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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Alles schon mal da gewesen?
Zwischenüberschrift:
Der Umgang mit Asylsuchenden vor 25 Jahren war anders als heute
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. In diesen Tagen lesen wir: " Flüchtlingsheime massiv überbelegt", " Antragsflut überfordert Bundesamt", " Kommunen fordern mehr Geld von Land und Bund", " Zusammenprall zweier Welten", " Zustrom von Flüchtlingen in nie gekanntem Ausmaß". Noch nie gekannt? Die Schlagzeilen unserer Tage täuschen darüber hinweg, dass vor einem Vierteljahrhundert alles schon einmal da gewesen ist. Vielleicht nicht genauso, aber ähnlich.

So lauteten Schlagzeilen dieser Zeitung zwischen Juni 1989 und Dezember 1992: " Asylbewerber kaum noch unterzubringen", " 600 Menschen müssen in Notquartiere", " Mehr Hilfe vom Land gefordert", " Jetzt sollen Container helfen", " OB Fip: Osnabrück ist dicht", " Zelt ist nicht menschenwürdig", " Schüsse auf Asylantenheim", " Überwintern im Wohnwagen?".

Damals war die Zahl der in Deutschland Asylsuchenden, die in den 1980er-Jahren zumeist unter 100 000 pro Jahr gelegen hatte, plötzlich steil angestiegen. Wie kam es dazu? Mehrere Faktoren überlagerten sich: Der Warschauer Pakt und damit die strengen Grenzregime lösten sich auf. Mit dem Ende des Kommunismus hob sich der " Eiserne Vorhang", und die Unzufriedenen und teils weiterhin Verfolgten aus Osteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion fanden Wege in den Westen. Die Bürgerkriege im zerfallenden Jugo slawien trieben große Mengen in die Flucht. Weiterhin wurden die westdeutschen Aufnahmekapazitäten durch zuwandernde ehemalige DDR-Bürger und Russlanddeutsche beansprucht.

Rechtsschutz gekappt

Der Höhepunkt war 1992 mit 438 000 Anträgen erreicht. Danach fielen die Zahlen wieder. Hauptgrund dafür war die 1993 im Rahmen des " Asylkompromisses" zustande gekommene Grundgesetzänderung. Das zuvor quasi unbegrenzt gewährte Asylgrundrecht wurde nun in wesentlichen Punkten eingeschränkt. Seitdem können sich etwa Ausländer, die über einen EU-Staat oder einen sonstigen " sicheren Drittstaat" einreisen, nicht mehr auf das Asylrecht berufen. Die Verfahrensdauern wurden durch Beschneidung des Rechtsschutzes abgekürzt.

Auch die Beruhigung der Lage im ehemaligen Jugoslawien trug dazu bei, dass ab 1993 die Antragszahlen kontinuierlich fielen. Der Tiefpunkt war 2008 mit 28 018 Anträgen erreicht. Seitdem steigen sie wieder an, was bekanntermaßen mit den großen weltpolitischen Konfliktherden in Nahost, Mittelost und Afrika zusammenhängt. 2014 stellten 202 834 Menschen einen Asylantrag. Für das laufende Jahr hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zunächst die Hochrechnung 450 000 abgegeben, diese aber inzwischen auf 800 000 korrigiert.

Keine " Mischbelegung"

Wenn man die heutigen Zahlen mit denen zu Beginn der 1990er-Jahre vergleicht, muss man feststellen, dass sie heute rund doppelt so hoch liegen. Aber: Vor 25 Jahren brach die Flüchtlingswelle unangekündigt über die deutschen Kommunen he rein. Die jahrzehntelang nicht für möglich gehaltene deutsche Wiedervereinigung kam genauso überraschend wie die Auflösung des ehemaligen Ostblocks und Jugoslawiens. Die Gemeinwesen mussten in allerkürzester Zeit Aufnahmestrukturen schaffen. Seit 1989 gab es zwar das " Grenzdurchgangslager" in Bramsche-Hesepe, aber es war mit Spätaussiedlern aus der Sowjetunion ausgelastet. Es gab die durch den ersten Teilabzug der Briten frei gewordene Caprivikaserne am Westerberg, aber sie war ebenfalls Spätaussiedlern und sogenannten Kontingentflüchtlingen vorbehalten der Bund als Betreiber ließ nicht mit sich reden und wollte keine " Mischbelegung".

Von den " normalen" Asylanten musste Niedersachsen nach dem bundesweiten Verteilungsschlüssel 9, 3 Prozent aufnehmen und davon wiederum die Stadt Osnabrück 7, 9 Prozent, entsprechend 1524 Menschen. Das gelang der Stadt mehr schlecht als recht. Es gab zunächst nur die schon lange überbelegte Gemeinschaftsunterkunft an der Bohmter Straße. In großer Hektik wurden nun leer stehende Immobilien oder auch dezentral gelegene Einzelwohnungen gesucht. Ein Lagergebäude an der Bohmter Straße wurde angemietet, Wohnwagen auf dem Gelände des ehemaligen Schweizerhauses, am Kanal an der Haster Schleuse und rund um die vormalige Jugendherberge Tannenhof in Eversburg aufgestellt. Die Turnhalle der Heiligenwegschule musste ebenso herhalten wie ein altes Bürogebäude der Eisengießerei Weymann am Petersburger Wall.

" Norwegerhäuser"

In die bunte Palette der Notunterkünfte reihten sich die " Niedersachsenschänke" an der Tannenburgstraße, die ehemalige Diskothek " Get Crazy" an der Lengericher Landstraße und das Hotel " Schwanenburg" an der Bremer Straße ein. Ein städtisches Grundstück neben dem Sportpark Illoshöhe an der Bredowstraße erlebte nacheinander erst Zelte, dann Wohnwagen und schließlich wintertaugliche " Norwegerhäuser" in Fertigbauweise, die übrigens heute noch stehen und von den VfL-Junioren genutzt werden.

Immer wieder appellierte die Stadt an die Bürger, Leerstände zu melden und eigenen freien Wohnraum anzubieten. Die Osnabrücker Hochschulen freuten sich über immer mehr Studenten, aber auch die mussten irgendwo unterkommen. " In Osnabrück fehlen mindestens 3000 Wohnungen", stellte Sozialdezernent Heinz Fitschen im Januar 1991 fest. Eine Sammelunterkunft am Goethering und ein Containerdorf an der Gesmolder Straße schafften etwas Entlastung.

Manche Vorschläge wurden von Politikern ins Spiel gebracht, ohne zuvor die Rechnung mit dem Wirt gemacht zu haben. Der Standortälteste, Oberstleutnant Hans-Otto Klos, hielt die Tore der Kaserne am Hauswörmannsweg eisern geschlossen: " Hier sind Waffen und Munition untergebracht, allein aus Sicherheitsgründen verbietet sich ein Unterbringen von Asylbewerbern", sagte er. Auch der Leiter des Bundeswehrkrankenhauses an der Sedanstraße, Oberstarzt Dr. Winfried Kluge, lehnte ab, da sich die Aufnahme von Asylbewerbern nicht mit der notwendigen Ruhe und den Betriebsabläufen eines Krankenhauses vertrage. Frei wäre höchstens das unterirdische Bunker-Hospital, aber die Möglichkeit schloss er selbst aus: " Familien mit Kindern ohne Tageslicht mit künstlicher Klimatisierung unterbringen zu wollen wäre nicht zumutbar."

Molotow-Cocktails

Die ehemalige Hebammenlehranstalt an der Knollstraße wollte Eigentümer Kabelmetal auch nicht übergangsweise zur Verfügung stellen. Bei der Villa an der Lürmannstraße, die als Gästehaus der Universität vorgemerkt war, wäre der Umbau für eine vorübergehende Nutzung zu teuer geworden. Hotelier Schöpper wäre zwar bereit gewesen, sein Hotel " Himmelreich" in Nahne an die Stadt zu verkaufen, aber Anwohnerproteste schon im Vorfeld ließen ihn davon Abstand nehmen.

Wie stellten sich die Osnabrücker auf ihre neuen Nachbarn, die auf viele Stellen im Stadtgebiet verteilten rund 1500 Asylsuchenden, ein? Schüsse auf das Heim an der Bohmter Straße im Oktober 1991 und Molotow-Cocktails gegen einen Container am Tannenhof im selben Monat richteten nur geringen Sachschaden an und blieben untypische Einzelfälle.

Den Begriff " Willkommenskultur" gab es noch nicht, dennoch erreichten die neuen Mitbürger auf Zeit zahlreiche Sachspenden und Hilfsangebote. Initiativen aus dem Umkreis der Martinskirche in Hellern und der Bonnuskirche an der Bredowstraße wirkten segensreich. Der Flüchtlingshilfeverein " Exil" kritisierte häufig " menschenunwürdige Zustände" in einzelnen Unterkünften und setzte die Verwaltung dadurch bisweilen unter Druck. Mit heftiger Kritik preschte auch Bürgermeisterin Lioba Meyer vor. Im Februar 1992 bezeichnete sie es als " beschämend" und " skandalös", dass im ehemaligen " Get Crazy" trotz anderslautender Zusagen das Sozialamt wiederum eine fünfköpfige rumänische Familie im Schlafsaal untergebracht habe, trotz völlig unzureichender sanitärer Anlagen, fehlender Trennwände und ohne Bettzeug. Am Folgetag lieferte der kommissarische Sozialdezernent Reinhard Sliwka eine ganz andere Darstellung des Sachverhalts: Eine Roma-Familie mit drei Kindern habe sich ohne Wissen des Sozialamts eigenmächtig an der Lengericher Landstraße einquartiert. Nachdem die Verwaltung davon erfahren habe, habe sie den Sachverhalt überprüft und festgestellt, dass der Familienvater bereits in einer Landkreisgemeinde gemeldet sei und dort auch schon Leistungen bezogen habe. Die Familie, die widerrechtlich nach Osnabrück gezogen sei, sei richtigerweise an den Landkreis zurückverwiesen worden.

Weniger zimperlich

Im Vergleich der Berichterstattungen zwischen damals und heute fällt auf, dass damals häufiger " Klartext" geredet wurde. Während heute im Zusammenhang mit unschönen Vorkommnissen in der Regel keine Nationalitäten genannt werden, um keine verallgemeinernden Vorurteile zu schüren, war man damals weniger zimperlich. Die Begriffe " Asylmissbrauch" und " Scheinasylanten" standen noch nicht auf dem Index. Der Leiter der städtischen Einwohnermeldeabteilung gab im August 1989 freimütig bekannt, dass schwarzafrikanische Asylbewerber aus Gambia wegen Handels mit Heroin festgenommen worden seien und nun auf ihre Aburteilung und anschließende Abschiebung warteten.

Auch Nigerianer, Senegalesen und Ghanaer seien bereits wegen Rauschgifthandels aufgegriffen worden. Der Heimleiter der Unterkunft Gesmolder Straße bezeichnete den Konsum von Drogen durch Heimbewohner als Problem. Vom Tannenhof wurden mutwillig zerstörte Einrichtungsgegenstände gemeldet. Helleraner Kaufleute aus der Nachbarschaft des " Get Crazy" wurden ausführlich mit ihrer Kritik an Übergriffen seitens der Heimbewohner, die einen tatsächlich verrückt werden lassen könnten, zitiert. Sachbeschädigungen, Diebstähle und Hausfriedensbruch ordneten sie ohne Umschweife " den Rumänen" zu.

" Massiv bedroht"

Aus der " Fischzucht gegenüber gestohlene Fische" würden auf dem Firmengrundstück eines Autohandels über offenem Lagerfeuer gegrillt, " und morgens sieht es bei uns aus wie auf einem Schlachtfeld, aber von der Stadt ist natürlich niemand zuständig", beklagte sich der Autohändler auf einer Anliegerversammlung. Sozialamtsleiter Udo Kunze räumte ein, dass seine Mitarbeiter in ihren Amtsräumen von rumänischen Asylsuchenden " massiv bedroht" worden seien, als sie offensichtlich gefälschte Personalpapiere zurückwiesen.

Auch die Stellungnahmen der Ratsmitglieder waren damals weniger von Mitgefühl mit den Flüchtlingen und deren Traumatisierungen durchdrungen als heute. Asylbewerber wurden weniger mit ihren Einzelschicksalen betrachtet und eher als zahlenmäßiges Problem aufgefasst, das es zu lösen galt. Man muss den Politikern vielleicht zugutehalten, dass die Mechanismen, die rechtsradikale Gewalttaten auslösen können, noch nicht so bekannt waren. Die schlimmen Vorfälle in Mölln, Rostock-Lichtenhagen und anderswo hatten noch nicht stattgefunden.

Osnabrück früher und heute: Mehr Informationen und mehr Fotos unter www.noz.de
Bildtexte:
Die Unterbringung von Flüchtlingen in der abbruchreifen Diskothek " Get Crazy" in Hellern löste damals auch Kritik aus.
Im Oktober 1992 wandte sich diese Demonstration gegen die Verschärfung des Asylrechts.
Flüchtlingskinder, die 1992 im ehemaligen Hotel Schwanenburg an der Bremer Straße untergebracht waren. Was ist wohl aus ihnen geworden? Die Wohnwagen für Asylbewerber standen 1990 am Tannenhof in Eversburg.
Fotos:
Archiv/ Gert Westdörp, Michael Hehmann, Jörg Martens
Autor:
Joachim Dierks


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