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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Sanierungsstau im Hinterhof
Zwischenüberschrift:
Die Rückseite der Häuser Bierstraße 32 und Lohstraße 1 war nicht ihre Schokoladenseite
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Der Ausspruch " Vorne hui, hinten pfui" drängt sich förmlich auf, wenn man die historische Hinterhofansicht der Häuser Bierstraße 32 und Lohstraße 1 mit dem tadellosen Aussehen auf der Straßenseite vergleicht. Die damaligen Anlieger wussten schon, was sie dem Postkartenmotiv " Bierstraße" mit seiner Reihung schmucker Fachwerkgiebel schuldig waren, und hielten die Straßenfassaden gut in Schuss. Die Hofseite hatte dann eben mitunter das Nachsehen.

Es spricht einiges dafür, dass der Osnabrücker Fotografenmeister Rudolf Lichtenberg die Hinterhofsituation im Auftrag des Magistrats einfing, um " Sanierungsdruck" auf die Hauseigentümer auszuüben. Vielleicht war die Umgestaltung zum Zeitpunkt der Aufnahme aber auch schon beschlossene Sache, und Lichtenberg hat lediglich den Altzustand noch einmal dokumentiert. Genaues weiß man nicht. Jedenfalls atmet der Anblick auf dem Lichtenberg′schen Foto noch die Atmosphäre beengter, unhygienischer Wohnverhältnisse, wie sie bis zur Abtragung der Stadtmauern in der Altstadt herrschten und letztlich den Ausbruch einer Cholera-Epidemie in Osnabrück am 17. Juli 1859 begünstigten. Damals erkrankten 295 Menschen, von denen etwa die Hälfte die Krankheit nicht überlebte. Die Seuche hatte innerhalb von drei Monaten ein Prozent der Bevölkerung hinweggerafft.

Zu viele Menschen auf zu kleinem Raum, das war der Kern des Problems. Um 1800 zählte Osnabrück 8564 Einwohner in 1474 Wohngebäuden. Jedes Haus wurde somit durchschnittlich von 5, 8 Menschen bewohnt. Mit der beginnenden Industrialisierung wuchs die Bevölkerung rasch. 1875 hatte sie sich mit 30 000 bereits fast vervierfacht. Jedes Haus war nun statistisch mit 11, 5 Menschen belegt, die Wohndichte hatte sich also fast verdoppelt.

Zwar war das Festungsgebot bereits 1843 aufgehoben worden, doch die Stadt breitete sich nur sehr zögerlich außerhalb der Stadtmauern aus. Vier Fünftel der Osnabrücker hausten weiterhin in der durch die Wälle und den Hasefluss limitierten Altstadtfläche von nur 142 Hek tar.

Die Bevölkerungsverdichtung traf auf eine nicht mitgewachsene, völlig unzureichende Ver- und Entsorgungsinfrastruktur. Trinkwasser wurde aus Brunnen geschöpft, die oft dicht an Aborten lagen. Abwässer wurden in teils noch offene Gerinne geleitet, die ungeklärt in die Hase entwässerten. Auch eine Müllabfuhr gab es nicht. Unrat wurde häufig zusammen mit den Fäkalien von Mensch und Tier sowie Schlachtabfällen und betrieblichen Abwässern jeder Art und Konsistenz in die Gräben gegeben.

Abort-Gruben mussten von Zeit zu Zeit entleert werden, was eine wenig begehrte Tätigkeit darstellte. Da schien es schon praktischer, die " Abtritte" direkt über den Gräben anzulegen. Die Wasserspülung funktionierte jedoch häufig nicht, weil die Gräben zu wenig oder gar falsches Gefälle hatten. Zudem wurden sie nicht gereinigt, sodass der Abfluss-Querschnitt immer weiter abnahm. Bei Starkregen kam es zwangsläufig zu Stauungen Erdgeschoss- und Kellerwohnungen liefen mit stinkender Brühe voll.

Von der " guten alten Zeit" sollte man gerade in dieser Hinsicht also besser nicht reden. Jedenfalls fand die Cholera 1859 zu ihrer Ausbreitung ideale Bedingungen vor. Der Ausbruch der gefährlichen Krankheit lässt sich längs des Osnabrücker " Hauptcanals" und seiner Nebengräben und Gossen nachvollziehen, die seit dem Mittelalter die Wasser des aus der Wüste kommenden Poggenbachs aufnahmen und westlich an der Domburg vorbei beim Hasetor in die Hase leiteten.

Krahnstraße, Bierstraße, Lohstraße, Gerberhof und Vitihof zeichnen in etwa den Verlauf des " Hauptcanals" nach. Historiker Michael Haferkamp schreibt: " Die Ausscheidungen der ersten Cholerafälle waren in den Abwassergraben der Bierstraße entsorgt worden. Prompt traten daraufhin die nächsten Fälle in der Lohstraße, Hasestraße und am Vitihofe auf, folgten also dem Verlauf dieses Abwasserkanals."

Der Schrecken der Cholera machte den Stadtverantwortlichen Beine. 1860 gilt als Geburtsjahr der zentralen städtischen Abwasserkanalisation in Osnabrück, die 1875 für die Innenstadt zu einem ersten Abschluss kam und nach und nach in die Außenbereiche vordrang. Städtisches Trinkwasser gibt es seit 1890, Straßenreinigung und Müllabfuhr seit 1898.

Insofern, das muss zur Ehrenrettung der Hausbesitzer Bierstraße 32 (das ist das Haus in der linken Bildhälfte mit der Durchfahrt) und Lohstraße 1 (das ist das Haus mit dem Doppelgiebel rechts) gesagt werden, waren die gesundheitsfeindlichen Verhältnisse der Cholerazeit im Augenblick dieser Aufnahme um 1905 bereits Geschichte. Die Bierstraße, ehedem mit mehr als 30 Brauereien bestückt, machte ihrem Namen wieder alle Ehre.

Auf der Straßenseite des Hauses Bierstraße 32 hing über der Wirtshaustür ein prachtvolles schmiedeeisernes Schild. Es stellte einen Kranz aus 140 Eichenblättern dar, in den die Wappen Osnabrücks und umliegender Ortschaften eingefügt waren. Oben auf der Stange, die den Kranz hielt, thronte ein Elefant. Im Wirtshaus " Zum Elefanten" wurde natürlich auch Bier gebraut, und zwar als Nebenerwerb des Bäckermeisters Heinrich Essen. Der buk keine kleinen Brötchen, sondern riesige Dinger, die im Volk als " Elefantenbrötchen" bekannt und beliebt waren. Seinem Schöpfer trugen sie den Beinamen " Elefantenbäcker" ein, und bald wurde auch die Gastwirtschaft entsprechend benannt. Sie sollte ihren Namen für lange Zeit behalten bis ins Jahr 1998. Seither bietet dort Cosimo Vitale im Restaurant " La Vecchia Citta" (italienisch: " die Altstadt") Speisen der gehobenen italienischen Küche an.
Bildtexte:
Der Innenhof Bierstraße 32 / Lohstraße 1 um 1905 zeigt im Erhaltungszustand ein gewisses Gefälle zu der straßenseitigen Fassade (kleines Bild unteen links). Beide Fotos wurden von Rudolf Lichenberg jr. aufgenommen (entnommen aus - Bilder einer Stadt, Bd. II. hrsg. Rolf Spilker, Birte Tost, Bramsche 2007.
Auf dem historischen Postkartenmotiv " Bierstraße" präsentiert sich die Osnabrücker Altstadt wie aus dem Ei gepellt. Vorne links das Geschäft von Uhrmacher Carl Kohsiek.
Mit der Nachkriegsbebauung sind die Gebäudekanten etwas verschoben, doch die enge Durchfahrt ist an Ort und Stelle geblieben.
Foto:
Joachim Dierks
Autor:
Joachim Dierks


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