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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Auf der Spur der Blindgänger
Zwischenüberschrift:
Spezialfirmen durchforsten den Osnabrücker Boden nach Weltkriegsbomben
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Sie stecken ab, bohren und messen für die Sicherheit der Bevölkerung. Teams der Kampfmittelbergung sind seit 15 Jahren in Osnabrück unterwegs, um gezielt nach Blindgänger zu suchen. 2200 Punkte aus dem Zweiten Weltkrieg wurden bereits überprüft. Doch das Ende der Kontrollen ist damit noch lange nicht erreicht.

" Kampfmittelbergung" steht in großen weißen Lettern auf dem Lack des grünen Transporters. Wer an dem unscheinbaren Wagen in der Meller Straße vorbeifährt und die Aufschrift liest, könnte Großes vermuten: Gefahr, Explosion und eine unmittelbar bevorstehende Evakuierung der Nachbarschaft oder wenigstens Arbeiter in Aktion. Nur Letzteres trifft an diesem Nachmittag zu. Denn von Aufregung kann hinter den Häuserreihen keine Rede sein. Konzentriert bearbeiten drei Männer in Latzhosen zwei große Rasenflächen. Mit schwerem Gerät bohren sie sich durch die Erde. Sie sind auf der Suche. Und hoffen, nichts zu finden.

" Bis zum letzten Loch kann ich keine Entwarnung geben", sagt Peter Rauch. Mit seinem Team überprüft der Feuerwerker das Osnabrücker Erdreich. Sollte sich hier eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg verbergen, das Celler Unternehmen Schollenberger Kampfmittelbergung würde sie finden. " Hier ist aber nichts", vermutet Rauch und wird schließlich recht behalten.

Seit dem Jahr 2000 haben solche Untersuchungen in Stadt und Landkreis Osnabrück System. Das Ausrichten der Weltausstellung brachte die Landesregierung in Hannover zu den kontrollierenden Maßnahmen, erinnert sich Ernst Werner Heinicke vom Osnabrücker Fachbereich Bürger und Ordnung. Denn während der Expo seien in Hannover keine Sondierungsarbeiten durchgeführt worden. " Wo können wir stattdessen suchen?", habe es damals geheißen. Auch die Hasestadt und ihre Region waren während des Zweiten Weltkriegs stark bombardiert worden. So wurde Osnabrück zu einem der neuen Einsatzgebiete der Kampfmittelbergung.

Während zunächst der staatliche Kampfmittelrettungsdienst die Überprüfungen leitete, haben sich heute deutschlandweit private Anbieter etabliert. Nach einer Ausschreibung fiel die Wahl für 2015 auf die Firma Schollenberger Kampfmittelbergung. " Sie hatten das beste Angebot", sagt Heinicke.

Und nun steht Peter Rauch im Osnabrücker Stadtteil Fledder. Auf seiner Karte deutet der Brandenburger auf markierte Punkte im Stadtgebiet. Rote Kringel ziehen sich durch einzelne Straßen. Wenn eine Stelle überprüft ist, wird der Kreis mit einem blauen Kreuz durchgestrichen. " 30 Punkte sind schon weg", sagt der Einsatzleiter. Allein in Kleingärten hätten sie dieses Jahr noch 25 Verdachtsstellen vor sich.

An diesem Tag fällt ihm die Überprüfung nicht sonderlich schwer. Die beiden Wiesen, auf denen das Team sucht, sind weder bebaut noch bepflanzt. Nachdem der Zaun, der die Grundstücke voneinander abgrenzt, durchtrennt worden ist, beginnt der Trupp das Raster zu bohren eine Hälfte rechts des Zauns, die andere links.

Routiniert bedient Wolfram Hecht die vielen verschiedenen schwarzen Hebel seiner Maschine. Ob auf Helgoland oder in Österreich, der 55-Jährige hat schon überall gebohrt. Sechs Meter tief werden die einzelnen Löcher, die heraussprudelnde Erdmasse drapiert sich wie ein kleiner Maulwurfshügel um den Bohrer. " Sie merken, wenn Sie auf Eisen bohren", sagt Hecht abgeklärt.

Sollte das nicht der Fall sein, kommen blaue Plastikrohre zum Einsatz. Mit seinem Helfer Michael Stockhower schiebt Hecht die langen Gestänge durch die Löcher in die Erde. Anschließend lässt Peter Rauch eine Sonde den Tunnel hinabgleiten, die magnetische Anomalien misst. Sollten sich Unregelmäßigkeiten im Magnetfeld befinden, schlägt das Gerät Alarm. Im schlechtesten Fall verbirgt sich hinter den Werten ein nicht detonierter Blindgänger. Aber auch Altlasten im Boden können ungewöhnliche Messungen hervorrufen.

Um Verdachtspunkte zu ermitteln, werden alte Luftbilder der Alliierten nach Einschlägen und Kratern ausgewertet. Daraus ergeben sich jährlich zwischen 100 und 200 Stellen in der Stadt, die untersucht werden müssen. Hinzu kommen Hinweise von Zeitzeugen. Vor allem diese weisen eine hohe Trefferquote auf. Während sich bei den Verdachtspunkten nach Luftbildern zwischen neun und zehn Prozent bewahrheiten, treffen die Hinweise der Zeitzeugen zu 70 bis 80 Prozent zu. " Es ist immer wieder verblüffend, wie gut das Gedächtnis dieser Tippgeber ist", sagt Ernst Werner Heinicke. 2200 Verdachtspunkte habe die Stadt von 2000 bis 2014 überprüft und dabei 215 Blindgänger gefunden.

In der Räumung von Bomben hat auch die eingespielte Truppe aus Celle Erfahrung. Rauch arbeitet seit 16 Jahren, Hecht seit neun Jahren für die Firma Schollenberger. Kennengelernt haben sich die beiden beim Bergungsdienst. 200 Blindgänger hat Peter Rauch in der Vergangenheit schon selbst aus dem Boden geholt. Heute kümmern sich sein Kollege und er überwiegend um die Sondierungsarbeiten.

" Wenn es irgendwo brennt, dann werden wir gerufen", sagt Hecht. Ihre Einsatzbereitschaft lässt sie nicht nur quer durch Niedersachsen, sondern auch über Deutschlands Grenzen hinweg reisen. Nur selten sind sie am Firmensitz von Schollenberger in Celle, nur selten schlafen sie im eigenen Bett. " Vielleicht haben wir deshalb auch keine Frauen", sagt Hecht über ihr Junggesellenleben und lacht. Der Großteil der Grundstücksbesitzer sei ihnen in der Vergangenheit sehr freundlich begegnet. Viele seien froh, dass die Verdachtspunkte überprüft werden. Damit Straßen und Gärten bei den Sondierungs arbeiten nicht beschädigt werden, sorgt das Osna brücker Straßen- und Tiefbau-Unternehmen Jirsak für die Vor- und Nacharbeit. " Heute war es sehr einfach", sagt Jirsak-Mitarbeiter Andreas Mäscher. Lediglich der Zaun musste durchtrennt werden, dann konnten die Arbeiten auch schon beginnen. Bohrungen an Straßen seien in der Organisation deutlich schwieriger. Dort müssen Versorgungspläne gecheckt und unterirdische Leitungen erkannt werden. " Wenn unter der Straße eine Mittelspannungsleitung entlangläuft, ist das nicht ungefährlich", sagt Mäscher. Daher gilt eine einfache Regel: Es wird nur dort gebohrt, wo es die Herren vom Straßen- und Tiefbau erlauben.

Bei den Sondierungsarbeiten sind Andreas Mäscher und seine Kollegen Peter Müller und Max Mihm nicht nur die Ersten, sondern auch die Letzten vor Ort. Sobald die Löcher auf Blindgänger überprüft wurden, verschließen die Männer diese wieder. Die Teams von Schollenberger und Jirsak sind längst eingespielt und arbeiten Hand in Hand. Beschwerden der Anwohner gebe es nur wenige selbst wenn mal ein Baum, Busch oder Beet weichen muss. " Wir versuchen, immer den Originalzustand wiederherzustellen", sagt Peter Rauch.

Für das Jahr 2015 hat der Haushalt der Stadt Osnabrück 440 000 Euro für die Kampfmittelbeseitigung zur Verfügung gestellt. Sollte jedoch der Ernstfall eintreten und eine alte Fliegerbombe auf einem Privatgrundstück gefunden werden, erhalten die Eigentümer von diesem Geld nichts. " Wenn auf einem Grundstück Kampfmittel gefunden werden, dann sind dadurch beim Grundstückseigentümer entstehende Kosten grundsätzlich von ihm selbst zu tragen. Zu diesen Kosten gehören auch die Personalkosten der Stadt sowie die Kosten der Luftbildauswertung", sagt Fachbereichsleiterin Sandra Solf dazu. Lediglich die Kosten für die Evakuierung trage die Kommune, und für die eigentliche Entschärfung des Kampfmittels und dessen Entsorgung komme das Land auf. Der vom Entschärfungskommando abgerissene Wintergarten oder der verwüstete Garten hingegen gehen zulasten des Eigentümers.

Daher wird neben dem Abarbeiten der Verdachtspunkte vielen Eigentümern eine Kontrolle ihres Grundes empfohlen, bevor sie mit einem Bauvorhaben beginnen. Die Bauherren würden diesem Rat in der Regel auch nachkommen, heißt es vonseiten der Stadt Osnabrück. Eine Investition, die sich für die Zukunft lohnt. Denn sollte tatsächlich ein Blindgänger gefunden werden, sind die Vor- und Nachbereitungen sowie die Bergung auf einem unbebauten Grundstück wesentlich günstiger als auf bebautem Grund.

In ganz Niedersachsen sind seit dem Jahr 1960 rund 10 500 Bombenblindgänger aus dem Krieg gefunden worden. Wie viele immer noch im Erdreich schlummern, vermag niemand zu sagen. Eine genaue Zahl der Verdachtspunkte in Osnabrück kann auch Ernst Werner Heinicke nicht nennen. " Es gibt noch Hunderte Punkte. Mit diesen Untersuchungen haben wir in den nächsten zehn Jahren noch genug zu tun", sagt er.

Es muss sich also kein Anlieger Sorgen machen, wenn ein Wagen mit dem Schriftzug " Kampfmittelbergung" in der Straße steht. Peter Rauch und Wolfram Hecht arbeiten hier im Dienste der Sicherheit der Bevölkerung und in den meisten Fällen finden sie nichts Besorgniserregendes. Würden Wagen wie ihre nicht in der Stadt stehen, käme es zwar nicht so häufig zu Evakuierungen von ganzen Stadtteilen doch irgendwann würde sich das Nichtstun rächen. " Manche Blindgänger haben Langzeitzünder", sagt Hecht, " die melden sich irgendwann."

Bombenräumungen in und um Osnabrück weitere Berichte auf www.noz.de/ bombe
Bildtexte:
Hinter den Häuserreihen der Meller Straße untersuchen Peter Rauch (links) und Andreas Mäscher mit einer Sonde die Erde nach magnetischen Anomalien. Diese können von Bombenblindgängern ausgehen - oder von harmlosem Metallschrott.
Sechs Meter tiefe Löcher bohrt Wolfram Hecht in den Erdboden.
Anschließend stemmen er und sein Kollege Michael Stockhower ein langes Plastikrohr in das Loch.
Das Gerät schlägt Alarm, wenn es magnetische Anomalien in der Erde misst.
Auf solchen Karten sind die Verdachtspunkte in der Stadt Osnabrück eingezeichnet.
Max Mihm, Andreas Mäscher und Peter Müller (v.l.) von der Firma Jirsak sind die Ersten und die Letzten vor Ort.
Fotos:
Michael Gründel
Autor:
Sarah Engel


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