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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Aufregung in der Martinistraße
Zwischenüberschrift:
Unfall auf der Kreuzung mit der Auguststraße war 1932 ein echter Hingucker
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. " Unfall Martinistraße" lautet der Titel dieses im Herbst 1932 entstandenen Fotos. Das Geschehen am rechten Straßenrand zieht die Aufmerksamkeit mehrerer Schaulustiger auf sich. Ob die Straßenbahn mit dem aus der Auguststraße einbiegenden Pkw unliebsamen Kontakt hatte? Oder ob ein hier nicht sichtbarer Radfahrer unter die Räder gekommen ist? Es wird wohl im Halbdunkel der Geschichte bleiben, was genau sich vor 82 Jahren auf der Kreuzung Martinistraße/ Auguststraße ereignete. Interessant ist der Schnappschuss, weil er einen nicht inszenierten, alltäglichen Blick auf Verkehrsteilnehmer und Verkehrsmittel jener Tage gestattet.

Da ist etwa der Radfahrer mit Schiebermütze, vorne rechts im Bild. Die Harke hat er auf das Fahrrad gebunden und befindet sich vielleicht auf dem Weg zu seiner Parzelle in der Gartenkolonie Blumenhalle. Am linken Straßenrand hält ein Auto gegen die Fahrtrichtung, was heute nicht mehr gut möglich wäre. Gleich dahinter kommt uns ein Zweispänner-Fuhrwerk entgegen. Aus der Straßenbahn heraus mustert der Wagenführer oder der Schaffner das Auto, das vorwitzig aus der Auguststraße herausschaut. Karosserien für so einen " Standard 6" der Adler-Werke hat auch der Wagenbauer Karmann hergestellt.

Der Hauptsitz der Firma Karmann befand sich im Rücken des Betrachters an der Martinistraße 61. Aber Karmanns damaliges " Werk III" mit der Modellbau-Abteilung kann man auf dem Foto erahnen. Es lag zurückgesetzt in der Wohnbebauungslücke auf der linken Straßenseite. Nach Karmanns Rückzug von der Martinistraße im Jahr 1962 und der Konzentration aller Werksanlagen im Fledder zog die Firma Lüer mit der ersten Osnabrücker " SB-Zentrale" an der Martinistraße 93/ 95 ein. Heute befindet sich auf dem Grundstück ein Aldi-Markt.

Lebensmittel gab es 1932 in dem Eckhaus links zu kaufen. Es gehörte der Familie Struck. Hedwig Struck hat in diesem typischen Wohnblock-Laden mit Eckeingang noch bis in die 1970er-Jahre Zucker in Tüten abgewogen und Rabattmarken verteilt. Heute residiert dort der Wollladen " Zauberschaf".

Gegenüber wurde das ganze Viertel zwischen Martini-, August- und Katharinenstraße von der Möbelfabrik Friedemeyer beherrscht. Tischlermeister Friedrich Friedemeyer (1885–1947) hatte vor 1920 die Tischlerei von Maximilian Meyer an der Martinistraße 82 aufgekauft und bis 1923 das bis heute erhaltene dreigeschossige Fabrikgebäude im Stil der Neuen Sachlichkeit errichten lassen. Schwiegersohn Albrecht von Gusovius erwarb nach dem Krieg sukzessive die Nachbarhäuser bis Nummer 90 hinzu, erweiterte die Firmenräume und modernisierte die Mietwohnungen. Dabei kam ihm zugute, dass er ausgebildeter Architekt war. In die Geschäftsführung der Möbelfabrik rutschte er " aus Pflichterfüllung" hinein, wie Tochter Elisabeth von Gusovius-Wenner es heute bezeichnet. Denn Friedrich Friedemeyers einziger Sohn und designierter Nachfolger war 1950 überraschend gestorben. " Mein Vater hat zeit seines Lebens mit Leidenschaft geplant und gebaut, aber mit den Jahren wuchs ihm auch die Möbelbranche sehr ans Herz", erzählt Elisabeth von Gusovius-Wenner, nach deren Vornamen das Schlafzimmer-Design " Linie Elisabeth" benannt wurde. " Und dann gab es auch die , Linie Bettina′, denn so heißt meine Schwester."

Was man heute vielleicht etwas achtlos als " Gelsenkirchener Barock" abtun würde, lag damals im Zeitgeschmack der gehobenen Wohnkultur. Friedemeyer bezeichnete sich als " Stilmöbelfabrik für feine Schlafzimmer", die als " zeitlos und wertbeständig" beworben wurden, " weil sie wirklich formvollendet sind". " Wertvolle Messing-Schlüssel sind ebenso Kennzeichen der hochwertigen Friedemeyer-Stilschlafzimmer wie die Verwendung exotischer Massiv-Hölzer und feinster Nußbaum-Splintfurniere, die in dieser Zartheit auf dem Markt eine Mangelware sind", heißt es im Katalog. Wenn dann noch die " leicht antikisierte Schleiflackausführung" sowie " Zierleisten und Schnitzereien mit handgezogener Goldabsetzung" hinzutraten, konnten weder arabische Ölscheichs noch Prominente wie der Boxer Max Schmeling oder die Reitsport-Legende Hans Günter Winkler widerstehen und ließen sich ein Friedemeyer-Schlafzimmer aufstellen.

50 Jahre lang wurden an der Martinistraße einige Tausend Schlafzimmer und " Herrenzimmer" produziert. 1971 verkaufte die Familie den Betrieb an die Firma Finkeldei, die die Fertigung nach Lotte verlegte. Seither sind die Firmenräume an verschiedene Gewerbetreibende vermietet, darunter heute an eine Spielhalle, ein Geschäft für Brautmode, einen Architekten, Fotostudios und die Kunstatelier-Gemeinschaft " M 82". Das kreative Trüppchen hat den Charme der alten Industriearchitektur schätzen gelernt und lässt auch nichts auf den wohl ältesten Aufzug Osnabrücks kommen, Fabrikat Weymann von 1938. Zur Kulturnacht kamen jüngst viele Osnabrücker in die Hinterhof-Ateliers und ließen sich an der " Martini-Bar" bewirten natürlich mit dem gut gekühlten Cocktail des gleichen Namens.
Bildtexte:
Ein Unfall auf der Kreuzung Martinistraße/ Auguststraße machte 1932 viele Passanten neugierig. Der Blick geht stadtauswärts. Die kleine Lindenallee im Hintergrund führte über den Martiniplatz hinaus zur Illoshöhe. Heute beginnt dort der Autobahnzubringer Kurt-Schumacher-Damm.
Bunte Fassaden prägen heute das Bild der Martinistraße. Der bis in die Sechzigerjahre vorherrschende Zementputz im Einheitsgrau ist passé. Das Eckhaus Martinistraße 81 (links, mit Türmchen) ist genauso erhalten wie die Fassaden der früheren Möbelfabrik Friedemeyer (rechts).
" Gelsenkirchener Barock" an der Martinistraße: Möbelfabrik Friedemeyer war bekannt für Schlafzimmer-Stilmöbel, wie diese Katalog-Abbildung aus den 1960er-Jahren zeigt.
Fotos:
Hans Dierks, Joachim Dierks
Autor:
Joachim Dierks
Themenlisten:


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