war ein Glückstag", sagt sie überglücklich, sodass ihr die Tränen laufen. " Das sind wahrscheinlich meine Muttergefühle", fügt sie fast entschuldigend hinzu.

Abdallah ist vom Krieg traumatisiert. Darüber hinaus war die Zeit im Libanon für ihn von der Angst geprägt, eventuell keine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. In der Folge hätte er nach Syrien zurückkehren müssen und wäre vom Militär eingezogen worden. " Er ist ausgebildeter Tischler und arbeitete fast nur noch, um von dem Gesparten davonzukommen", weiß Janette. Momentan befindet er sich in einer Notunterkunft in Nordrhein-Westfalen. " Sobald er ein Bleiberecht bekommt, kommt er zu uns", berichtet sie. Abdallah ist der Jüngste ihrer fünf Kinder. Die beiden älteren Söhne wollen im Libanon bleiben, zu unsicher sei es ihnen, alles aufzugeben, so Janette.

Die Tatsache, dass die Aufenthaltsgenehmigungen immer nur für drei Monate gültig sind, lastet schwer auf Youssef und Janette, ebenso wie die Sorge um ihre getrennt lebende Tochter und ihre beiden Enkel in Syrien. " Sie braucht die Genehmigung ihres Mannes, um ausreisen zu können, hat mehrere Jobs, um die Kinder durchbringen zu können. Wir beten jeden Tag für sie", sagt Youssef. Er schluckt. Seine Stimme klingt zittrig. Die andere Tochter lebt seit über einem Jahr in Osnabrück. Sie sehen sich regelmäßig.

An der Nähmaschine

Zweimal in der Woche gehen sie zum Deutschunterricht in die Heilig-Kreuz-Gemeinde. Vor einigen Wochen haben sie ausgesetzt. " Die Aufregung um Abdullah war für uns einfach zu groß", sagt Janette und betont, dass sie in jedem Fall weiterlernen wollen und wieder hingehen werden. Das sei ihnen wichtig. Durch ehrenamtlich Helfende der Heilig-Kreuz-Gemeinde haben sie Kontakte geknüpft. Youssef, einst Bauer und naturverbunden, hilft inzwischen ehrenamtlich bei Gartenarbeiten im Umfeld. Er hat ein Fahrrad geschenkt bekommen und fährt mit Freude zum Einkaufen, zu Besuchen oder um einfach ein wenig Bewegung an der frischen Luft zu haben. Janette, eine gelernte Näherin, hat von einer Nachbarin eine Nähmaschine bekommen. Sie näht für Freunde und die Familie. " Demnächst möchte ich für uns Gardinen nähen", sagt sie, zeigt die Maschine und strahlt.

Die Familie freut sich, ihren Sohn bald wiederzusehen. Ein Wermutstropfen aber bleibt, gerade vor dem Hintergrund der Anschläge in Paris: " Ich war regelrecht erschrocken, zu sehen, dass es so nah ist. Die Erinnerungen an die Menschen in Syrien, Zivilisten, die keine Schuld an etwas haben oder jemand etwas getan haben und dafür sterben müssen, wurden sofort wach", berichtet Youssef und fügt hinzu. " Hoffentlich sind unsere Tochter und unsere Söhne sicher. Mehr, als dass es den eigenen Kindern gut geht, kann man sich gar nicht wünschen."

Bildtext:

Ibrahim Mansoraty (21) macht große Fortschritte in der Sprache. Er möchte eine Ausbildung zum Feinwerkmechaniker beginnen. Foto: Simone Fischer

So berichtete die NOZ am 13. Juni 2015

Youssef (59) und Janette (56) Mawas haben Anschluss in Osnabrück gefunden, doch lastet die Sorge um ihre Kinder schwer auf ihnen.

Foto:

Gert Westdörp
Autor:
Simone Fischer


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