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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Höfe enden, wo Naturschutz beginnt
 
Die Bauern und das Moor
 
Landwirtschaft 2023: Große Gewinner, große Probleme
Zwischenüberschrift:
Naturschutz kontra Landwirtschaft: Ein Beispiel aus dem Emsland
 
Studie sieht Einkommenszuwächse bei Milchvieh und Veredelung – Ammoniak-Ausstoß nimmt weiter zu
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Seit fast 50 Jahren haben die Rolfers am Rande der Gemeinde Herzlake einen landwirtschaftlichen Betrieb. Seit drei Generationen arbeitet die Familie hier. Doch wie lange noch? Eine Frage, die auf vielen Bauernhöfen der Region gerade gestellt wird.

Osnabrück. Irgendwo zwischen den Landkreisen Osnabrück und Emsland liegt der Bauernhof der Familie Rolfers. Navigationsgeräte haben Probleme mit der Adresse, so abgelegen ist er. Seit fast 50 Jahren haben die Rolfers hier einen landwirtschaftlichen Betrieb. Seit drei Generationen. Doch wie lange noch? Eine Frage, die auf vielen Bauernhöfen der Region gerade gestellt wird.

Seit Monaten diskutiert die Familie am Küchentisch. Mit Florian stünde die nächste Generation in den Startlöchern. Seine landwirtschaftliche Lehre hat der 21-Jährige hinter sich. Jetzt könnte er voll ins Geschäft einsteigen. Könnte. Mit vielen Ideen sei der Junior aus seiner Ausbildung zurückgekehrt, erzählt Vater Günter Rolfers. " Hier muss etwas passieren", sei die Ansage gewesen. Und im Prinzip stimmt der Vater mit seinem Sohn überein.

Die Gebäude, die Technik seien in die Jahre gekommen. 1965 war der mittlerweile verstorbene Großvater von Neuenlande, heute Teil der Gemeinde Herzlake, ins Moor gezogen. Mit acht Kühen, zwei Bullen und 20 Schweinen ging es los. Ein halbes Jahrhundert später sind es 85 Kühe und 40 Bullen. Die Familie hat sich auf Milchviehhaltung spezialisiert. " Wir sind hier am Standort langsam und Stück für Stück gewachsen", sagt Günter Rolfers. " Immer, wenn Geld da war, haben wir erweitert."

Mittlerweile hat der Betrieb eine Größe erreicht, die über dem Durchschnitt der Milchvieh haltenden Betriebe in Niedersachsen liegt. Laut Agrarstatistik sind es 76 Kühe pro Betrieb. Doch die Größen unterscheiden sich stark: Denn jede zweite Kuh steht in einem Bestand mit insgesamt mehr als 100 Tieren. Die Zahl der großen Betriebe nimmt zu. Innerhalb eines halben Jahres sank die Zahl der Höfe im Land um 1, 3 Prozent auf 11 186. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Milchkühe aber um 1, 3 Prozent auf 850 000. Ein Trend der vergangenen Jahre setzt sich fort: Große Betriebe werden immer größer, kleinere Haltungen geben auf.

Umso erleichterter sei er gewesen, als sein Sohn Florian " aus freien Stücken" die Entscheidung fällte, ebenfalls Landwirt zu werden, sagt Günter Rolfers. Die Betriebsnachfolge war gesichert. So schien es bis vor Kurzem. Denn mit dem Einstieg des Juniors in den Betrieb stellte sich die Frage, wie der Hof in den kommenden Jahrzehnten genug Geld abwerfen kann, um drei Generationen zu ernähren: Großmutter, Ehepaar Rolfers und Florian samt Freundin.

" Wer wirtschaftlich arbeiten will, muss wachsen", sagt Florian. Gemeinsam mit seinem Vater kalkulierte er hin und her und kam zu dem Ergebnis: Der Viehbestand müsste auf 150 Kühe aufgestockt, ein neuer Stall gebaut und ein moderner Melkroboter gekauft werden. 1, 5 Millionen Euro sollte die Erweiterung des Hofes kosten.

Das Geld wäre nicht das Problem. Banken geben Landwirten gerne Kredit. Gerade Milchbauern sind gefragte Kunden. Im Frühjahr 2015 fällt die Milchquote. Dann darf wieder so viel produziert werden, wie die Kühe hergeben, ohne dass Strafzahlungen drohen. Die Bauern bereiten sich darauf vor, indem sie expandieren: Mehrere Tausend Stallplätze für Milchvieh sind derzeit in der Region im Genehmigungsverfahren.

Genau das hatten auch die Rolfers vor. Einen Bauantrag stellen, Geld in die Hand nehmen und dann den Hof zukunftsfähig aufstellen. Doch eine Voranfrage beim Landkreis Emsland brachte ein ernüchterndes Ergebnis: Eine Erweiterung am jetzigen Standort sei nicht möglich. Der Grund ist auf der anderen Straßenseite zu suchen: Hier beginnt das Hahnenmoor, ein 620 Hektar großes Naturschutzgebiet, das sich über die Grenzen der Landkreise Osnabrück und Emsland erstreckt.

" Früher", sagt Vater Günter, " war das alles kein Problem. Da wurde geguckt, ob sich der nächste Nachbar belästigt fühlen könnte. Und wenn das nicht der Fall war, dann wurde gebaut." Und heute? Heute stehe der Naturschutz im Weg.

Ein Stall, oder besser gesagt die Tiere darin, produzieren Emissionen. Nicht nur Geruch, sondern auch Stäube. Und die wiederum gelangen durch die Luft in die Natur und lagern sich ab. Um das Naturschutzgebiet Hahnenmoor ist eine unsichtbare Grenze gezogen. Je näher das Moor kommt, desto geringer muss beispielsweise die Stickstoffbelastung sein, die von einem Stall ausgeht. Warum? Damit die Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft nicht das sensible Moor in seiner Entwicklung stören.

Günter Rolfers hat dafür Verständnis. " Naturschutz muss sein", sagt er. Dass aber die Zukunft seines Hofes auf dem Spiel steht, weil ein Moor Vorrang hat, das geht ihm zu weit. Was tun? Sollte der Bauantrag vom Landkreis Emsland abgelehnt werden, könnte die Familie klagen. " Das sind dann mehrere Jahre vor dem Verwaltungsgericht. Das zermürbt", sagt Günter Rolfers.

Eine andere Alternative: den Stall auf eine freie Fläche fernab des Moores bauen. Florian schüttelt den Kopf. " Kühe sind etwas anderes als beispielsweise Hähnchen. Da muss man immer in der Nähe sein." Eine dritte Möglichkeit, die gerade unter Rinderhaltern immer mehr diskutiert wird: geschlossene Ställe mit Filteranlagen. Dann würden die Stickstoffgrenzwerte locker eingehalten. Wieder ist es Florian, der verneint. " Dann könnte ich auch gleich in die Hähnchenmast einsteigen. Ich schätze den Kontakt zu den Kühen."

10 bis 15 Jahre könnte der Betrieb bei seiner derzeitigen Größe und den jetzigen Milchpreisen noch wirtschaftlich betrieben werden, schätzt die Familie. Danach wäre Schluss. " Was soll ich ansonsten machen? Den Hof aufgeben, das Land verpachten und mich aufs Sofa setzen", sagt Florian.

Ähnliche Fragen stellen sich viele Landwirte in Niedersachsen. Flächenknappheit hält neben neuen Auflagen für Viehhalter die Branche in Atem. Angeheizt wird die Debatte durch die Pläne der Landesregierung zum Moorschutz. Die Existenz " von Hunderten von Milchviehbetrieben" sei gefährdet, verkündete das Landvolk Niedersachsen, nachdem die Pläne der Landesregierung öffentlich wurden: Einst trockengelegte und möglicherweise mittlerweile landwirtschaftlich genutzte Flächen sollen wiedervernässt werden.

Allein im Emsland und der Grafschaft Bentheim sind es rund 150 Landwirte, die nach Einschätzung des Landvolks derzeit in einer ähnlichen Situation sind wie Familie Rolfers. Geschäftsführer Lambert Hurink warnt: Der Strukturwandel der Landwirtschaft werde künstlich verschärft. Besonders darunter zu leiden hätten die Familienbetriebe mit kleinen bis mittleren Viehbestandsgrößen. Am Ende blieben nur die großen Betriebe über. " Wir gehen davon aus, dass jährlich hier in unserer Region circa drei Prozent der Betriebe aufhören werden", sagt Hurink. Das bedeute: In zehn Jahren gäbe es ein Drittel der bisherigen Betriebe nicht mehr.

Der Blick auf die Statistiken zeigt, dass die Warnung berechtigt ist: Nachdem von der EU die Haltung von Sauen neu geregelt wurde, gaben innerhalb der vergangenen zehn Jahre in Deutschland mehr als die Hälfte der Sauen haltenden Betriebe auf. Gleichzeitig verdoppelte sich die Zahl der gehaltenen Sauen pro Betrieb. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich bei den Milchviehhaltern in Deutschland ab. Die Zahl der Landwirte nahm von 221 000 im Jahr 1993 auf mittlerweile 77 000 ab, gleichzeitig verdoppelte sich die Zahl der Kühe pro Halter. Familie Rolfers sitzt derweil am Küchentisch und überlegt. Weitermachen? Aufgeben? Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen.
Bildtexte:
Das Hahnenmoor erstreckt sich über 620 Hektar in den Landkreisen Osnabrück und Emsland.
Wie geht es nun weiter? Das fragen sich Tobias (links) und Günter Rolfers.
Fotos:
Tobias Böckermann, Dirk Fisser
Grafik:
Matthias Michel

Osnabrück. Wie sieht die deutsche Landwirtschaft im Jahr 2023 aus? Milchviehhalter zählen zu den Gewinnern der nächsten Jahre. Zugleich bleiben die Umweltprobleme, verursacht durch die intensive Landwirtschaft, bestehen. Das ist das Ergebnis einer Zukunftsstudie des Thünen-Instituts, einer Einrichtung des Bundes, die unter anderem zu ländlichen Räumen forscht.
Besonders die Investitionen ins liebe Vieh zahlen sich demnach aus. Dem mehr als hundert Seiten starken Bericht " Deutschlands Landwirtschaft 2023" zufolge steigen die Einkommen bei Milchviehbetrieben um 24 Prozent, bei Veredlungsbetrieben mit Mastschweinen oder - hähnchen sogar um 44 Prozent.
Die Milchproduktion in Deutschland, und hier besonders in den Küstenregionen, werde, begünstigt durch den Wegfall der Milchquote auf europäischer Ebene, um 18 Prozent auf dann 34, 5 Millionen Tonnen steigen. Das werde einhergehen mit einem Wachstum der Viehbestände: Seien diese in den vergangenen Jahren von 5, 6 auf bis zu 4, 1 Millionen Tiere reduziert worden, erwarten die Forscher jetzt eine " leichte Ausdehnung".
Dabei würden die Milchbauern nicht gleichermaßen profitieren, heißt es in dem Bericht. " Ein Rückzug der Milchproduktion wird insbesondere auf Ackerbaustandorten" zu erwarten sein. Als Beispiel wird die Hildesheimer Börde genannt. Sprich: Überall dort, wo es sich lohnt, Weizen oder Mais anzubauen, wird das Getreide aus Sicht der Forscher den Vorzug vor Kühen erhalten.
Überall dort, wo sich der Anbau bislang schon nicht gelohnt habe, werde eine weitere Konzentration stattfinden. Als Beispiel wird der Landkreis Leer genannt. Gleichzeitig werde besonders hier die Größe der Betriebe zunehmen. Für 2023 prognostizieren die Wissenschaftler, dass 90 Prozent der norddeutschen Milch aus Betrieben mit mehr als 60 Kühen stammen würden.
Die Forscher warnen aber auch, dass sich Probleme wie Luft- oder Gewässerbelastung infolge der intensiven Landwirtschaft in den kommenden Jahren " nicht im Zeitablauf von selbst lösen". Damit dürfte das Streitthema auch dem Raum Weser-Ems erhalten bleiben.
Explizit warnt der Bericht, dass die Stickstoffproblematik bestehen bleibe. Deutschland laufe zudem wieder verstärkt Gefahr, die gesetzlichen Obergrenzen des Ammoniakausstoßes durch den Ausbau der Viehbestände zu überschreiten. Hier seien weitere Maßnahmen notwendig, um den Trend zu stoppen. Zuletzt hatte sich Deutschland den Grenzwerten ansatzweise genähert.
Autor:
Dirk Fisser


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