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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Salzmarkt: Hier trifft sich die Szene
 
Es gibt keine Pause von der Sucht
Zwischenüberschrift:
Ein Ex-Drogenabhängiger über Methadon und die Szene am Salzmarkt
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Ein Ex-Drogenabhängiger berichtet über sein Leben mit Heroin und der Ersatzdroge Methadon. Seit er substituiert wird, meidet er die Drogenszene am Salzmarkt. Nach seinen Erfahrungen stehlen viele Abhängige für ihre Sucht in der Johannisstraße.

Osnabrück. Es hört sich an wie die klassische Drogenkarriere: Mit 16 die falschen Freunde kennengelernt, erster Kontakt mit Heroin, Jobverlust, Entzug, Rückfall, Beschaffungskriminalität, Knast, wieder Entzug und noch ein Rückfall so oder so ähnlich verlaufen viele Schicksale Drogenabhängiger. Sucht ist eine Krankheit, die keine Pause kennt.

Andreas (Name der Redaktion bekannt) kennt dieses Auf und Ab, das letztendlich doch nur immer weiter nach unten führt. " Ich bin auch mit den falschen Leuten in Kontakt gekommen. Habe angefangen, Heroin zu nehmen." Bäcker hat er gelernt, hat gearbeitet auch noch als Süchtiger und dann doch irgendwann den Job verloren. " Es kommt der Zeitpunkt, wo man die Sucht nicht mehr verheimlichen kann", erzählt er uns. Es gab Schwierigkeiten auf der Arbeit, wenn ihn mal wieder der Entzug packte, er Stoff brauchte und deswegen nicht pünktlich zum Job erschien.

Diebstähle ersetzen den Arbeitslohn. Irgendwo muss das Geld für die Droge ja herkommen. Andreas hat nicht gespritzt (" Zu gefährlich wegen Infektionen und so."), er rauchte und sniefte das Teufelszeug. Die Familie kommt mit seiner Sucht nicht klar. " Meine Eltern haben das nicht verstanden. Hör doch einfach auf′, hat meine Mutter gesagt." Als wenn das so einfach wäre. Erst geraume Zeit später, nachdem sie sich über die Sucht informiert haben, verstehen die Eltern, was in ihrem Sohn vor sich geht. Dem ist das aber mittlerweile egal. " Wenn man drauf ist, interessiert einen niemand anders mehr."

Wer einmal den Kick der Droge gespürt hat, will ihn immer wieder spüren. Und der Entzug ist ein Höllenritt. " Nach vier Tagen wird es besser", sagt Andreas, der die Nummer schon mehrfach durchhat. Das " Kopfkino" aber bleibe. Kopfkino? " Sobald man mal einen Hitzeschauer hat oder Ähnliches, denkt man wieder an die Droge." So entstehe ein unheimlich hoher Suchtdruck. Andreas hat einige Male entzogen. Es habe dann auch immer mal wieder Phasen ohne Drogen gegeben, die er Pausen von der Sucht nennt. Aber der nächste Rückfall kam so sicher wie der tägliche Sonnenuntergang. Die Sucht kennt eben doch keine Pause, sie ist immer präsent.

Der Drogensog zieht die Abhängigen immer tiefer ins Elend. Eine Zwischenstation auf dem Weg nach unten ist der Knast. Mehrere Jahre, davon über drei am Stück, hat Andreas auf Staatskosten gewohnt. " Im Knast gibt es alle Drogen, die man braucht." Aber es gibt auch ein Problem: Der Stoff hinter den dicken Mauern bundesdeutscher Gefängnisse ist teurer als draußen. " Das konnte ich mir nicht leisten. Also bin ich wieder in einen Entzug gegangen." Zurück in der vermeintlichen Freiheit, geht das Gerenne von vorne los: Klauen, Diebesgut verkaufen, Stoff kaufen.

Der Kreislauf funktioniert gut. Andreas weiß, dass das, was zum Beispiel in der Johannisstraße geklaut wird, an Ort und Stelle auch wieder verkauft wird. " Auch in den Geschäften", sagt er. Man kennt sich, weiß, wer wann, wo welches Diebesgut kauft.

Auf der Johannisstraße bekommt der Drogensüchtige dann seinen Stoff, oder er geht zu seinem Dealer und kauft dort. Das Geschäft habe sich im Laufe der Jahre geändert. Zu seiner Anfangszeit habe man den Dealer angerufen, seine Bestellung aufgegeben, und der Händler habe die Ware dann gebracht. Damals sei die Qualität auch noch besser gewesen. Andreas weiß zu berichten, dass zum Beispiel das Heroin, aber auch das Kokain auf verschiedenen lokalen Märkten in jeweiligen Qualitäten angeboten wird. So sei das Heroin in Münster und Hannover wesentlich mehr verschnitten als in Osnabrück.

Stoff, der auf der Straße verkauft werde, sei zumeist von geringerer Qualität. " Wenn ein Dealer polizeibekannt ist, sucht er sich einen Junkie, der für ihn das Zeug verkauft. Der verschneidet es dann vielleicht noch mal. Da wollen alle dran verdienen." Je schlechter das Heroin ist, in umso kürzeren Abständen sind die nächsten Gaben fällig. Der Süchtige muss also noch schneller rennen in seinem Hamsterrad aus Sucht und Beschaffung. 50 Euro täglich sind da schnell in Drogen investiert.

Andreas ist jetzt 36 Jahre alt und blickt zurück auf ein Leben, das alles andere als schön war. Er ist Vater, seine Kinder aber sieht er selten. " Die sollen mit dem ganzen Mist nicht in Berührung kommen. Sie wissen auch nichts von der Sucht." Den Weg raus aus dem Drogenelend versucht Andreas seit zweieinhalb Jahren mit dem Methadonprogramm. Substituiert wird er in einer Praxis an der Bischofsstraße. " Mit dem Methadon geht es mir gut", sagt er. Er mache einen großen Bogen um die Szene am Salzmarkt. " Aber ich weiß, dass da nur die wenigsten aus der Praxis Meyer kommen." Der Treff sei bekannt und werde auch von Leuten angesteuert, die zum Beispiel im Ameos-Klinikum substituiert werden. " Die Stadt ist eben der Mittelpunkt", sagt Andreas und meint damit wohl auch die gute Infrastruktur, die an der Johannisstraße mit ihren Rückzugsmöglichkeiten zum Salzmarkt und einem nahe gelegenen Discounter optimale Verweilqualitäten bietet. In jeder größeren Stadt gebe es Plätze für die Drogenabhängigen, nur in Osnabrück fehle eine solche Einrichtung. Die Praxis Meyer würde regelmäßig kontrollieren, dass ihre Patienten da " nicht rumhängen". Andreas schätzt, dass höchstens zehn Prozent der Substituierten von der Bischofsstraße kommen.

Kein Respekt

Kein Verständnis hat Andreas für Pöbeleien, aggressives Schnorren und Bettelei. " Aber", so sagt er, " diese Menschen sind am unteren Ende der Gesellschaft, die kann man doch nicht noch tiefer stoßen." Er weiß aus eigener Erfahrung, dass Respekt im Umgang mit Drogenabhängigen ein Fremdwort ist.

Andreas nimmt regelmäßig sein Methadon, eigentlich auch ein Rauschgift, aber es nimmt den Druck, die Sucht nach dem Kick. So bleiben Zeit und Geld für ein anderes Leben, das aber trotz und alledem ein Leben mit der Sucht bleibt, die eben keine Pause kennt.
Bildtext:
Ob geraucht, gespritzt oder geschnupft Heroin hat ein hohes Suchtpotenzial.
Foto:
dpa

Kommentar
Eine miese Krankheit

Die Sucht nach Drogen ist ein Problem, dass schwer bis gar nicht in den Griff zu bekommen ist nicht für den Süchtigen und auch nicht für die Gesellschaft. Vor dieser Tatsache die Augen zu verschließen hieße, sich selbst etwas vorzumachen. Wer die Probleme nur auf die Süchtigen abwälzt, der geht indes genauso fehl wie derjenige, der alle Schuld bei der Gesellschaft sieht.

Ein Dilemma also? Weil der Hebel fehlt, zum Beispiel die Situation rund um die Johannisstraße und den Salzmarkt zu lösen? Es hat den Anschein. Also ab in die Vogel-Strauß-Haltung und den Kopf munter in den Sand gesteckt? Oder besser alle klugen Köpfe zusammenstecken und nach einer Lösung suchen? Wohl eher. Helfen kann dabei der Blick über den Tellerrand. Wie kommen zum Beispiel andere Städte mit diesen Problemen klar?

In Osnabrück wurde und wird die Drogenszene schon seit Jahren durch das Stadtgebiet getrieben. Zu schlimmsten Zeiten mit dem Erfolg , dass sich die Junkies in der Gartlage das Wasser für ihre Spritzen aus Pfützen zogen. So weit darf es nicht wieder kommen.
Autor:
Dietmar Kröger


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