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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Mit dem Tablet-PC in die vierte Klasse
 
"Kindliche Neugier sollte befriedigt werden"
 
Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben, Rechnen nicht vernachlässigen
Zwischenüberschrift:
Diesterwegschule schafft mit Preisgeld Tablets an – Werkzeug, kein Spielzeug
 
Medienwissenschaftler über Gefahr und Nutzen von Tablet-PCs für Schüler
 
Pädagogin: Viertklässler nur 30 Minuten vor dem Bildschirm
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Ein ganz normaler Freitagmorgen in der Diesterwegschule im Schinkel. Es ist kurz nach halb neun, kleine Pause. Einige Türen stehen offen und geben einen Einblick in die Klassenzimmer, in denen getratscht, gelacht und geblättert wird. Stifte, Hefte und Mappen liegen auf den Tischen. Hinter der Tür der Klasse 4c am Ende des Ganges öffnet sich ein anderes Bild. Hier liegen keine Hefte und Mappen. Hier liegen Tablet-PCs.

Seit Herbst 2012 ist die vierte Klasse von Anne Vor dem Berge Projektklasse für Tablet-PCs im Grundschulunterricht. Den ersten Baustein haben sich die Schüler dafür selbst gelegt, und zwar bereits in Klasse drei: " Wir haben an einem Wettbewerb der Firma Hellmann teilgenommen", berichtet die Klassenlehrerin, die auch Mitglied der Schulleitung ist. Wie könnte es bei der Firma Hellmann anders sein: Es ging um das Thema Logistik. Die Schüler hatten selbst eine logistische Aufgabe übernommen und ihre eigene Klassenfahrt nach Langeoog geplant. Das Ergebnis war der erste Platz und ein Preisgeld von 10 000 Euro.

" Wir haben nach Rücksprachen mit den Eltern entschieden, Tablet-PCs für die Schüler anzuschaffen", sagt Vor dem Berge. Für die Apple-Variante, das iPad, habe das Geld dennoch nicht gereicht. " Aber wir hatten das Glück, einen Computerexperten unter den Eltern zu haben", erzählt die Lehrerin. Gemeinsam habe man also geschaut, was die Kinder mit den Tablets machen sollten und welche Leistungen das Gerät dementsprechend mitbringen müsse. Die Entscheidung fiel schließlich auf ein Gerät der Firma Lenovo.

Inzwischen tragen die Kinder die millimeterdünnen Arbeitswerkzeuge wie selbstverständlich hin und her: morgens mit in die Schule, nachmittags mit nach Hause. " Ich schicke den Kindern Arbeitsblätter per E-Mail, und sie senden sie mir per E-Mail zur Korrektur zurück. Das ist viel einfacher und schneller", sagt Anne Vor dem Berge. Viel einfacher als mit Papier, viel einfacher als mit dem klassischen Hausaufgabenheft. " Wir schreiben unsere Hausaufgaben in Evernote auf dem Tablet", erzählt die neunjährige Annegret. Evernote ist ein Textbearbeitungsprogramm, das die Kinder mit Anne Vor dem Berge im Unterricht kennengelernt haben. " Wir nehmen die Aufgaben aus unserem Raketenheft und machen sie dann auf dem Tablet", erklärt das Mädchen weiter.

Das Raketenheft ist ein ganz normales, herkömmliches Arbeitsheft für den Deutschunterricht mit einer Rakete auf der Vorderseite. Kleine Texte zum Trainieren des Leseverstehens, kleine Aufgaben und zu beantwortende Fragen wechseln sich hier ab. " Früher" haben die Jungen und Mädchen aus der 4c diese Raketenheftaufgaben in ihr Deutschheft geschrieben. " Dafür nehmen wir jetzt das Tablet", sagt Annegret.

Sie und ihre beiden Sitznachbarinnen Amelie (10) und Lucy (9) holen ihre Raketenhefte aus der Tasche und schlagen eine Aufgabe auf, die sie letztens als Hausaufgabe bearbeiten sollten. " Diesen Text sollten wir lesen und dann Fragen beantworten", sagt Lucy. " Und wenn wir mal Wörter haben, die wir nicht verstehen, helfen wir uns gegenseitig oder gucken bei Google."

Klassenkameradin Jella zeigt derweil vorne für alle, wie sie mithilfe eines speziellen Tablet-Programms eine Personenbeschreibung inklusive Foto erstellt hat: Klick, klick, klick und noch mal! Mit einer kleinen Fotorunde im Klassenraum fing die Aufgabe an. Die Jungen und Mädchen fotografieren sich gegenseitig mit ihren Tablets und speichern die Bilder ab. " Gut beschriften, damit ihr die Bilder auch schnell wiederfindet", rät Anne Vor dem Berge ihren Schülern. Danach öffnen sie ein Dokument in ihrem Programm und fügen das abgespeicherte Bild ein. Fehlt nur noch die schriftliche Beschreibung. Für die Neun- und Zehnjährigen ist das alles kein Hexenwerk. Und das, obwohl viele von ihnen bis vor wenigen Monaten noch gar nichts mit Computern, Internet oder Tablets zu tun hatten: weder Annegret noch Amelie oder Lucy.

Ob sie nicht durften oder nicht wollten? " Weiß ich nicht, ich wollte, glaube ich, auch gar nicht, aber jetzt ist es richtig spannend", meint Amelie und schaut freudig auf ihr neues Werkzeug.

Die Diesterwegklasse hatte Glück, durch einen Wettbewerb an eine so hohe Geldsumme gekommen zu sein, sodass sie sich diese mediale Ausrüstung leisten konnte. In anderen Schulen ist die Finanzierung mit die schwierigste Frage, wenn es darum geht, Tablet-PCs als Arbeitswerkzeuge für Schüler einzusetzen.

" Ja klar, die sind ziemlich neidisch", bestätigen einige Mädchen und Jungen auf die Frage, wie die Kinder aus den anderen Klassen denn reagieren, wenn sie ihre Mitschüler mit Tablet-PCs in der Schule sehen. " Aber für das Thema gibt es noch keine Lösung", sagt Anne Vor dem Berge über die Zukunft der Tablet-PCs an der Schule. " Wir sind erst mal eine Pilotklasse."

Eine Pilotklasse, die durch die Geräte in so manch einen Genuss kommt, der für viele Mitschüler und Gleichaltrige längst (noch) nicht erreichbar ist.

So hat die 4c kürzlich auch am Klasse! Kids-Projekt des Medienhauses Neue OZ teilgenommen. Aufgrund der speziellen Situation im Unterricht, in dem eben nicht nur Papier, sondern auch Tablets und das Internet verwendet werden, haben die Schüler morgens nicht nur eine Print-Ausgabe der NOZ auf der Schulbank gehabt, sondern auch die digitale Ausgabe, die sie auf ihrem Tablet durchblättern konnten. " Es war sehr spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Kinder mit den Ausgaben umgehen", sagt Vor dem Berge. Etwa ein Drittel der 24 Kinder bevorzuge die Printausgabe. " Doch wenn es um Bilder ging, haben alle das Tablet vorgezogen", sagt die Deutsch- und Mathelehrerin und lacht: " Da sind die schnell dahintergekommen, dass man im Internet viel mehr Bilder sehen kann."

Apropos Bilder: Im Kunstunterricht setze sie das Tablet ebenfalls ein, erzählt Vor dem Berge. Die Schüler malen Bilder und lernen im Internet Menschen wie David Hockney kennen, die mithilfe des Tablets ganze Kunstwerke auf den Bildschirm bringen. Anne Vor dem Berge ist sich sicher, mit der Anschaffung eine gute Entscheidung getroffen zu haben: " Die Kinder gehen großartig damit um, sie sind begeistert und unterscheiden zwischen Werkzeug und Spielzeug." Das sei von Anfang an eine Regel gewesen: Das Tablet dient als Werkzeug, nicht als Spielzeug.

Da die Schüler das Gerät für die Hausaufgaben mit nach Hause nehmen, bleibt ein Zeitraum, der nicht von der Schule kontrolliert werden kann. " Spiele sind bei uns gar kein Thema", sagt Jan-Oliver Wagner, der Vater von Marvin. Er könne seinen Sohn nur loben, wie er mit dem Gerät umgehe. Er habe nicht den Eindruck, dass das Gerät außerhalb der Schule überstrapaziert werde. " Die ersten zwei Wochen war das natürlich anders", sagt der Vater mit einem Lächeln. Doch mittlerweile sei der Umgang wirklich vorbildlich. " Meine Frau wollte neulich ihre Mailadresse in einem Formular weitergeben, da meinte mein Sohn, sie dürfe das nicht, das könne gefährlich sein, wenn man seine Daten weitergebe und das nach zwei Wochen Tablet", betont der Vater.

" Wir benutzen das Gerät jeden Tag", sagt die Klassenlehrerin. In einigen Fächern mehr, in anderen weniger. Auch sei es so, dass einige Kollegen mehr auf der medialen Welle mitzögen als andere. " Ich für meinen Teil bin überzeugt, dass diese Art von Unterricht die Zukunft ist", so Vor dem Berge.
Bildtexte:
In ihrem Deutsch-Arbeitsheft haben Lucy, Annegret und Amelie einen kleinen Text gelesen. Mithilfe des Tablets schauen sie im Internet nun unklare Gegenstände und Begriffe nach.
Tipps vom Profi: Der Osnabrücker Student Stefan Holubarsch begleitet die Klasse seit Beginn des Projekts. Mittlerweile hat er sich dazu entschlossen, seine Masterarbeit über die Tablet-Klasse zu schreiben. Hier hilft er gerade Klea (links) und Leyla an ihren Tablets.
Fotos:
Elvira Parton

Osnabrück. Peter Nowotny unterrichtet Medienwissenschaft und Mediendidaktik an der Universität Osnabrück im Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft. Er hat die Tablet-Klasse in der Diesterwegschule besucht.
Herr Nowotny, ab welchem Alter sollten Kinder in der Schule mit Tablet-PCs oder PCs im Allgemeinen in Berührung kommen? Ist die vierte Klasse zu früh?
Auf die Schule bezogen, ist das keine Frage der Schulstufe, sondern eher der Qualität des Tablet-Unterrichts. Andererseits sollte der Schreiblernprozess schon abgeschlossen sein, das heißt, ab der dritten Klasse wäre es möglich. In der Familie hängt es von sehr vielen Faktoren ab und ist eine Entscheidung der Eltern. Wenn die kindliche Neugier aufkommt, sollte sie auch befriedigt werden. Allerdings sollte die freie Verfügung bzw. der Besitz eines Computers für jedes Kind gut überlegt sein. Wie andere Medien fressen Computer auch Zeit, die anderswo dann fehlt bei Spiel und Sport oder beim klassischen Lernen. Die informative Webseite www.internet-abc.de empfiehlt zum Beispiel zwölf Jahre als Richtwert.
In der Schule ist der Tablet-PC ein Werkzeug. Er wird jedoch auch mit nach Hause genommen. Sehen Sie Gefahr, dass er zu Hause zum Spielzeug wird?
Was ist gegen ein Tablet als Spielgerät einzuwenden? Doch nur, dass nicht altersgerecht oder zu viel gespielt wird. Über den zeitlichen Umfang sollte die Familie wachen, und die Schule achtet mit darauf, welche Spiele auf dem Tablet installiert sind. Die Gefahr liegt wohl gegenwärtig eher darin, dass Eltern das Tablet als Spielgerät entdecken.
Wie sehen Sie den Einsatz von Tablet-PCs oder PCs im Schulalltag für die Zukunft: Werden diese Medien das Papier auf Dauer verdrängen?
Lesebücher und ähnlich klassisches Schulmaterial sollten nicht ganz verdrängt werden, so wie das Buch als Kulturgut auf absehbare Zeit nicht verschwinden wird. Es gibt aber Bereiche oder Fächer, in denen ja Schulbücher rasch veralten oder Ergänzungen der Lehr- und Lernmaterialien sinnvoll und notwendig sind. Das ist die Chance für Tablets, sich in den Schulen zu etablieren.
Bildtext:
Peter Nowotny, Medienwissenschaftler an der Uni Osnabrück.
Foto:
Lindemann

Berlin. Kristin Langer ist studierte Medienpädagogin und unterstützt die bundesweite Initiative " Schau hin!! Was dein Kind mit Medien macht" als Mediencoach für Eltern. In ganz Deutschland besucht sie Schulklassen, Eltern und Lehrer, um sie rund um den Einsatz von PC, Tablets, Fernsehen und anderen multimedialen Geräten in der kindlichen Bildung zu beraten. Was sagt sie zum Pilotprojekt der Diesterwegschule?
" Es ist auf jeden Fall gut, wenn wir die Institution Schule nutzen, um Kinder im Umgang mit multimedialen Geräten auszubilden", sagt die Pädagogin, die selbst Mutter einer Tochter ist. Gerade für Schüler, die über konventionelle Wege weniger gut lernten, sei es super, wenn ihnen eine Alternative geboten werde: " Computergestützte Programme können hier ganz anders motivieren, insofern ist es wirklich ein gutes Ansinnen der engagierten Lehrerin, den Einsatz von Tablets zu unterstützen!"
Grundsätzlich begrüßt Kristin Langer die Situation, die ihr über die 4c in der Diesterwegschule geschildert wird. " Aber man muss schon bedenken, dass die Kinder gerade erst neun oder zehn Jahre alt sind und gewisse Grundfertigkeiten durch den Einsatz der Tablets nicht in Vergessenheit geraten dürfen: Lesen, Schreiben, Rechnen oder schlicht daran zu denken, etwas ins Hausaufgabenheft zu schreiben das ist auch wichtig."
Ebenfalls zu überdenken sei die Verweildauer vor dem Bildschirm. " In der dritten oder vierten Klasse sind 30 bis 45 Minuten Bildschirmzeit pro Tag eindeutig ausreichend." Da die Kinder durch den Tablet-Einsatz nicht auf ihre Lieblingssendungen im Fernsehen verzichten wollen, summiert sich die Zeit zwangsläufig nach oben. " Und die Eltern müssen bedenken, dass ihre Kinder durchaus eine Luxussituation erleben", bemerkt Langer. So ein Tablet, für das manch ein Student lange sparen müsse, liege ihnen mit zehn Jahren in der Grundschule dann mal eben vor der Nase. " Da werden die Ansprüche ganz schön hochgeschraubt." Diese Faktoren, empfiehlt Kristin Langer, sollten Eltern und Lehrern unbedingt bedenken.
Info: www.schau-hin.info
Autor:
Stefanie Hiekmann


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