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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Klassik-Open-Air vor Osnabrücker Dom
 
Utopie mit todernstem Hintergrund
 
Die Stimme des unbekannten Soldaten
Zwischenüberschrift:
Kein Event, sondern Gedenkkonzert: Klassik-Open-Air mit den Orchestern aus Wolgograd und Osnabrück
 
Die Komponistin Elena Firsova über ihr Werk "Erwartung" – Mit der Aufführung sehr zufrieden
Artikel:
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Originaltext:
Ein größeres Klassik-Spektakel hat Osnabrück noch nicht erlebt: 120 Musiker aus Wolgograd und Osnabrück sowie 150 Sänger der Chöre aus Dom, St. Marien und dem Theater bereiteten dem großen Wolgograd-Projekt des Osnabrücker Symphonieorchesters ein fulminantes Finale. Auf dem Programm: das düstere Auftragswerk " Erwartung" der Komponistin Elena Firsova und die Funken sprühende neunte Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Gegen die schneidende Sommerkälte hatten sich 2200 Zuhörer vor der Bühne sowie etliche Zaungäste mit Decken und Sitzkissen gewappnet.
Foto:
Pentermann

Osnabrück. Der Wind rüttelte heftig in der Takelage der Klassik-Open-Air-Bühne auf dem Osnabrücker Domvorplatz. Auch war es empfindlich kühl doch dem Gemeinschaftskonzert dreier Osnabrücker Chöre und der Sinfonieorchester aus Osnabrück und Wolgograd schadete das kein bisschen. 2200 zahlende Gäste und etliche Zaungäste feierten begeistert.

Es war ein großes Ereignis nicht nur nach quantifizierbaren Parametern wie Publikumszahl, Ensemble- und Bühnengröße. Nein, das gemeinsame Gedenkkonzert unter dem Motto " Alle Menschen werden Brüder" hatte eine wichtige gesellschaftliche Dimension: Ist es doch der Versuch, mit Mitteln der Musik Brücken zu schlagen.

Auf Initiative des Osnabrücker Orchestermusikers Christian Heinecke war das Osnabrücker Symphonieorchester nach Wolgograd gereist, um 70 Jahre nach dem Ende der Schlacht um Stalingrad ein Zeichen der Begegnung zu setzen. Und was konnte den Geist der Versöhnung besser repräsentieren als Beethovens neunte Sinfonie, die das Ideal der Brüderlichkeit zur Leitlinie menschlichen Miteinanders erhebt?

Ein derartiges Ereignis hat natürlich auch eine politische Dimension. Die Osnabrücker Bürgermeisterin Karin Jabs-Kiesler erinnerte ausführlich an die Bedeutung für die Friedensstadt Osnabrück und dankte Heinecke für sein Engagement. Und der Chef der Wolgograder Philharmonie, Viktor Nikolajevitsch Kijaschko, regte an, den Orchesteraustausch kontinuierlich zu pflegen.

Nun, das ist Zukunftsmusik. Eine Fernbeziehung über Tausende von Kilometern, sprachliche und kulturelle Barrieren hinweg zu pflegen kostet Zeit, Mühe und Geld. Aber sie hat eine Basis menschlich, das zeigte die Euphorie der russischen und deutschen Musiker bei der anschließenden Party im Innenhof des Theaters. Und musikalisch: Das war auf dem Domvorplatz zu hören.

Nun war dieses Konzert keineswegs als götterfunkelndes Event angelegt, sondern als Gedenkkonzert mit todernstem Hintergrund. Deshalb hatte das Osnabrücker Orchester die russische Komponistin Elena Firsova mit der Komposition von " Erwartung" beauftragt, einer Art Requiem für die Toten von Stalingrad. Darin wehen dünne Morgennebel, es tobt die Schlacht, es klagen die Stimmen der unbekannten Soldaten. Unter Generalmusikdirektor Andreas Hotz nimmt das zwanzigminütige Konzert plastisch Gestalt an, mit filigranen Klängen und hervorragenden Instrumentalsolisten sowie einem bestens disponierten Chor aus Domchor, Marienkantorei und den Theaterchören. Herbe Kost bleibt es trotzdem.

Breiteren Raum nimmt die Utopie Beethovens ein: " Alle Menschen werden Brüder." Hatte der Wolgograder Dirigent Edvard Serov in Wolgograd den Breitwand-Sound à la Karajan gepflegt, legt Hotz nun die historischen Klangstrukturen frei. Dafür wählt er straffe Tempi, setzt auf knackige Transparenz, die sich auch dank der hervorragenden Verstärkung erschließt, und disponiert mit Blick für Kulminationspunkte und Brüche. Die Chöre, vorbereitet von den Kirchenmusikern Clemens Breitschaft und Carsten Zündorf sowie dem Theatermann Markus Lafleur, vollenden diesen Eindruck zusammen mit den Solisten, der Sopranistin Lina Liu, Almerija Delic (Mezzosopran), dem Gasttenor Thomas Mohr und Bariton Daniel Moon. Wenn dann erstmals das Motiv von " Freude, schöner Götterfunken" in Bässen und Celli erklingt, mag manche Träne der Ergriffenheit und, ja, der Freude geflossen sein über den krönenden Abschluss dieses wahnsinnigen Projekts.
Bildtexte:
Gemeinsam gestalten sie das Gedenkkonzert: Musiker aus Osnabrück und Wolgograd spielen Beethovens 9. Sinfonie in einem Open-Air-Konzert.
Er sorgte für ein straffes Klangbild: Osnabrück Generalmusikdirektor Andreas Hotz stellte die Musiker bestens ein.
Stark: Bariton Daniel Moon vom Theater Osnabrück.
Gastgeber: Osnabrücks Intendant Ralf Waldschmidt.
Die grandiose Kulisse: Beethovens 9. Sinfonie erklang vor dem Osnabrücker Dom.
Partner beim Versöhnungsprojekt: der Direktor der Wolgograder Philharmonie, Viktor Nikolajevitsch Kijaschko, und Vasily Kusnezow vom Goethe-Institut Moskau, der Kijaschkos Ansprache übersetzte.
Fotos:
Hermann Pentermann

Osnabrück. Elena Firsova ist nicht zum ersten Mal in Osnabrück: Ihr achtes Streichquartett mit dem Titel " Der steinerne Gast" wurde hier im Schloss uraufgeführt. Jetzt ist die russische Komponistin wieder da und hört die Deutsche Erstaufführung ihres Werkes " Erwartung" beim Klassik-Open-Air auf dem Domvorplatz.
Frau Firsova, wie haben Sie in Ihrer Komposition dem Ende der Schlacht um Stalingrad Rechnung getragen?
Ich habe komponiert wie immer, habe mich aber natürlich vom zugrundeliegenden Text inspirieren lassen. Das ist einigermaßen kurios: Mein Lieblingsdichter ist Ossip Mandelstam. Doch Texte von ihm zu verwenden hätte in Russland zu Problemen führen können: Die unterliegen in Russland dem Urheberschutz, weil sie nicht, wie im Rest der Welt, siebzig Jahre nach dem Tod des Autors frei werden, sondern siebzig Jahre nach der Veröffentlichung. Auf der Suche nach einem passenden Gedicht stand ich nun vor meinem Bücherregal, und ein Buch des Dichters Alexander Blok fiel heraus. Als ich es aufhob, war eine Seite aufgeschlagen mit dem Gedicht eines unbekannten Soldaten. Blok selbst überreichte mir das Gedicht, das ich " Erwartung" zugrunde legte.
Ihre Musik spricht sehr explizit vom Krieg.
Deshalb habe ich es " Erwartung" genannt. Es beschreibt die Vorbereitung auf eine Schlacht. Anfangs ist die Landschaft noch beschaulich und weit. In der Mitte des Stücks beginnt eine Passage für Schlagwerk: Das ist die Beschreibung der Schlacht. Darüber stülpt sich das Orchester in drei Wellen, und schließlich setzt der Chor ein. Das ist die Situation nach der Schlacht: ein Requiem, das den unbekannten gefallenen Soldaten eine Stimme gibt.
Dieses Requiem verschwindet im Nichts. Wie muss man das verstehen?
Das Stück endet mit Schlägen der Militärtrommel. Denn auch wenn sich das Stück auf die Schlacht um Stalingrad bezieht seit 1943 hat es unzählige weitere Kriege gegeben und unzählige weitere Opfer.
Hat es Sie beeinflusst, dass dieses Werk neben Beethovens Neunter erklingen sollte?
Ich war mir anfangs nicht sicher, ob ich einen Chor ein-setzen sollte allerdings weniger wegen Beethoven, sondern weil das Stück in Wolgograd uraufgeführt wurde und die russischen Chöre ziemlich schlecht sind. Andererseits: Wann hat man schon mal die Gelegenheit, für ein großes Orchester und Chor zu schreiben? Der Kompromiss war dann, den Chor erst am Ende einzusetzen, sodass der Chorpart nicht zu lang und auch für russische Chöre machbar werden würde.
Sie haben " Erwartung" dann erstmals auf dem Live-Mitschnitt der Radioübertragung aus Wolgograd gehört. Waren Sie zufrieden?
Oh ja! Der Chor war gut für einen russischen Chor überwältigend gut.
Bildtext:
Komponistin Elena Firsova.
Foto:
Hermann Pentermann

Kommentar
Publikum erreicht

Das Osnabrücker Symphonieorchester hat beim Klassik-Open-Air mit einem Konzert mehr Publikum erreicht als mit zwei oder drei regulären Abo-Abenden im Konzertsaal. Vermutlich hätte sich der Platz vor dem Dom sogar locker ein zweites Mal gefüllt. Und das mit einer Kunst, die den Ruch des Elitären nicht loswird.

Nun war dieser Abend Teil des Wolgograd-Projektes das zog sicher beim Publikum. Doch es existiert ein Markt für Klassik-Open-Airs Konzerte auf der Berliner Waldbühne sind ein ebensolcher Renner wie Operngalas mit all den Netrebkos, Kaufmanns, Schrotts. Und dort wird, bei aller Melodienseligkeit, ernsthaft Musik gemacht.

Die Schwelle zu den Kulturtempeln bleibt trotzdem hoch: Die wenigsten werden nach einer Operngala tatsächlich ins Opernhaus finden. Umso sinnvoller ist es, die Botschaften hinauszutragen: in die Stadt, zu den Bürgern. Das geht mit Würde und Anspruch; die Osnabrücker Symphoniker haben es bewiesen. Sie haben hervorragende Werbung für sich gemacht und leisten damit einen Beitrag zur Zukunftssicherung. Zur Nachahmung empfohlen.

Persönlich

Ohne Vasily Kusnezow wäre das Wolgograd-Projekt der Osnabrücker Symphoniker vermutlich kläglich gescheitert. Der Mann vom Goethe-Institut Moskau verfügt über profunde Sprachkenntnisse: Beim Opern-Air-Konzert übersetzte er die Reden vom Deutschen ins Russische und umgekehrt.
Autor:
Ralf Döring


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