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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Wissenschaftler hält viel von Bürgerticket
 
"Bürgerticket wäre ein Gewinn"
Zwischenüberschrift:
Verkehrsforscher hält solidarisch finanzierten ÖPNV für zukunftsweisend
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Die umstrittene Idee eines Bürgertickets findet Fürsprecher in der Wissenschaft. Während die Ratsmehrheit einen fahrscheinlosen ÖPNV gutachterlich prüfen lässt und viele Osnabrücker schon jetzt gegen die erwogene Bus-Zwangsabgabe auf die Barrikaden gehen, erkennt Gregor Waluga, Doktorand beim renommierten Wuppertal-Institut, in der solidarisch finanzierten ÖPNV-Flatrate einen Gewinn für Klimaschutz und Bevölkerung. Seine These: Bundesweit ist der ÖPNV strukturell nicht kostendeckend und von Zuschüssen, Steuervergünstigungen und Quersubventionierungen abhängig. Schon jetzt würden unrentable Linien zurechtgestutzt oder aufgegeben. Während auf dem Land der Nahverkehr auf gesetzliche Daseinsvorsorge schrumpfe, gebe es in der Stadt zu geringe ÖPNV-Kapazitäten.

Osnabrück. Am Bürgerticket scheiden sich die Geister. Während die Ratsmehrheit einen fahrscheinlosen ÖPNV noch gutachterlich prüfen lässt, geht der gemeine Osnabrücker schon jetzt gegen die erwogene Bus-Zwangsabgabe auf die Barrikaden. Ein Wissenschaftler des renommierten Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie ist dabei, den umlagefinanzierten Nahverkehr zu erforschen.

Was Gregor Waluga zum Bürgerticket zu sagen hat, scheint allerdings kaum geeignet, Lager zu einen. Denn der 31-jährige Doktorand hält einen verpflichtenden Solidarbeitrag für das Mittel der Wahl, um öffentlichen Transport künftig vor Ort auszubauen und zu bezahlen. Als " Gewinn für Klimaschutz und Bevölkerung" bezeichnet er das Bürgerticket in einem Aufsatz, der im Frühjahr in der Fachzeitschrift " Raumplanung" erschienen ist. Und auch unserer Zeitung gibt er sich als Verfechter der Idee zu erkennen.

Walugas Ausgangsthese: Bundesweit ist der ÖPNV strukturell nicht kostendeckend und von Zuschüssen, Steuervergünstigungen und Quersubventionierungen abhängig. Schon jetzt würden unrentable Linien zurechtgestutzt oder aufgegeben. Während auf dem Land der Nahverkehr auf gesetzliche Daseinsvorsorge schrumpfe, gebe es in der Stadt zu geringe ÖPNV-Kapazitäten.

" Dabei ist es dringend erforderlich, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen", sagt Waluga. Klimaschutzziele seien nur zu erreichen, wenn deutlich weniger Auto gefahren werde. Mehr als ein Fünftel des Kohlendioxid-Ausstoßes in Deutschland werde von Verkehr verursacht. Zwei Drittel davon ließen sich auf Pkw zurückführen. Außerdem sei Autoverkehr für einen Großteil jener Emissionen verantwortlich, die Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorrufen.

Bundesweit steckten Kommunen in einem Dilemma: Eigentlich müsste der ÖPNV dringend gestärkt werden. Allein es fehlt das Geld. Das Bürgerticket zeige einen Ausweg. Der Deal: Alle Bewohner oder Haushalte eines bestimmten Gebiets entrichten einen obligatorischen Monatsbeitrag und können im Gegenzug alle öffentlichen Verkehrsmittel ohne weitere Kosten nutzen. " Der Beitrag würde für die Bereitstellung des ÖPNV im räumlichen Geltungsbereich erhoben, unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme durch die Bürger", sagt der Forscher in dem Wissen, dass es genau das ist, was viele Osnabrücker abschreckt. Denn sie fühlen sich durch eine " Zwangsabgabe" bevormundet, wie Reaktionen auf den Vorstoß zeigen.

Der Wissenschaftler aus dem Bergischen Land aber sieht in der Einfachheit der Bürgerticket-Idee ihren größten Vorteil. Abgesehen davon, dass laut Waluga " Menschen Pauschalbeträge bevorzugen", würde mit dem Wegfall des Fahrscheins auch die " tarifliche Zugangshürde zum Nahverkehrssystem" für alle deutlich herabgesetzt. Wo heute ein Angebots- und Preiswirrwarr potenzielle Neukunden abschrecke, ließe die ÖPNV-Umlage nicht nur zuverlässig die Einnahmen des Verkehrsbetriebs sprudeln. Darüber hinaus sei eine Reaktion zu erwarten, die Forscher " Schubseffekt" nennen. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass eine Gegenleistung häufiger in Anspruch nimmt, wer dafür in Vorkasse geht. Im Klartext: Ich habe das Ticket bezahlt, also nutze ich es auch.

Eigenes Experiment

Ermutigt fühlt sich Gregor Waluga durch einen Feldversuch, den er gemeinsam mit Verkehrsverbund und Stadtwerken im Frühjahr 2012 für seine Doktorarbeit in Wuppertal durchführte. Für 27 Euro monatlich erhielten 14 Teilnehmer, größtenteils ÖPNV-Neukunden, drei Monate lang freie Fahrt. Ergebnis: Das Bürgerticket gab " einen entscheidenden Impuls" zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Wer nun die Höhe des Beitrags beklagt, dem hält Waluga entgegen, dass laut Statistischem Bundesamt jeder Haushalt durchschnittlich 328 Euro im Monat für Verkehr hinblättert. Und nach Berechnungen des ADAC die Unterhaltung eines Kleinwagens monatlich mindestens 350 Euro kostet.

Ob Kopfpauschale oder Haushaltsabgabe: Die Grundidee Bürgerticket biete zahlreiche Möglichkeiten zur Differenzierung, erklärt der 31-Jährige und wirbt für eine " sachliche Debatte", die soziale Belange angemessen berücksichtigt. Gregor Waluga: " Eine breite Akzeptanz seitens der Bevölkerung ist Grundvoraussetzung zur Einführung eines Bürgertickets."
Bildtext:
Ideen muss man haben: Fahrscheinkauf im Bus würde der Vergangenheit angehören, sollte es in Osnabrück zur Einführung eines Bürgerticket kommen. Dann wäre der Nulltarif durch eine monatliche Abgabe gesichert.
Foto:
Jörg Martens

Kommentar
Schreckgespenst

Wenn die öffentliche Hand nach dem Portemonnaie des Bürgers greift, ist dieser zu Recht empört. Besonders wenn die Rechnung, die mit privatem Geld zum Wohle aller beglichen werden soll, zu viele Unbekannte enthält. Wie im Fall des Bürgertickets, aktuell eher Schreckgespenst denn Zukunftsvision. Die Gemüter in Osnabrück lassen sich wohl kaum beruhigen, ehe nicht die vom Rat verlangte Machbarkeitsstudie alle denkbaren Fragen geklärt hat, die das Thema stellt. Sie muss zeigen, was unter welchen Umständen in welchem Zeitrahmen möglich ist. Ob eine solidarische Finanzierung des ÖPNV überhaupt zumutbar und angemessen ist, müssen anschließend die gewählten Häupter entscheiden. Denkverbote auf dem Weg dorthin helfen allerdings am wenigsten weiter.
Autor:
Sebastian Stricker


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