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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Die weiße Blume der Barmherzigkeit
Zwischenüberschrift:
30. April 1911: Der Osnabrücker Blumentag löst eine Spendenflut aus
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. In verschiedenen Städten des Kaiserreichs veranstalteten karitative Vereine zwischen 1910 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs sogenannte Blumentage. Eine bestimmte Blume, meistens die Margerite, wurde zum Leitmotiv erwählt. Umzüge und öffentliche Lustbarkeiten mobilisierten wahre Massen. Denn lange bevor es Radio und Fernsehen gab, hatten die Menschen kaum Alternativen, sich unterhalten zu lassen.

Junge Frauen und Mädchen in weißen Kleidern verkauften natürliche und künstliche Margeriten und Schmuckkarten gegen eine Spende, die örtlichen Fürsorgeeinrichtungen zugutekam. In Osnabrück war die offizielle Blumentagskarte von keinem Geringeren als Franz Hecker gestaltet worden. Die Margerite wurde wohl deshalb gern genommen, weil sie als " weiße Blume der Barmherzigkeit" galt. Die Margeritentage standen unter Schirmherrschaft der Kaiserin Auguste Viktoria und stellten sich meistens in den Dienst der örtlichen Kinderkrankenpflege.

In Osnabrück lag die Organisation in den Händen eines " Damenkomitees", in dem Vertreterinnen des Kinderhospitalvereins, der Kleinkinderbewahranstalten, der Rothenfelder Kinderheilanstalten und einiger weiterer Wohltätigkeitsvereine wie des Vaterländischen Frauenvereins, des Eisenbahner-Frauenvereins und des Israelitischen Frauenvereins mitwirkten.

Höhepunkte waren der traditionelle Kutschen-Korso und das war man den heraufziehenden modernen Zeiten schuldig ein Automobil-Korso. Die Gefährte waren überreich mit Girlanden und Blüten geschmückt. Auf ihrer Route, die vorher bekannt gegeben worden war, durchfuhren sie festlich geschmückte Straßen in fast allen Stadtteilen, sodass die begleitenden Blumenverkäuferinnen ihre Sammelbüchsen sehr vielen verschiedenen Menschen unter die Nase halten konnten.

Die hier abgebildete Aufnahme zeigt den Kutschen-Korso vermutlich an der Hasemauer. Vorn links könnte der Vitihof einmünden und der Blick über die Grünanlagen zum Kaiserwall (heute Hasetorwall) in Richtung Natruper-Tor-Platz (heute Rißmüllerplatz) gehen. Letzte Gewissheit über den Aufnahmeort können wir indes leider nicht bieten. Lokalhistoriker, denen wir die im " Osnabrücker Tageblatt" abgedruckte Wegstrecke zusammen mit dem Foto vorgelegt haben, wollten ihre Hand nicht dafür ins Feuer legen. Vielleicht kann uns ein privates oder öffentliches Archiv mit einem Vergleichsfoto der Hasemauer-Fassaden vor der Kriegszerstörung weiterhelfen.

Osnabrücks erster und so weit bekannt einziger Blumentag begann vor 103 Jahren um acht Uhr morgens mit einem Choral-Blasen vom Katharinenkirchturm. Um 11.30 Uhr setzte sich der Automobil-Korso ab Möserplatz (vor dem Haarmannsbrunnen) in Marsch. " Besonders schön geschmückte Wagen wurden von den Zuschauern mit lauter Anerkennung begrüßt", schrieb das Tageblatt. Die weiß-gelbe Margerite in allen Größenordnungen habe natürlich die Hauptrolle gespielt und sich " prächtig vom Grün der Guirlanden aus Epheu, Wachholder, Tannen etc." abgehoben, die die Wagen in Baldachinen überspannten oder die Räder durchflochten. Besondere Bewunderung erregte ein aus Margeriten gestalteter Schwan auf der " Maschine" (Motorhaube) eines Automobils. Leider erlebte dieser Wagen nicht das Ende der Rundfahrt, weil er unterwegs mit einer Panne liegen blieb.

Den ganzen Tag über spielten neun Kapellen an verschiedenen Stellen der Innenstadt, so die Regimentskapelle auf dem Domhof, die Turnerfeuerwehrkapelle auf dem Kanzlerwall, die Eisenbahn-Hauptwerkstätten-Kapelle auf dem Arndtplatz und die Kapelle des Ratsgymnasiums am Lyra-Denkmal. Auf dem Neumarkt war ein Tanzzelt aufgebaut. Getreu dem alten Motto " Rechtsherum 10 Pfennig, linksherum 20 Pfennig, Backe an Backe 30 Pfennig, Damenwahl 50 Pfennig", konnte man hier für den guten Zweck das Tanzbein schwingen. Karussells und Blumen-Schießbuden standen am Möserplatz und am Rosenplatz, " Erfrischungsstellen" mit Kaffee und Kakao an verschiedenen Orten verteilt.

Nachmittags um 3 Uhr setzte sich der Korso mit 40 überreich geschmückten Kutschen vom Sammelpunkt Schwarzer Platz aus in Bewegung, alles Ein- und Zweispänner, nur die Offiziere der Artillerie reisten vierspännig. Weitere Wagen transportierten die Karnevalsgesellschaft, die Bäckerinnung, die Kohlenhändler und Mitglieder eines Fußballklubs in ihren " Spielkostümen".

Junge Damen auf den Kutschen trugen ausladende Hüte mit Margeritenzier, die Herren hatten wenigstens ihre Knopflöcher mit Blüten ausstaffiert, wenn sie nicht sogar die Hosen " biesenartig mit Blütenketten besetzt" hatten.

Die eingesetzten mehr als 1000 Blumenmädchen sammelten in Osnabrück an die 50 000 Mark, was umgerechnet etwa 250 000 Euro entspräche. Die verteilten Gelder sicherten für einen gewissen Zeitraum den Fortbestand der begünstigten Fürsorgeeinrichtungen.

Es gab aber auch Kritik, sowohl von bürgerlicher wie von Gewerkschaftsseite. Die einen monierten, dass die Sammlung auf den Straßen eine sittliche Gefährdung der zumeist bürgerlichen Mädchen darstelle, wenn sie " ins Volk hinabstiegen" und auf Männer jeden Standes zugingen. In der Arbeiterbewegung wurde kritisiert, dass Blumentage lediglich soziale Anwandlungen wohlhabender Kreise seien, mit denen eklatante Versäumnisse der Regierung kaschiert würden.
Bildtexte:
Der Kutschenkorso des Osnabrücker Blumentages 1911 bewegt sich die Hasemauer entlang auf das Hasetor zu. Ganz Osnabrück war auf den Beinen.
Vom Aufgang zur Vitischanze bietet sich heute dieser Blick über Hasemauer und Hasetorwall.
Franz Hecker gestaltete die offizielle Schmuckkarte für den Osnabrücker Blumentag.
Ansichtskarte aus der Sammlung Helmut Riecken
Foto:
Joachim Dierks
Autor:
Joachim Dierks


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