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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
"Kinderfachabteilung" als Stätte des Grauens
Zwischenüberschrift:
Nationalsozialistische Ärzte ermordeten den 13-jährigen Siegfried Spitzley in Lüneburg
Artikel:
Kleinbild
 
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Originaltext:
Osnabrück. Ein kleiner Junge musste sterben, weil er unter epileptischen Anfällen litt. Die " Kinderfachabteilung" der Landes-Heil- und - Pflegeanstalt erwies sich nicht als Ort, den seine Bezeichnung vermuten ließ, sondern als Stätte des Grauens, an der nationalsozialistische Ärzte über Leben und Tod entschieden. Siegfried Caesar Friedrich Spitzley wurde 1944 im Alter von 13 Jahren ermordet – " mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit", wie es in den Recherchen des Initiativkreises Stolpersteine heißt.
Das Haus, in dem Siegfried Spitzley mit seinen Eltern Ida und Fritz und vier Geschwistern einst lebte, steht nicht mehr. Heute befindet sich an der Kommenderiestraße 77 die Zufahrt zu einem Parkplatz. Als der Junge im Februar 1944 in die Lüneburger Anstalt eingewiesen wurde, war die Stadt längst von Bombenangriffen gezeichnet. Doch erschütterten sie kaum die Ideologie der Nationalsozialisten. Deren Rassenwahn wirkte weiter. Dazu gehörte die Bewertung von Menschen nach ihrer Nützlichkeit. Die Nationalsozialisten unterschieden zwischen " wertem" und " unwertem" Leben. Im letzteren Fall sprachen sie von " Ballastexistenzen". Die Ideologen verachteten Fürsorge, Mitgefühl und Nächstenliebe.
Ärzte unter anderem in der Lüneburger " Kinderfachabteilung" erhielten vom Reichsausschuss in Berlin eine " Behandlungsermächtigung", mit der Kinder zur Tötung freigegeben wurden. Offenbar handelte es sich nicht um Anweisungen. Die Ärzte entschieden nach eigener Willkür, ob sie helfen oder töten würden mit dem Schlafmittel Luminal, mit Morphium oder Nahrungsentzug. Vor den Angehörigen verschleierten Ärzte die wahren Todesursachen. Offiziell waren die Kinder unter anderem an " Bronchitis" und " Mandelentzündung" gestorben.
Einer der Ärzte hatte Siegfried Spitzley als " folgsam [... und] an sich sauber" beschrieben. Angaben über seinen Tod im August 1944 sind nicht überliefert und erst recht nicht die wahren Umstände, ob " Spritze oder Reduzierkost", wie es Margret Trentmann bei der Stolpersteinverlegung an der Kommenderiestraße 77 formulierte. Die Vorsitzende sprach für den Verein " Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung", die Patin des Gedenksteins für Siegfried Spitzley ist. " Heute hätte er wohl ganz normal unter uns leben und wir hätten ihn kennenlernen können."
Stattdessen wurde der damals 13-jährige Junge Opfer der sogenannten " Kinder-Aktion", während deren allein in der Lüneburger Anstalt etwa 350 Kinder aus Norddeutschland ermordet wurden etwa die Hälfte der dortigen kleinen Patienten. Es wird geschätzt, dass mehr als weitere hundert an den Folgen von Mangel- und Fehlversorgung starben. In ganz Deutschland dürften nationalsozialistische Ärzte und ihre Mitarbeiter bis Ende des Zweiten Weltkriegs mehr als 5000 Kinder ermordet haben. Im Nürnberger " Ärzteprozess" 1946 wurden die Taten als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft.
In Lüneburg erinnert eine Gedenkstätte an die ermordeten Kinder und in Osnabrück ein Stolperstein an Siegfried Spitzley.
Bildtext:
Kommenderiestraße 77: Das Haus, in dem Siegfried Spitzley gelebt hat, steht nicht mehr. Nationalsozialistische Ärzte ermordeten den Jungen in Lüneburg.
Fotos:
Klaus Lindemann

Stolpersteine
Messingplatten in Gehwegen erinnern an Opfer des Nationalsozialismus jeweils vor den Wohn- oder Wirkungsstätten der Juden, Sinti, Deserteure, Menschen, die aus politischen und religiösen Gründen, wegen ihrer sexuellen Orientierung, einer psychischen Erkrankung oder einer Behinderung verfolgt und ermordet wurden. Der Kölner Künstler Gunter Demnig ist Initiator des Projekts Stolpersteine, dem sich Hunderte Kommunen angeschlossen haben. Patin für den Gedenkstein an der Kommenderiestraße 77 ist die Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung. Verlegt haben ihn die Schüler Nando Christ, Jan Rotert und Atilla Ilman vom Berufsschulzentrum am Westerberg. Das Büro für Friedenskultur nimmt Hinweise über Schicksale von Opfern des Nationalsozialismus entgegen. Die Telefonnummer lautet 05 41/ 323-22 87.
Autor:
Jann Weber


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