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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Kunststar malte gegen das Vergessen
Zwischenüberschrift:
Serie zum Kriegsende: "Tante Marianne" – Gerhard Richters Bild erzählt von verdrängter NS-Schuld
Artikel:
Kleinbild
 
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Das Mädchen trägt braven Seitenscheitel und den biederen Namen Marianne. Sie hält ein Kind. Das heißt Gerhard Richter und wird später einmal der berühmteste Maler der Welt sein. Marianne Schönfelder lebt nicht so lang, um den steilen Aufstieg ihres kleinen Neffen verfolgen zu können.
Am 16. Februar 1945 wird die an Schizophrenie erkrankte junge Frau im Rahmen des Euthanasieprogramms der Nationalsozialisten in Dresden ermordet. Da ist sie gerade 27 Jahre alt. Gerhard Richter malt das Bild " Tante Marianne" 1965. Der Titel klingt so harmlos, wie das Bild aussieht. Nur wer die Geschichte hinter dem Bild kennt, weiß, was dieses Gemälde eigentlich zeigt den deutschen Albtraum von Schuld und Verstrickung.
Als Richter das Bild malt, ist er selbst 33 Jahre alt. In der Bundesrepublik genießen die Menschen das Wirtschaftswunder. Krieg, Konzentrationslager, das Dritte Reich? Die Mehrheit der Deutschen hat innerlich einen Schlussstrich gezogen.
Während Richter " Tante Marianne" malt, beginnt in Frankfurt am Main allerdings der Auschwitz-Prozess. Er konfrontiert nicht nur Täter, sondern eine ganze Gesellschaft mit der Banalität jenes Bösen, das sich in ihrer Mitte entfalten durfte. Richter hat nicht nur seine Tante an die Nazis verloren. Sein erster Schwiegervater Heinrich Eufinger nimmt als NS-Arzt in Dresden Zwangssterilisierungen vor dort, wo Marianne Schönfelder ermordet wurde. Täter und Opfer in der Familie Gerhard Richters passen sie in ein und dasselbe Fotoalbum.
Mitte der Sechzigerjahre malt Richter seine berühmten Fotobilder. Er malt Konsumartikel und Zeitschriftenfotos ab. Hinter dem scheinbaren künstlerischen Gleichmut steckt Methode. Der Maler bringt an die Ausstellungswand, was das kollektive Gedächtnis bevölkert Konsumträume und Ferienglück, aber auch zerstörte Idyllen wie jene von " Tante Marianne" oder vermeintliche Vorbilder wie " Onkel Rudi". Das ist Richters Onkel, der 1944 in Frankreich fiel. In der Familie war er bewundert als schneidig und gut aussehend.
Das Gemälde zeigt ihn in der Uniform der Wehrmacht. Richter malt die Unschärfen des Schnappschusses so präzise auf die Leinwand, dass das Ölbild zum Abbild eines kollektiven Traumas wird. Der geliebte Angehörige in der Uniform des Täterstaates. In vielen Familien hilft gegen dieses Dilemma nur die Verdrängung.
Gerhard Richter platziert seine lapidaren Bilder nach Fotos aus dem Familienalbum mitten in das große kollektive Schweigen über die NS-Zeit. Er malt diese Bilder, als die bloße Erinnerung an die Schuld noch einen heftig befehdeten Tabubruch darstellte. Damit gehört er zu den wenigen Künstlern, die sich dem Thema von Krieg und Kriegsende, vor allem aber der Frage nach der Fortdauer der Schuld bereits früh stellten.
Gerhard Richter tat sogar mehr als das. Er fand auch eine künstlerische Form, die Werke wie " Tante Marianne" oder " Onkel Rudi" hat kanonisch werden lassen. " Onkel Rudi" stellte er dem Galeristen Rene Block für dessen Erinnerungsprojekt zum NS-Massaker im tschechischen Lidice zur Verfügung.
Buchtipp: Jürgen Schreiber: " Ein Maler aus Deutschland. Gerhard Richter. Das Drama einer Familie". Pendo-Verlag. 2005.

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Bildtexte:
Eine Rose und eine Gemäldereoduktion " Tante Marianne" des Malers Gerhard Richter liegen in Dresden am von Gunter Demnig verlegten Stolperstein für Marianne Schönfelder, Opfer des Euthanasie-Wahnes der Nazis.
Das Werk " Onkel Rudi" aus dem Jahr 1965 von Gerhard Richter.
Fotos:
dpa
Autor:
Stefan Lüddemann


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