User Online: 1 | Timeout: 06:00Uhr ⟳ | Ihre Anmerkungen | NUSO-Archiv | Info | Auswahl | Ende | AAA  Mobil →
NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Datensätze des Ergebnis
Suche: Auswahl zeigen
Treffer:1
Sortierungen:
Anfang der Liste Ende der Liste
1. 
(Korrektur)Anmerkung zu einem Zeitungsartikel per email Dieses Objekt in Ihre Merkliste aufnehmen (Cookies erlauben!)
Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Verzockt mit Schweizer Franken
 
Hat sich Osnabrück grandios verzockt?
Zwischenüberschrift:
16 Millionen Buchverlust durch Franken-Kredite – Warum keiner den Ausstieg wagte
Artikel:
Kleinbild
 
Kleinbild
 
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Mit ihrer Geldanlage in Schweizer Franken hat sich die Stadt Osnabrück grandios verzockt. Wie konnte es zu diesem Fehlgriff kommen, wer hatte die Idee, warum wurde nicht die Reißleine gezogen? Einen ausführlichen Bericht finden Sie auf der Seite 19

Osnabrück. Vor 15 Jahren war es eine tolle Idee, heute gelten die Kredite in Schweizer Franken als katastrophaler Fehlgriff. Der Stadt droht ein Verlust von 16 Millionen Euro, dem Landkreis von knapp zehn Millionen. Die FDP ruft nach personellen Konsequenzen, der Kämmerer mahnt zur Ruhe. Einige Erläuterungen zur Schweiz-Connection und zu den Hintergründen:

Wer ist auf die Idee mit den Franken-Krediten gekommen? Karl-Josef Leyendecker, bis 2008 Finanzchef der Stadt und inzwischen im Ruhestand, bekennt: " Die Idee kam damals aus der Kämmerei, aus meinem Bereich." Damals, das war um die Jahrtausendwende. In vielen Kämmereien bundesweit wurde über die günstigen Franken-Kredite gesprochen. Man traf sich, man tauschte sich aus. Leyendecker: " Warum sollten wir das nicht auch machen?"

Die Zinsen seien bis zu zwei Prozent günstiger gewesen als auf dem deutschen Finanzmarkt. Nach seinen Angaben lag eine Langzeitstudie der Deutschen Bank über die Währungsschwankungen vor. Demnach hatte es bis dahin kaum Bewegung zwischen Mark und Schweizer Franken gegeben. Und die allgemeingültige Prognose hieß: Das bleibt auch so.

Leyendecker siedelte die Fachkompetenz im eigenen Haus an. " Auftrag war und ist es, durch genaue Marktbeobachtung, den Einsatz von Finanzprodukten und Verhandlungsgeschick Zinsen zu sparen." Die Zinsmanager zocken nicht mit Geld (das die Stadt gar nicht übrig hatte), sondern schichteten Kredite um. Auch mit Zinsversicherungen, den Derivaten, handelten die Minus-Manager und erzielten " beachtliche Erfolge", wie Leyendecker heute sagt. Sein Grundsatz: " Kein Derivat, das ich nicht verstehe." Volker Hänsler, Leiter des Fachbereichs Finanzen, sagt, durch das Schuldenmanagement seien in 15 Jahren rund 16 Millionen Euro erwirtschaftet worden.

Wer hat eigentlich die Schuldenmanager kontrolliert? Der Stadtrat. Am 4. April 2000 ermächtigte der Rat in nicht öffentlicher Sitzung die Verwaltung " zum Einsatz derivater Finanzierungsin strumente und zur Aufnahme von Auslandskrediten". Der Beschluss erging einstimmig auch mit der Stimme des damals noch frischen Ratsmitgliedes Thomas Thiele (FDP). Heute ist Thiele der schärfste Kritiker der Geldgeschäfte. Die SPD wirft ihm deshalb Doppelzüngigkeit vor. Thiele vergesse offenbar gerne Beschlüsse aus der Vergangenheit, wenn es ihm nütze und er sich " als Retter der Stadt Osnabrück" medial wirksam in Szene setzen könne, heißt es in einer Erklärung von SPD-Fraktionschef Frank Henning.

Thiele ficht das nicht an. Ja, er habe im Jahr 2000 dafür gestimmt, dann aber dazugelernt und seine Meinung korrigiert. 2003 sagte er Nein zu einem Ratsbeschluss, Beratungsleistungen bei der Nord/ LB/ Sparkasse einzukaufen. 2007 forderten die Liberalen in einem Ratsantrag, die Zinsoptimierungsgeschäfte " deutlich konservativer" auszurichten (aus dem Protokoll), was die Mehrheit ablehnte. Sprecher aller anderen Fraktionen verteidigten das Zinsmanagement. Der damalige Oberbürgermeister Boris Pistorius machte deutlich, " dass schon aus Respekt vor dem Steuerzahler im Umgang mit öffentlichen Geldern die Stadt Osnabrück in ihrem Vorgehen jegliches Risiko stets vermieden habe" (Protokollauszug).

Der damalige Kämmerer Karl-Josef Leyendecker sagt heute, die Politik habe immer mehr Vertrauen zum Schuldenmanagement gefasst. Im Dezember 2007 verabschiedete der Rat eine Kredit- und Derivatrichtlinie, die den Einsatz von Derivaten zur Zinsoptimierung auf 25 Prozent des gesamten Kreditportfolios deckelte. Damit hatten die Manager ausreichend Gestaltungsfreiheiten.

Dann kam die große Krise. Horst Baier, von 2008 bis 2012 Finanzchef der Stadt, ließ 2010 das Wirtschaftsprüfungsunternehmen PricewaterhouseCoopers das Zinsmanagement der Stadt durchleuchten. Die Gutachter kamen zu dem Ergebnis: Hände weg von Schweizer Franken und mehr Mut zu mehr Krediten mit variablen Zinsen! Die PWC-Fachleute empfahlen, bei nächster Gelegenheit aus den Franken-Krediten auszusteigen. Der Kurs des Euro war infolge der Finanzkrise von 1, 53 Franken (als die Stadt einstieg) auf 1, 20 Euro gefallen. Der Buchverlust betrug damals sieben Millionen Euro.

Das Gutachten mündete in eine neue Finanzrichtlinie, die die Aufnahme von neuen Fremdwährungen verbot und den Bestand auf 50 Millionen Euro begrenzte. Die neue Marschroute von Finanzvorstand Baier hieß: " Im Zweifel geht Sicherheit vor Rendite." So verzichtete die Stadt fürderhin auf Derivate zur Zinsoptimierung. Seit 2004 hatte die Stadt mit 27 Derivaten laut damaligem Finanzbericht per Saldo 1, 075 Millionen Euro verdient. Aber das Risiko erschien inzwischen zu groß.

Warum ist die Stadt nicht rechtzeitig aus den Schweizer Franken ausgestiegen? Schuldenmanager, Mitarbeiter des Rechnungsprüfungsamtes und der Sparkasse sitzen monatlich in einer Zinskonferenz zusammen, um sich auf der Grundlage aller verfügbaren Wirtschaftsdaten eine " Zinsmeinung" zu bilden. Als 2009/ 10 das Währungsrisiko beim Schweizer Franken akut wurde, hätte die Stadt nur mit Verlust aussteigen können. Andererseits: " Es hat immer Prognosen von Banken und Währungsexperten gegeben, die eine Aufwertung des Euro für das nächste Jahr voraussagten", sagt der Leiter des Fachbereichs Finanzen Volker Hänsler. Die Alternative sei gewesen: stillhalten und auf Besserung hoffen oder mit Verlust aussteigen. Osnabrück blieb bei den Franken.

Wie lange kann die Stadt die Verluste vermeiden? Die Franken-Kredite haben Laufzeiten von drei Monaten bis zu einem Jahr. Solange sie verlängert werden können, werden die Verluste von 16 Millionen Euro nicht real. Das setzt voraus, dass die Banken ebenfalls zur Verlängerung bereit sind. Trotz aller Bemühungen wird Osnabrück auf absehbare Zeit seinen horrenden Schuldenberg nicht abtragen können; deshalb besteht aus städtischer Sicht auch keine Notwendigkeit, die derzeit verlustreichen Franken-Kredite abzulösen. Im Grunde kann die Stadt warten, bis sich das Blatt wendet und der Euro gegenüber dem Franken wieder zulegt. Allerdings: Die aktuellen Kursverluste des Euro verteuern auch die Zinsen. Nach Angaben der Finanzverwaltung hätte die Stadt in diesem Jahr 275 000 Euro an Zinsen in die Schweiz überweisen müssen, durch den schlechten Eurokurs erhöht sich die Summe um 42 000 Euro (Stand: Freitag).

Hat sich Osnabrück grandios verzockt? Ja und nein. Ja, weil die Zinsmanager nicht rechtzeitig den Ausstieg schafften. Nein, weil der Franken beim Einstieg ein fast risikoloses Geschäft war.

Mehr aus der Stadt unter www.noz.de/ osnabrueck
Bildtext:
Fast gleichwertig: Der Kursverlust des Euro gegenüber dem Schweizer Franken bringt die Stadt Osnabrück nicht nur in Erklärungsnot.
Foto:
Colourbox.de

Ein paar Zahlen

Schuldenstand der Stadt (ohne Tochtergesellschaften, mit Eigenbetrieben):

425 Millionen Euro, da runter 285 Millionen Euro langfristige Schulden für Investitionen und 140 Millionen Euro an Kassenkrediten.

Beim Einstieg ins Schweiz-Geschäft lag der Franken-Kurs bei 1, 53, am Freitag bei 1, 02.

Die Schweiz-Kredite sind auf 49, 4 Millionen Franken eingefroren, das entspricht aktuell 48, 4 Millionen Euro.

Ändert sich der Kurs des Franken um einen Rappen gegenüber dem Euro, bedeutet das für die Stadt eine Veränderung um 400 000 Euro nach unten oder oben.

Die Freigabe des Wechselkurses am Donnerstag, 15. Januar, kostete die Stadt 7, 3 Millionen Euro.
Autor:
Wilfried Hinrichs


Anfang der Liste Ende der Liste