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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Kindheitstage des Kachelhauses
Zwischenüberschrift:
Das heute als Schandfleck geschmähte Eckgebäude wurde 1966 gefeiert
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. " Die Bronx" oder auch " die tote Ecke von Osnabrück", " Schandfleck der Innenstadt", " Müllsammelplatz", kaum ein Gebäude der Hasestadt hat jemals eine so schlechte Presse bekommen wie das grüne Kachelhaus an der Ecke Neumarkt 14/ Johannisstraße 63–64. Schuld daran sind ausgebliebene Instandhaltungen und Modernisierungen spätestens, seitdem sich abzeichnete, dass das Haus bald zugunsten eines neuen Einkaufszentrums verschwinden wird.

Dabei war Osnabrück vor 50 Jahren durchaus stolz auf die Garnierung des Neumarkts mit grünen Kacheln, die ihm ein " zeitgemäßes architektonisches Gesicht" verliehen, wie es damals hieß. Man muss dazu bedenken, was vorher war. Das ansprechende Gebäude des Hotels Bavaria/ Bayrischer Hof mit dem Bürgerrestaurant " Stadtschänke" war im Bombenkrieg pulverisiert worden. Viele Jahre herrschte vom Neumarkt aus freie Sicht auf das Nachbargebäude Büroeinrichtungen Scherz, Johannisstraße 65. 1953 entstand ein eingeschossiger Notbau auf der Ecke, in den als erstes die Neuauflage der " Stadtschänke" und die Drogerie Smits einzogen. Die " Fassade" bestand aus Ziegelsteinen in Zweitverwendung, die man hastig von alten Mörtelresten befreit hatte.

1956 war die Ladenzeile immerhin verputzt und bis an die Ruinen der Kornbrennerei Gosling verlängert worden. Mieter waren Elles-Blusen, Piano Bössmann, der Zigarrenladen Krüger & Oberbeck und das Radiogeschäft W. Brüggen, wo die Verkäuferinnen als " Polydor-Mädchen" im orangeroten Glockenkleid mit Werbe-Aufnäher hinter der Plattentheke standen und die neuesten Schlager von Caterina Valente und Fred Bertelmann auflegten.

1966 kratzte ebenjener Brüggen alles Geld und unternehmerischen Mut zusammen und setzte an die Stelle der eingeschossigen Ladenzeile ein fünfgeschossiges " Hochhaus". Die grünen Kacheln standen als Fassadenschmuck damals so hoch im Kurs wie heute vielleicht ausgesuchte Natursteinplatten. Unser historisches Bild zeigt den Zustand, als die Geschäfte im Erdgeschoss bereits eröffnet hatten, die Obergeschosse aber noch im Rohbauzustand waren. Der Glaser hat offensichtlich gerade sein Werk vollendet, die gleichförmigen " Honsel-Glas"- Plakate verraten es. Solche Beklebungen dienten als Warnhinweise für andere Handwerker, die hier zuvor unbekümmert noch Stangen oder andere sperrige Gegenstände durch die unverglasten Fensteröffnungen reichen konnten. Die Leuchtreklame-Schriftzüge sind bereits vollständig angebracht. Sie geben Auskunft darüber, dass in den Obergeschossen demnächst Versicherungsgesellschaften und das Café Panorama anzutreffen sein werden.

Das Café versprach einen attraktiven Ausblick auf Osnabrücks Verkehrsknotenpunkt Nummer eins heutzutage als Werbeaussage undenkbar, wo eine Verbannung oder zumindest deutliche Einschränkung des Verkehrs auf dem Neumarkt politisch angesagt ist. Was man damals auch beobachten konnte, mit oder ohne Häme: ob die Rolltreppen in den zwei Jahre zuvor eröffneten Neumarkttunnel funktionierten oder ob sie gerade mal wieder stillstanden.

Ein Netz von Obusleitungen überspannte damals den Neumarkt und erinnert uns an die im Rückblick wenig glückliche Nach-Straßenbahn-Ära. Zu störanfällig und zu unflexibel waren die Trolleybusse, hieß es, und Streckenerweiterungen erforderten zu hohe Investitionen. Nur neun Jahre nach dem Beschluss zur flächendeckenden Einführung (1959) begann man, Masten und Leitungen wieder abzubauen (1968). Der ÖPNV gehörte fortan ganz dem Dieselbus.

Nach 50 Jahren Standzeit sind die Tage des Kachelhauses gezählt. Es soll ebenso wie das rechts anschließende Kaufhaus (früher Hertie und Wöhrl, zuletzt Krüger-Fashion und Makro-Markt beziehungsweise Ypso) abgerissen werden, um dem neuen Einkaufszentrum des Projektentwicklers mfi Platz zu machen. mfi ist seit 2010 Eigentümer und hat damit das monopolyartige Geschachere um die Neumarkt-Immobilien im Brennpunkt unterschiedlicher Einzelhandelsinteressen zumindest an dieser Stelle unter seine Kontrolle gebracht. Noch in diesem Jahr soll mit Abbruch und Neubebauung begonnen werden.
Bildtexte:
Das Kachelhaus in besseren Tagen: 1966 waren die Geschäfte im Erdgeschoss bezogen, während die oberen Stockwerke noch ausgebaut wurden, wie die Glaser-Plakate an den Fenstern zeigen.
Die 50 Jahre alte Fassade hat seitdem keine nennenswerte Modernisierung erlebt.
Notbau anno 1953: In diesem eingeschossigen Vorgänger des Kachelhaus versorgte die " Stadtschenke" die umsteigenden Fahrgäste mit so manchem " Zwichenbier".
Fotos:
H. Strenger aus: Jahreskalender des Museums Industriekultur 2013, Michael Gründel, Kurt Löckmann aus: Wido Spratte Osnabrück 1945-1955 Wenner
Autor:
Joachim Dierks


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