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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Leben auf der Straße
Zwischenüberschrift:
Frank, 42, ist obdachlos in Osnabrück – Er hofft auf eine neue Chance
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Wer einmal auf der Straße lebt, findet oft nicht so schnell wieder eine Wohnung. Der Osnabrücker Obdachlose Frank versucht es seit fünf Jahren. Dass er im Freien schlafen muss, ist für ihn nicht das Schlimmste an der Obdachlosigkeit.

Frank friert nicht. Und das, obwohl er schon wieder eine Stunde auf der Straße sitzt, vor einem Geschäft am Osnabrücker Neumarkt, unbewegt. Der Himmel ist grau, der Wind pfeift vorbei, die 10 Grad fühlen sich heute deutlich kälter an.

Die Leute hasten vorbei bei diesem Wetter, kaum jemand legt Frank ein paar Münzen in seinen Pappbecher, denn jeder will schnell wieder heim in die warme Wohnung. Frank hat keine Wohnung. Aber Frank friert auch nicht.

Wenn du den ganzen Tag draußen bist, gewöhnst du dich daran″, sagt der 42-Jährige mit den stahlblauen Augen. Frank ist eigentlich immer draußen, seit fünf Jahren wohnt″ er dort. Seitdem die Mitbewohnerin die Miete nicht mehr zahlte und die Räumungsklage kam. Seitdem schläft er auf Parkbänken oder sitzt im Winter nachts im Bahnhofsgebäude. Werktags sitzt er vorm Geschäft, sonntags vor der Johanniskirche.

Wie viele Obdachlose genau auf Osnabrücks Straßen leben, weiß niemand. Bundesweit könnten nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) 24 000 Menschen im Jahr 2012 obdachlos gewesen sein also ohne feste Unterkunft auf der Straße gelebt haben. Neuere Zahlen hat auch die BAG W nicht.

Wie Frank da auf seiner Sporttasche sitzt, sieht man ihm an, dass er kein Zuhause hat: Er trägt eine alte, schmuddelige Daunenjacke über einem ehemals weißen Kapuzenpulli, ein graues Stirnband. Die schwarzen Jeans sind abgetragen, seine Hände gerötet, die Fingernägel zu lang und mit schwarzen Rändern. Franks Blick geht ins Leere. Er spricht die Leute nicht an, die an ihm vorbeilaufen: Aufdringliches Betteln wird als Ordnungswidrigkeit geahndet.

Frank hatte es bisher im Leben nicht leicht. Aufgewachsen ist er als einer von sieben Geschwistern, und als Einziger davon hat er eine Lehre abgeschlossen. Aber in seinem Beruf als Maschinenbauer hat er nie gearbeitet. Bis vor Kurzem war er als Hilfsarbeiter in einem Industriebetrieb tätig und verdiente 900 Euro pro Monat. Davon konnte ich nie die Kaution für eine neue Wohnung bezahlen″, erklärt Frank. Eine Schwester habe er, die in Osnabrück lebe: Die hat mir gesagt: Du bist obdachlos, lass dich bei mir nicht mehr blicken.″

Einer von Franks regelmäßigen Anlaufpunkten ist die Bahnhofsmission am Hauptbahnhof. Hier geht er regelmäßig frühstücken. Leiterin Heike Becker erklärt: Wir sind keine Essensausgabestelle. Aber wenn jemand kommt und Hunger hat, bekommt er einen Kaffee oder Tee und zwei Scheiben Brot.″

Die Bahnhofsmission steht allen Menschen offen, auch Obdachlosen. Viele von ihnen kämen auch, um sich auszusprechen, erzählt Heike Becker. Dafür stehen Mitarbeiter der von Caritas und Diakonie getragenen Einrichtung bereit; auch einen Raum für ungestörte Gespräche gibt es.

Viele schauen weg

Auf der Straße gehen die Leute an Frank vorbei. Die meisten schauen nicht hin, wer dort sitzt; sie weichen automatisch aus. Einige wenige blicken Frank direkt an. Von denen sehen die meisten neugierig aus, einige aber runzeln auch die Stirn. Viele schauen hasserfüllt″, empfindet es Frank immer wieder.

Doch dann: Ein junges Mädchen bleibt stehen, blondes langes Haar, vielleicht 15 Jahre alt. Hi″, sagt sie. Frank grüßt zurück. Sie nimmt ihren Rucksack ab, holt ihr Portemonnaie heraus, sucht darin. Einen Euro legt sie in Franks Becher. Schönen Tag noch″, grüßt sie, dann trägt die Masse sie weiter.

Wenige Sekunden später ist sie nicht mehr zu sehen. Es sind häufig die jungen Menschen, die mir Geld geben″, erzählt der Obdachlose. Und manchmal bringt ihm auch jemand etwas zu essen vorbei.

Lange Zeit habe er vor seinem Arbeitgeber verbergen können, dass er auf der Straße wohnt, erzählt Frank. Aber jetzt hat er es erfahren, und ich habe meine Arbeitsstelle verloren.″ Er habe keinen Ausweis mehr und komme ohne seine Geburtsurkunde nicht an einen neuen heran. Deshalb kriege ich auch keine Hilfe vom Staat.″

Diese Aussage relativiert Heinz Hermann Flint von der Fachberatungsstelle für Wohnungslose der Sozialen Dienste SKM in der Bramscher Straße. Wenn jemand keinen Ausweis und keine Geburtsurkunde hat, hilft ein Anruf beim Einwohnermeldeamt des Geburtsorts.″ Innerhalb von drei Tagen habe der Bedürftige meist das notwendige Dokument, um den neuen Ausweis zu beantragen. Bei Bedarf könne er dafür auch die Adresse der Fachberatungsstelle nutzen.

Weniger einfach sei es allenfalls, die Gebühr von 28, 80 Euro für den Ausweis aufzubringen, aber: Dafür finden sich Lösungen.″ Und wenn man einen Ausweis hat, könne man auch Arbeitslosengeld II beantragen. Auch die Kaution für eine Wohnung stelle das Jobcenter in Form von Darlehen zur Verfügung.

Die Schwierigkeit vieler Obdachloser beruht nach Ansicht des Beraters eher auf einer Überforderung der Betroffenen mit ihrer Situation. Es ist dann einfacher zu sagen: Es liegt an den anderen″, erklärt er.

In der Fachberatungsstelle bietet Flint mit fünf Kollegen auch Beratung bei der Wohnungssuche an. Für die Klienten der Beratungsstelle sei es allerdings immer schwierig, auf dem angespannten Osnabrücker Wohnungsmarkt eine geeignete Bleibe zu finden.

Abseits!?″- Verkäufer

Frank will im Februar als Straßenverkäufer der Obdachlosenzeitung Abseits″ anfangen. Schon oft hat er sich eine neue Chance erhofft, diesmal könne es wirklich etwas werden. Mit jeder verkauften Zeitung verdiene ich da 80 Cent″, sagt er und freut sich auf den neuen Job. Und die haben da beim SKM auch Wohnungen.″ Für ihn könnte es der erste Schritt sein, um aus der Obdachlosigkeit herauszukommen.

Manche haben hierüber schon eine Arbeit oder eine Wohnung bekommen″, bestätigt Thomas Kater, verantwortlicher Redakteur von Abseits!?″ und bei den Sozialen Diensten SKM zuständig für die Tageswohnung. Wenn ein Verkäufer Ausdauer zeige und über Wochen hinweg seine Zeitung anbiete, honorierten das manche Stammkunden mit einem konkreten Hilfsangebot.

Die Verkäufer erwerben die Zeitungen selbst für 80 Cent in der Redaktion in der Tageswohnung, für 1, 60 Euro können sie sie dann weiterverkaufen. Dort erhalten sie auch den Verkäuferausweis. In den Räumen der Tageswohnung können sich Wohnungslose außerdem den Tag über aufhalten und beschäftigen, essen, Wäsche waschen, duschen und Kleidung erhalten.

Es ist Mittag. Ein paar Schulkinder kommen auf dem Heimweg vorbei. Frank nimmt die Münzen aus dem Kaffeebecher und steckt sie in die Gesäßtasche seiner Jeans: Manchmal benutzen die Kinder den Becher als Fußball. Dann muss ich alles wieder einsammeln, das ist nicht so schön.″ Dass die Kinder vor dem Obdachlosen überhaupt keinen Respekt haben, wundert ihn nicht. Sie schauen ab, was sie von vielen Erwachsenen vorgelebt bekommen.

Wir sind der Abschaum″

Am schlimmsten sind für Frank nicht die Kälte oder die Nächte auf der Straße. Er friert nicht so schnell. Am schlimmsten ist es, wenn er erniedrigt wird. Wir sind der Abschaum der Gesellschaft″, sagt Frank und schaut ernst. Das ist normal, das ist so.″ Manchmal werde er von Passanten beschimpft oder mit Lebensmitteln beworfen, wenn er auf seinem Platz vor dem Geschäft sitze. Heute Morgen hat einer gesagt: Euch Obdachlose müsste man alle erschießen.″

Multimedial:

Videos, Bilder und Infografiken zu dieser Reportage finden Sie unter www.noz.de/ obdachlos
Bildtexte:
Frank vor der Johanniskirche: Er lebt von dem, was ihm die Menschen in seinen Becher legen.
Hier entsteht Abseits!?″: Die Straßenzeitung ist für manche der erste Schritt aus der Obdachlosigkeit.
Beratungsgespräch bei den Sozialen Diensten SKM in der Bramscher Straße.
Auch Bruno lebt seit 15 Jahren in Osnabrück auf der Straße. Hund N-U″ ist sein Begleiter.
Für alle Bedürfnisse gewappnet: Kleiderkammer der Sozialen Dienste SKM.
Bei der Bahnhofsmission ist Frank regelmäßig Gast.
Die Bahnhofsmission ist für alle da: Manfred Winter ist auf Durchreise.
Fotos:
Cornelia Klaebe, Michael Gründel
Autor:
Cornelia Klaebe


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