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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Goethe grüßt über der Tür
Zwischenüberschrift:
Bachschmidt baute 1925 eine private Handelsschule An der Petersburg 6
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Es wird kaum einen Osnabrücker geben, der nicht schon mehrfach an diesem Gebäude vorbeigefahren ist. Manche sind auch hineingegangen, um vor dem Sozialgericht ihr Recht gegen Krankenkasse oder Rentenversicherung zu erstreiten. Aber die wenigsten wissen um den Ursprung des Gebäudes An der Petersburg 6: Es wurde 1925 als Bachschmidt′sche Private Handelsschule errichtet.

Die neoklassizistischen Stilelemente verraten, dass der kompakte Klotz aus der Vorkriegszeit stammt. Wie nur wenige Gebäude nahe den Bahnlinien hat er die Bombenangriffe fast unbeschadet überstanden was spätere Nutzer mitunter bedauert haben, weil sie mit veralteten Installationen und unzeitgemäßer Raumaufteilung zu kämpfen hatten.

Mit dem gewachsenen zeitlichen Abstand wird heute die Architektur, entworfen von Heinrich Kerkhof, als durchaus qualitätvoll angesehen. Gleich nach der Fertigstellung sowieso. " Ruhiger Ernst und Klarheit bestimmen den Charakter der Fassade", heißt es in einer Baubeschreibung von 1926, und weiter: " Die aufwärts strebenden kannelierten Lisenen mit ionischen Kapitellen wirken als Träger des (zweiten) Obergeschosses, das Portal wird von zwei wuchtigen dorischen Säulen flankiert. Darüber als plastischer Schmuck der Goethekopf, richtungsweisend für die Aufgaben, die hier der Erfüllung harren."

Die Aufgaben: Das war die fachspezifische Ausbildung des angehenden Kaufmanns bei gleichzeitig breit angelegter Wissensvermittlung auch in den allgemeinbildenden Fächern, wofür niemand eine bessere Galionsfigur abgeben konnte als der Universalgelehrte Goethe. Gründer, Eigentümer und Schuldirektor war Handelsoberlehrer Friedrich-Wilhelm Bachschmidt. Aus dem Weltkrieg heimgekehrt, machte er sich 1919 als 24-Jähriger mit einem " Institut für moderne Sprachlehre zu Osnabrück" in gemieteten Räumen in der Martinistraße 27 selbstständig. Bachschmidt verfolgte reformpädagogische Ansätze, die er im staatlichen Schulwesen für nicht durchsetzbar hielt. " Es fehlt uns ein Schultyp, der eine abgeschlossene Mittlere Reife erstrebt, die eine Verbindung mit den Dingen der Wirklichkeit behält, ohne daß sie darum auf Kulturgüter zu verzichten braucht", schrieb er ins Schulprogramm.

Die Schule kam gut an, die Dinge liefen ordentlich für Bachschmidt, nur fehlte in der Martinistraße der Raum für weitere einzurichtende Klassen. Deshalb nahm er allen Mut zusammen und baute auf eigene Rechnung An der Petersburg ein Schul- und Internatsgebäude. Mehrere Schultypen waren jetzt unter einem Dach vereint: Handelsrealschule, Oberrealschule, Reformrealgymnasium, Sprach- und Handelsschule mit Internat. Das Erdgeschoss beherbergte fünf Klassenräume, den Zeichensaal und das Sekretariat, im ersten Obergeschoss dann sechs weitere Klassen, das Lehrerzimmer, der Lehrsaal für Physik und Chemie und das Musterkontor. Im Musterkontor mimten die Schüler " Buchhalter", " Korrespondent" und " Disponent" oder lernten " Hilfsmaschinen für den modernen Kontorbetrieb" kennen. Die Wohnung des Direktors Bachschmidt war im zweiten Obergeschoss, daneben der Leseraum für die Internatsschüler, Speisesaal und Küche.

Die Internatsschüler genossen Ganztagsbetreuung vom Feinsten: " Sämtliche Mahlzeiten werden mit der Familie des Direktors und den im Internat wohnenden Lehrern gemeinsam eingenommen", heißt es in der Schulbroschüre. Die Verpflegung sei nahrhaft und abwechslungsreich, daher werde " die Zusendung von Lebensmitteln abgelehnt". Im Dachgeschoss schließlich die Schlafzimmer für bis zu 30 Zöglinge und das Schreibmaschinenzimmer mit einem " Maschinenpark von 36 Maschinen neuester Bauart". Im Keller hatte der Schuldiener seine Wohnung. Er teilte sich das Untergeschoss mit Toiletten und Brausebad für die Schüler, der Heizungsanlage und dem Fahrradkeller. " Säuberlich in Reih und Glied aufgehängt, trifft man im Fahrradraum 70 bis 80 Fahrräder an, viele mit einem Wimpel in den Schulfarben versehen."

1933 verlor Bachschmidts Privatschule ihre Eigenständigkeit. Sie hieß da bereits Goetheschule und wurde nun von der Noelle′schen Handelsschule übernommen, die ihren Hauptsitz an der Kleinen Domsfreiheit hatte. Nach dem Krieg war vorübergehend das Finanzamt Osnabrück-Land An der Petersburg 6 untergebracht, bevor es zur Hannoverschen Straße weiterzog. 1954 wurde das Sozialgericht Hauptmieter des in Privateigentum stehenden Gebäudes. Die neuen Nutzer haderten lange mit dem Sozialministerium in Hannover wegen einer Sanierung oder einer anderen, zeitgemäßeren Unterbringung. 1974 trat der Richterrat am Sozialgericht aus Protest geschlossen zurück. In zwei Wellen wurde 1974 und 1992/ 93 saniert. Dennoch war die Mehrzahl der 45 Mitarbeiter des Sozialgerichts froh, als der Mietvertrag 2012 auslief und das Sozialgericht zu den anderen Fachgerichten an die Hakenstraße ziehen konnte.

Seit 2013 bietet die alte Schule bis zu 55 männlichen Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak und dem Kosovo vorläufiges Asyl.
Bildtexte:
Das Haus An der Petersburg 6, das derzeit als Flüchtlingsheim genutzt wird, wurde 1925 als private Handelsschule mit Internat errichtet.
Ansichtskarte des Verlags Rudolf Lichtenberg aus der Sammlung Helmut Riecken
Bis auf die Sprossenteilung der Fenster ist die denkmalgeschützte Fassade erhalten geblieben.
Der Dichterfürst an der Fassade.
Fotos:
Joachim Dierks
Autor:
Joachim Dierks
Themenlisten:


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