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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Schüler auf der Suche nach den Menschen hinter den Feldpostbriefen
Zwischenüberschrift:
Bramscher Gymnasiasten tauschen den Klassenraum gegen das Staatsarchiv
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Staatsarchive stehen bei der bundesdeutschen Schülerschaft nicht gerade in dem Ruf, ein Hort jugendlichen Amüsements zu sein. Aber vielleicht ist das ja ein Irrtum. Zumindest 13 Schüler des Bramscher Greselius-Gymnasiums haben im Niedersächsischen Staatsarchiv, Standort Osnabrück, eine spannende Entdeckungsreise in die Zeit des Ersten Weltkriegs erlebt. Sie forschten nach Menschen, deren Feldpostbriefe sie zuvor gelesen hatten.

Was treibt Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren dazu, ihre Zeit zwischen staubigen Akten zu verbringen? Leander Salden weiß die Antwort. Der 16-Jährige war der Ideengeber für die Arbeitsgemeinschaft, die sich mit den Feldpostbriefen befasst. " Meine Großmutter ist im belgischen Ypern geboren, wo damals der erste Senfgasangriff stattfand. Sie hat mir viel aus der damaligen Zeit erzählt und so mein Interesse geweckt." Die alte Dame habe ihm von der angespannten Stimmung berichtet, die damals geherrscht habe, und von den vielen jungen Männern, die zuerst euphorisiert und am Ende dann völlig desillusioniert für ihr Vaterland kämpfen mussten.

Durch Zufall sei ihm dann noch ein Buch mit Feldpostbriefen in die Hände gefallen. Leander wollte sich den Menschen nähern, die zwischen 1914 und 1918 als Soldaten unverstellbares Leid erlebten und erlitten, aber auch anrichteten. Die in der Regel an die Familien in der Heimat gerichteten brieflichen Nachrichten erschienen ihm als ein probates Mittel, die Gefühlslage und die Stimmungen der Menschen zu ergründen. Das wollte er aber nicht alleine tun. " Ich dachte mir, dass das Thema auch noch andere Menschen inte ressieren könnte, und vor allem, dass es uns Schüler interessieren sollte."

In Paul Heuer, Hannelore Oberpenning und Tobias Stich fand er drei Geschichtslehrer an seiner Schule, die die Idee gerne aufgriffen und sich als Betreuer der AG zur Verfügung stellten. Sie entwickelten gemeinsam mit den Schülern das Vorhaben, den Schicksalen und Lebenswegen der Menschen im Krieg nachzugehen und diese selbst zu erforschen. In den alltags- und regionalgeschichtlichen Fokus genommen wurden Menschen aus der Region Osnabrück. Und wie von Leander gewünscht, fand sich auch eine Reihe von Mitschülern, die sich gerne des Themas annehmen wollten.

Erste Anlaufstelle war das Staatsarchiv in Osnabrück. Dessen Leiterin Birgit Kehne und Archivinspektorin Anna Philine Schöpper stellten Feldpostbriefe zur Verfügung, die die Schüler bearbeiten konnten. Zunächst stand die Fleißarbeit des Transkribierens an. Die Karten und Briefe ließen sich nicht so ohne Weiteres lesen, mussten vielmehr erst einmal in heutiges Schriftdeutsch umgesetzt werden. Erst danach konnte die inhaltliche Auseinandersetzung beginnen.

" Das waren keine kaltblütigen Mörder", sagt Leander. In den Briefen seien ihnen gefühlvolle Menschen begegnet, die sich um ihre Familien daheim große Sorgen machten. " Die Kämpfe haben die Menschen verändert. Das ist das Brutale am Krieg", so der 16-Jährige.

Gleichzeitig mussten die Schüler feststellen, dass den Briefen durchaus auch die Zensur anzusehen war, der sie unterlagen. Die Soldaten durften nicht alles in die Heimat schreiben, was ihnen auf den Schlachtfeldern begegnete. Um die Absender der Karten- und Briefeschreiber besser kennenzulernen, machten sich die Bramscher Schüler auf den Weg nach Osnabrück, um im Staatsarchiv Hintergründe zu den einzelnen Personen zu erforschen. Mit der Unterstützung von Anna Philine Schöpper und ihren Geschichtslehrern sichteten sie Unterlagen wie Tagebücher, Melderegister und Ähnliches.

In Gruppen sitzen die Schüler um vergilbte Papiere herum, zum Teil mit weißen Handschuhen ausgestattet. Die sind notwendig, damit die empfindlichen historischen Dokumente keinen Schaden nehmen. Jil Schwarz, Fatih Erdogan und Nicolas Rosner beschäftigen sich mit Georg Wienke. Sie haben bereits herausgefunden, dass Wienke nach dem Ersten Weltkrieg zeitweise Bürgermeister in Hilter gewesen ist. " Das haben wir Entnazifizierungsunterlagen entnehmen können, die uns hier vorlagen", so die drei Schüler. Wie Detektive wühlen sie sich durch die Kriegsjahre, versuchen das Puzzle namens " Wienke" zusammenzusetzen. Immerhin haben sie drei Tagebücher, denen sie etliche Informationen entnehmen können.

Wienke war mit den Gedanken wohl immer auch in der Heimat. Die Schüler finden Zeichnungen, die sie zunächst nicht zuordnen können, bis Nicolas der zündende Gedanke kommt: " Das sind Zeichnungen von Äckern. Hier hat er festgehalten, was wo angebaut wurde oder werden sollte." Damit erschließen sich auch die Zahlenkolonnen, die in den Tagebüchern Rätsel aufgeben. Es könnten die Erträge sein, die die Wienke′sche Landwirtschaft einbrachte.

In den Tagebüchern finden die Schüler auch andere Geschichten, die die brutale Realität des Krieges zeigen. So erzählt Wienke von einem Lazarettaufenthalt, bei dem er einen Freund trifft, der im Kampf ein Bein verloren hat. Wienke schreibt von der Amputation und den Schmerzen, die der andere erleiden musste.

Auf ein besonderes Problem stoßen Amke Rybak, Marie Eichmann und Denise Villullas. Sie haben es mit einem Josef Lippold zu tun. Das Seltsame in diesem Fall: Zwischenzeitlich nennt sich Lippold auch Kellersmann. Wa rum er das tut? Eine Antwort auf diese Frage ist nicht so leicht zu finden. Die jungen Detektive der Vergangenheit wollen auf jeden Fall die Spur aufnehmen.

Ihr Ausgangspunkt war eine Nachricht Lippolds an seine Schwestern Luise und Helene von Bruder Josef zärtlich Lus und Leni genannt. Geschrieben ist die Botschaft auf der Rückseite eines Fotos, mit dem Lippold den Abschuss eines französischen Flugzeugs dokumentiert. Es sei ganz in der Nähe seiner Stellung " heruntergeholt" worden, schreibt Lippold. " Viele von uns haben zugesehen, wie unser Flieger den Franzmann herunterschoss." Auch der Gegner müsse
den Abschuss beobachtet haben, da am darauffolgenden Tag ein französischer Flieger Blumen " für seinen gefallenen Kameraden" über der Absturzstelle abgeworfen habe.

Auch Heinrich Hake aus Osnabrück schreibt von einer Verletzung. Ein Granatsplitter hatte sein Bein getroffen, wie er in einem Brief berichtet. Nach dieser Nachricht verliert sich seine Spur. Woher er kam, was für ein Leben er führte, bevor er an die Front musste, wollen Imke Ortland, Keno Winkler und Maren Baumfalk erforschen. Herausgefunden haben sie bereits, dass Hake vor dem Krieg ein bewegtes Leben geführt hat. Seine Wege führten ihn unter anderem nach Hildesheim und Göttingen. Nach dem Brief aus dem Lazarett verliert sich seine Spur zunächst. Vielleicht finden die Schüler ja noch weitere Hinweise auf den jetzt nicht mehr unbekannten Soldaten.

Genau das ist ein Ziel der AG des Greselius-Gymnasiums: Die Schüler wollen den Soldaten des Ersten Weltkrieges ein Gesicht geben, den Menschen in der Uniform finden und die Auswirkungen des Krieges auf die Menschen aufzeigen. Ihre Ergebnisse wollen sie im Internet präsentieren. " Es soll eine Homepage mit allen Feldpostbriefen entstehen, die wir bearbeitet haben. Dazu soll dann die Lebensgeschichte der Soldaten gestellt werden", beschreibt Leander Salden das Ziel der historischen Kleinarbeit, die er und seine Mitschüler in ihrer Freizeit leisten.

Die Anwendung fachspezifischer Arbeitstechniken auf wissenschaftlicher Grundlage ist dabei mehr als ein Abfallprodukt. Im Fach Geschichte haben methodische Kompetenzen vor allem auch in der Oberstufe ein besonderes Gewicht im Unterricht und sind abiturrelevant.

Noten gibt es nicht für die Teilnahme an der AG. Dafür eine ganz andere Form der Begegnung mit Geschichte. Die Schüler genießen es. Als ihre Zeit im Archiv vorüber ist, lösen sie sich nur schwer von der Geschichte ihrer Briefschreiber. Aber die Arbeit soll ja noch weitergehen. Es bleibt also weiter spannend.
Bildtexte:
Schüler des Bramscher Greselius-Gymnasiums haben sich im Staatsarchiv in historische Quellen vertieft.
Josef Lippold dokumentiert den Abschuss eines französischen Flugzeugs mit einem Foto.
Auf der Rückseite beschreibt er seinen Angehörigen den Vorfall.
Die Tagebücher des Georg Wienke helfen den Schülern, die Person besser kennenzulernen.
Fotos:
Pentermann, Staatsarchiv (NLA Os Slg 55 Nr. 1 Karte 1F2),
Autor:
Dietmar Kröger


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