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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Flüchtlinge zweiter Klasse
Zwischenüberschrift:
Syrische Asylbewerber haben gegenüber Bürgerkriegsflüchtlingen aus Sonderkontingent das Nachsehen
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Samir Darwish ist sauer: " Wir sind alle Syrer. Es gibt keinen Grund für diese Ungleichbehandlung." Darwish bekommt während seines Asylverfahrens weder Sprachkurs noch Arbeitserlaubnis. Er ist einer von 33 syrischen Asylbewerbern in Osnabrück und fordert die gleichen Rechte wie die 5000 syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge, die die Bundesregierung über ein Sonderkontingent aufnimmt. Darwish nennt sie " Flüchtlinge erster Klasse". Die Kontingent-Flüchtlinge kommen in den kommenden Wochen nach Osnabrück und werden unbürokratisch mit Qualifizierungsmaßnahmen und sofortiger Arbeitserlaubnis ausgestattet.

Darwish kommt aus der Millionenmetropole Aleppo im Norden Syriens, wo der Bürgerkrieg besonders heftig wütet. Er heißt eigentlich nicht Samir Darwish, aber er will so genannt werden, wenn unsere Zeitung über sein Schicksal berichtet. Wenn mit Foto und unter seinem Klarnamen über ihn berichtet würde, hätte er Angst, dass entweder das Regime des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad oder die Rebellen sich an seiner Familie in Syrien rächen würden.

Der 44-Jährige erzählt auf Arabisch die Geschichte seiner Flucht. Die irakische Dolmetscherin Dindar Mustafa übersetzt: Samir Darwish behandelt als Arzt einerseits im städtischen Krankenhaus die Verwundeten des Assad-Regimes und andererseits in einem Privatkrankenhaus die verletzten Rebellen. So steht er immer zwischen den Fronten. Er muss viel über sich ergehen lassen, redet von Erpressung und Arbeit ohne Honorar, weil beide Seiten von seinem Engagement bei der gegnerischen Seite wissen. Tätlich angegriffen wird er jedoch nicht, weil er als Kardiologe und Anästhesist gebraucht wird.

Als sich der Bürgerkrieg im Juni zuspitzt, wird ihm gedroht, dass seine Kinder umgebracht werden, wenn er weiterhin die Verwundeten der gegnerischen Seite behandelt. Das ist der Zeitpunkt, an dem der zweifache Familienvater beschließt, sich mit seiner Familie bei einem Freund zu verstecken und die Flucht vorzubereiten. Er weiß, wie gefährlich das ist. Ein Arzt darf das Land im Bürgerkrieg nicht verlassen. Wenn er nach seiner Flucht wieder in das Land zurückkehren würde, müsste er ins Gefängnis. Nach zwei Wochen haben er und seine Frau, die sich hier Amal Darwish nennt, die nötigen Dokumente zusammen, ihr Auto verkauft und die Ersparnisse zusammengekratzt, um 32 000 Euro an eine Schleuserbande zu bezahlen. Sie setzen sich mit ihren Kinder im Alter von zwei Jahren und zehn Monaten in ein Auto, ohne dass sie wissen, wohin die Reise geht. In zwei Sporttaschen haben sie nur das Nötigste zusammengepackt: sommerliche Kleidung, Windeln, Babynahrung und Medikamente. Sie werden in ein Flugzeug gesetzt und, in Deutschland angekommen, in das Auffanglager Friedland gebracht.

Vor rund einer Woche kamen Samir und Amal Darwish mit ihren Kindern, die hier Fade und Elli heißen sollen, nach Osnabrück. Samir Darwish freut sich über die Zeit mit seinen Kindern: " In Aleppo war mein Zuhause wie ein Hotel, und ich habe fast nur gearbeitet. Manchmal 24 Stunden am Stück."

Dennoch fühlt sich Samir Darwish " nutzlos. Ich bin nicht dafür gemacht, zu Hause herumzuhängen und Däumchen zu drehen." Er will das Geld, das er vom deutschen Staat bekommt, nicht geschenkt. Der fünftägige Sprachkurs und ein " Wegweiser für Deutschland", den er in Friedland bekommen hat, reichen nicht aus. Darwish will Deutsch lernen und sagt: " Mein größter Wunsch ist es, arbeiten zu gehen und Steuern zu zahlen, um Deutschland auch etwas zurückzugeben." Doch er bekommt weder Sprachkurse noch Qualifizierungsmaßnahmen oder eine Arbeitserlaubnis. Er muss das Asylverfahren abwarten. " Das kann Monate oder auch Jahre dauern. Bei den syrischen Asylbewerbern, die seit Mai 2012 nach Osnabrück kamen, hat das Asylverfahren in der Regel aber nicht länger als ein halbes Jahr gedauert", berichtet der Osnabrücker Fachdienstleiter für den Bereich Flüchtlinge, Klaus Rußwinkel. Die Kontingent-Flüchtlinge bekommen aber sofort eine Arbeitserlaubnis. " Das ist unfair. Ich will jetzt arbeiten. Zurzeit kenne ich mich noch gut in meinem Fachgebiet aus, bin motiviert und will nicht vom Staat leben", sagt Samir Darwish. " Wir haben alle dasselbe Schicksal erlebt. Wieso bekommen wir nicht dieselben Leistungen?"

Der Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums, Philipp Wedelich, antwortet, dass bei der Aufnahme der Flüchtlinge des Sonderkontingents die Schutzbedürftigkeit schon vor der Einreise festgestellt wurde und ein Asylverfahren nicht mehr benötigt werde. Qualifizierungsmaßnahmen würden während des Asylverfahrens nicht gewährt, weil " erst mit der Asylgewährung eine Perspektive für einen Daueraufenthalt eröffnet wird".

Anders sieht das die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Sie hält es für nicht akzeptabel, dass es zwei Klassen von Flüchtlingen gibt. " Unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens fordern wir für alle Flüchtlinge Integration vom ersten Tag an. Asylbewerber benötigen bereits im Erstaufnahmeverfahren Sprachkurse und Berufsqualifizierungsmaßnahmen", fordert der stellvertretende Vorsitzende von Pro Asyl, Bernd Mesovic.

Hoffnung macht der Familie Darwish der Verein Exil, der als Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge ehrenamtlich auch Sprachkurse für Asylbewerber im laufenden Verfahren anbietet. Der nächste Sprachkurs mit neun Stunden pro Woche beginnt im Januar.
Bildtext:
Die syrischen Flüchtlinge nennen sich Samir Darwish mit Frau Amal und den Kindern Fade und Elli. Sie wollen sich nicht erkannt werden, weil sie Angst vor Konsequenzen für ihre Verwandten in Syrien haben.
Foto:
Hermann Pentermann

Wohnungsnot
Bezahlbarer Wohnraum ist knapp in Osnabrück. Die Sozialdezernentin Rita Maria Rzyski rechnet angesichts der neuen globalen Krisensituation in den kommenden Monaten mit 442 neu aufzunehmenden Flüchtlingen. Vor einer Woche rief Rzyski Vermieter daher dazu auf, günstige Mietwohnungen zur Verfügung zu stellen. Dazu kommen zum Wintersemester insgesamt mehr als 6000 Erstsemester an der Universität sowie an der Hochschule Osnabrück. Sie stehen auf dem Wohnungsmarkt in Konkurrenz zu Sozialhilfeempfängern und Flüchtlingen. Das Studentenwerk teilte Ende September mit, dass die Warteliste lang ist und die Studenten notfalls erst pendeln müssen, wenn sie keine Mietwohnung in Osnabrück finden.

Die Stich-Frage des Tages für die OB-Kandidaten

Wie wollen Sie angesichts Hunderter Flüchtlinge, die Osnabrück in den kommenden Monaten aufnehmen muss, bezahlbaren Wohnraum schaffen?

Bezahlbare und barrierefreie Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen und Studierende werden immer wichtiger. Hier sind Studentenwerk und Stadt auch in der Pflicht, auf eigenen Grundstücken entsprechenden Wohnraum zu schaffen. Die Stadt kann mit Privateigentümern und Bauträgern auch Bau-, Miet- oder Belegungsrechte für Wohnungen vereinbaren, um flexibel auf spezielle Bedarfssituationen zu reagieren.

Wolfgang Griesert

Mir ist wichtig, dass es bezahlbaren Wohnraum für Familien, Singles und die Älteren unter uns gibt. Dies ist unabhängig von Flüchtlingen, die wir aus humanitären Gründen aufnehmen. Jetzt muss dringend ein Programm für sozialen Wohnungsbau gestartet werden. Mit einer Bauoffensive können neue Mietwohnungen geschaffen und alte modernisiert werden. Es war ein großer Fehler, die OWG zu verschleudern.

Birgit Bornemann
Autor:
Jean-Charles Fays


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