User Online: 2 | Timeout: 02:03Uhr ⟳ | Ihre Anmerkungen | NUSO-Archiv | Info | Auswahl | Ende | AAA  Mobil →
NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Datensätze des Ergebnis
Suche: Auswahl zeigen
Treffer:1
Sortierungen:
Anfang der Liste Ende der Liste
1. 
(Korrektur)Anmerkung zu einem Zeitungsartikel per email Dieses Objekt in Ihre Merkliste aufnehmen (Cookies erlauben!)
Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Ein Familienschicksal im Krieg
Zwischenüberschrift:
Vater Siekmann starb im Ersten, drei Söhne im Zweiten Weltkrieg
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Ihren Mann und ihre drei Söhne verlor Maria Siekmann in den beiden Weltkriegen und litt darunter bis zu ihrem Tod. Ihr Enkel Franz-Josef Witte hat das Schicksal der Familie aufgearbeitet in Gedenken an seine Großmutter und als Mahnmal gegen die unfassbare Gewalt.

" Meine Oma war für mich eine absolute Vertrauensperson und ich wohl so etwas wie ihr Lieblingsenkel", erinnert sich Franz-Josef Witte. Deswegen war er es auch, mit dem sie über den Verlust ihres Ehemannes und den Tod ihrer drei Söhnen sprach und ihm selbst verfasste Erinnerungen und Bilder aus dieser Zeit anvertraute.

Witte hat diese in jahrelanger Arbeit sortiert, aufgearbeitet und ergänzt und erzählt nun über die schmerzhaften Erfahrungen seiner Großmutter. Diese beginnen mit dem Ersten Weltkrieg, dessen Beginn sich nun zum 100. Mal jährt. Wittes Großmutter, Maria Siekmann, hatte wenige Jahre zuvor geheiratet und bereits drei Kinder, Elisabeth, Maria und Franz, bekommen, als ihr Mann Josef an die Front gerufen wurde.

In den Wirren des Krieges kam 1915 Sohn Heinrich zur Welt, kurz bevor Josef Siekmann an die Ostfront versetzt wurde, wo er 1916 unter bis heute nicht geklärten Umständen starb. " Kameraden meines Großvaters sagen, er sei durch eigenen Granaten-Beschuss gefallen. Die offizielle Lesart der Kriegspropaganda ist aber, dass er durch einen russischen Kopfschuss fiel. Welche Geschichte auch immer stimmt er kam nicht zurück", berichtet Franz-Josef Witte. Das Einzige, was Maria Siekmann blieb, war ein " Gedenkblatt" des Kaisers und eine Sonderzuteilung Weißbrot nach der Geburt von Sohn Josef 1917. " Meine Mutter erinnert sich noch immer daran, wie gut das Weißbrot im Gegensatz zum Mais- und Roggenbrot, das es damals gab, schmeckte", erzählt Witte.

Die Zwischenkriegsjahre stellten die Familie, nun ohne Vater, vor schwierige Aufgaben. Der Hof in Hagen, der bis heute in Familienbesitz ist, sei schon damals sehr klein gewesen, so Witte. Um die Familie zu ernähren, mussten Obst und Eier verkauft werden. Hinzu kam, d ass die Söhne noch nicht alt genug waren, um auf dem Hof mitzuarbeiten. Zur Erledigung der Arbeit musste Maria Siekmann deswegen Arbeiter bezahlen. Trotzdem ermöglichte die Witwe ihren Kindern unter Mithilfe von Verwandten den Schulbesuch und eine ordentliche Berufsausbildung. Wittes Mutter, ebenfalls Maria genannt, heiratete schließlich 1936 den Hagener Fleischer Adolf Witte und baute sich vor Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 mit ihm eine kleine Existenz auf, bevor die Familie erneut zerrissen wurde.

Kälte und Zynismus

Josef, der jüngste Sohn von Maria Siekmann, war der Erste der Geschwister, der 1942 an der Ostfront vermutlich beim Rückzug der Wehrmacht aus Rumänien " für Führer, Volk und Vaterland" starb. Wenig später wurde Sohn Franz in der Schlacht um Stalingrad als vermisst gemeldet, wie er zu Tode kam, ist bis heute unbekannt. In einem Brief an das Wehrbezirkskommando Osnabrück bat Maria Siekmann darum, dass wenigstens ihr dritter Sohn Heinrich vom Frontdienst verschont bleiben möge vergebens. Die Verantwortlichen lehnten das Ersuchen ab, der Hof der Familie sei zu klein, als dass eine zusätzliche Arbeitskraft gebraucht werde, und Franz sei zudem ja nur vermisst, man rechne mit seiner Rückkehr. " Diese Kälte und dieser Zynismus machen mich bis heute wütend", sagt Witte über diese menschenverachtenden Zeilen.

Sowohl Heinrich als auch Ma ria Wittes Ehemann Adolf gerieten zum Ende des Krieges in russische Kriegsgefangenschaft. Während Adolf 1946 durch eine glückliche Fügung, der Buchstabe " W" kommt im kyrillischen Alphabet an dritter Stelle, zurückkehrt, starb Heinrich nach Nachforschungen des Roten Kreuzes in Russland. Franz-Josef Witte, benannt in Gedenken an die zuvor gefallenen Onkel, kam 1942 nur Stunden nach den ersten schweren Bombenangriffen auf Osnabrück auf die Welt. Er erinnert sich nur noch schemenhaft an die Kriegsjahre, wohl aber an die schwierige Situat ion der Nachkriegszeit.

" Als mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, kam ein Beamter zu uns, der ihm zu seiner Heimkehr gratulieren wollte. Es war ebenjener Nazi-Verantwortliche, der meiner Oma geschrieben hatte, ihr dritter Sohn könne nicht zu Hause bleiben. Noch heute sehe ich meinen Vater vor mir, wie er dem Beamten an die Gurgel ging", erinnert sich Witte. Erneut steht die Familie vor großen Aufgaben, sind doch wiederum drei Ernährer Opfer des Krieges geworden. Bis in die 1960er-Jahre hinein seien sie gezwungen gewesen, Obst zu lächerlichen Preisen zu verkaufen, um das Auskommen der gesamten Familie zu sichern, so Witte.

Die Einführung der Wehrpflicht 1956 weckt bei Großmutter Siekmann schmerzliche Erinnerungen. Entschieden stemmt sie sich dagegen, dass einer ihrer Enkel den Dienst an der Waffe antritt. Mit Erfolg: Franz-Josef Witte und seine Brüder verweigern. Großmutter Siekmann leidet bis zu ihrem Tod 1966 unter dem Verlust von Ehemann und Kindern. Franz-Josef Witte erinnert sich gut daran: " Ich habe sie oft weinend in der Ecke sitzen gesehen. Sie sagte dann immer: , Josiep, nu help mie doch.′"

Aus Vergangenheit lernen

Anhand der Geschichte seiner Familie möchte Witte deutlich machen, dass eine solche menschenunwürdige Gewalt nie wieder ausbrechen darf. Für ihn sind Erster und Zweiter Weltkrieg untrennbar miteinander verbunden. Aus diesem Zusammenhang könne und müsse man lernen. Eines ist ihm noch besonders wichtig: " Dies sind die Erfahrungen, die meine Familie machen musste. Vielen anderen ging es genauso schlecht. Die Schicksale, die Krieg mit sich bringt, lassen sich nicht gegeneinander aufwiegen."
Bildtext:
Vier Mitglieder der Familie Siekmann starben in den beiden Weltkriegen: Vater Josef Siekmann (bei seiner Hochzeit mit Maria) und die Söhne Franz, Heinrich und Josef.
Fotos:
privat
Autor:
Nils Stockmann


Anfang der Liste Ende der Liste