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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Ein Abschied, der ein Glücksfall wurde
Zwischenüberschrift:
Im März 2009: Die letzten britischen Soldaten verlassen die Stadt Osnabrück
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Am Freitag machte Colonel Mark Cuthbert-Brown noch einen Abschiedsbesuch beim Oberbürgermeister Pistorius, am darauf folgenden 31. März 2009 verließ auch der letzte britische Kommandeur die Stadt Osnabrück. Einmal war Osnabrück mit 14 000 Soldaten und Familienangehörigen die größte britische Garnison außerhalb des Mutterlandes gewesen. Jetzt standen fünf Kasernen mit 160 Hektar plötzlich leer. So endete vor fünf Jahren ein Kapitel der Stadtgeschichte, und es öffnete sich eine neue Perspektive künftiger Stadtentwicklung.
Seit am frühen Morgen des 4. April 1945 englische und kanadische Soldaten von Westen her nach Osnabrück einrückten und die Stadt vom Nationalsozialismus befreiten, hatte es hier fast auf den Tag genau über 64 Jahre eine britische Garnison gegeben: Britische Soldaten im Kampfanzug beim Joggen oder in Ausgehuniform auf der Straße, ihre Familien beim Einkaufen, röhrende Panzer, schwere Lastwagen und Autos mit Rechtssteuerung und merkwürdigen Nummernschildern gehörten zum Stadtbild. Einmal im Jahr gab es eine große Militärparade, ab und an kam auch ein Mitglied der königlichen Familie bei seinem Leibregiment zu Besuch. Ansonsten blieben die Kasernen für den durchschnittlichen Osnabrücker allerdings ein unbekanntes Land. Wenn nicht die wiederkehrenden Klagen über Kneipenschlägereien und den Panzerlärm in Wohngebieten gewesen wären. Und wenn nicht nach dem Fall der Mauer 1989 immer mal wieder die Frage aufgetaucht wäre, ob die Stationierungsstreitkräfte eines Tages wieder abgezogen würden.
Im Grunde war es dann schon keine Überraschung, als der Oberbürgermeister Hans-Jürgen Fip beim Handgiftentag am 2. Januar 2006 öffentlich machte, dass die britische Garnison in Osnabrück geschlossen werde: " Wir müssen damit rechnen, dass bis spätestens 2015 die Briten ihren Standort ganz aufgeben." In den nächsten Wochen und Monaten wurde zwar noch über den Zeitplan und den Umfang des Truppenabzugs spekuliert, auch war die Frage offen, ob denn eher Osnabrück oder doch lieber Münster geschlossen werden sollte. Aber am 24. Juli 2006 verkündete Verteidigungsminister Des Browne in London den vollständigen Abzug der britischen Truppen aus der Garnison Osnabrück. Alle 2450 britischen Soldaten und die 200 Mitarbeiter des zivilen Unterstützungsstabes mit ihren Familien, so die Botschaft, würden die Stadt verlassen. Spätestens 2009, so war damit klar, werde der Standort Osnabrück geschlossen. " Auf die Stadt kommt eine schwere Aufgabe zu", schrieb anderntags die Neue OZ: " Auf einen Schlag werden über 160 Hektar Militärflächen und mehrere Hundert Wohnungen frei. Unklar ist die Zukunft der 530 Zivilbeschäftigten."
Im Sommer 2008, nur zwei Jahre nach Entscheidung zum Abzug, kam die Militärmaschinerie dann wirklich ins Rollen. Im Abstand von nur wenigen Monaten wurde in Osnabrück eine Kaserne nach der anderen vollständig geräumt und an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) zurückgegeben.
Den Anfang machte am 25. September 2008 die Kaserne an der Landwehrstraße: Der Garnisonskommandeur Colonel Mark Cuthbert-Brown und zwei seiner Offiziere übergaben die Schlüssel, es wurden Zählerstände abgelesen und Übergabeprotokolle erstellt das war es dann schon, sehr unspektakulär und ganz ohne militärisches Zeremoniell. 370 410 Quadratmeter Grund und Boden mit immerhin 89 Gebäuden darauf wechselten damit aus der britischen Verwaltung und dem NATO-Truppenstatut in die alleinige Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland.
Das letzte Kapitel dieser Episode wurde am 26. März 2009 in der Imphal-Kaserne am Limberg geschrieben. Wenige Minuten nach 15 Uhr, in strömendem Regen, holten damals zwei Unteroffiziere vor der Wache am Kasernentor zum letzten Mal die Flagge ein. Ein Stabstrompeter in scharlachroter Uniform blies das Signal zum letzten Zapfenstreich, bevor Garnisonskommandeur Mark Cuthbert-Brown den Befehl zum Ausmarsch gab. Ganze zehn Soldaten folgten ihm noch bei seinem Vorbeimarsch vor Generalmajor Mungo Melvin und Oberbürgermeister Boris Pistorius. An die 150 Schaulustige, meist Veteranen und frühere Zivilangestellte, hatten sich eingefunden; und ob das grauenhafte Wetter nun " typisch britisch" oder " typisch osnabrückisch" sei, darüber gingen die Meinungen stark auseinander. Wehmut lag ohnehin über der Szene. Generalmajor Mungo Melvin sprach jedenfalls von einem " traurigen Tag, weil ein Stück deutsch-britischer Geschichte zu Ende geht", als er einen symbolischen Schlüssel an den neuen Hausherrn Karl Rolfes für die Bima übergab. Aber es sei auch ein Grund zur Freude, dass die " wunderschöne Stadt Osnabrück" für die Truppe ein Stück Heimat in Deutschland und Europa gewesen sei, betonte der General. Und auch Oberbürgermeister Boris Pistorius blickte zurück auf 64 Jahre der Anwesenheit britischer Soldaten in der Garnison Osnabrück: " Sie kamen als Befreier und Besatzer, sie gehen als Freunde", so unterstrich das Stadtoberhaupt die gewandelte Rolle der Soldaten in dieser Epoche.
Wer fünf Jahre später durch die Winkelhausen-Kaserne am Hafen, den Wissenschaftspark in der früheren Scharnhorstkaserne oder auch die weitläufigen Anlagen am Limberg wandert, der staunt darüber, wie schnell sich die Szenerie gewandelt hat. Die befürchteten Leerstände, Vandalismus, Brachland? Nichts davon ist eingetreten: Die britischen Wohnquartiere waren überraschend schnell wieder bezogen, ganz überwiegend durch junge Familien. Weshalb auch die Bevölkerungszahl der Stadt Osnabrück zwischen 2009 und 2012 einen jährlichen Zuwanderungsgewinn von 1300 bis 2000 Personen verzeichnete.
Am Westerberg entsteht ein neuer Hochschulcampus mit eindrucksvollen Gebäuden, für die das Land Niedersachsen an die 70 Millionen Euro investiert. Gleich nebenan werden die ersten Gebäude im neuen Wissenschaftspark bezogen. Im Hafen wurde das Kaffee-Partner-Gebäude zu einem architektonischen Blickfang; die Polizei ist in einen Mannschaftsblock eingezogen, und zwei weitere werden für das Finanzamt renoviert. An der Landwehrstraße in Eversburg regiert derzeit noch der Abrissbagger, aber die Stadt und die Stadtwerke-Tochter Esos stehen bereits in den Startlöchern, um hier ein Wohngebiet mit 600 Wohneinheiten zu erschließen. Und auch am Limberg (wo anfangs alles etwas schwieriger aussah: sehr große Flächen und Altlasten-Verdacht, weit ab vom Zentrum gelegen, schließlich drohte noch ein emissionsträchtiges Industriegebiet) haben die Stadtplaner nun ein tragfähiges Bebauungs- und Erschließungskonzept für ein Nebeneinander von Gewerbenutzung und Sport- und Freizeiteinrichtungen in der Schublade.
Nach heutigem Stand hat die Stadt Osnabrück etwas über fünf Millionen Euro in die Umwandlung der Kasernenflächen investiert, so berichtet Thomas Rolf, der Leiter der Arbeitsgruppe Konversion bei der Stadt Osnabrück. Jeweils dieselbe Summe legten der Bund und das Land Niedersachsen als Städtebau-Fördermittel dazu, außerdem bewilligte die Europäische Union über zwei Millionen aus einem Förderprogramm für die Regionalentwicklung. Doch angesichts der schnellen Weichenstellungen in den ersten Jahren sei der Konversionsprozess auf der Kasernenfläche heute bereits " Alltagsgeschäft der Stadtplanung", sagt Rolf in der Rückschau.
Mit dem Zuwachs von 160 Hektar Kasernenflächen auf dem Stadtgebiet habe Osnabrück eine einmalige historische Chance in der Nachkriegszeit bekommen und sie auch genutzt, sagt Wolfgang Griesert, damals Stadtbaurat und nunmehr Oberbürgermeister: " Letztlich war der Abzug der Briten ein Glücksfall für die Stadt. Während andere über Schrumpfen reden, steigt so die Attraktivität dieses Oberzentrums." Was paradox klingt, ist aber mittlerweile Realität: Die Stadt müsse bei manchen Anfragen von Investoren schon auf die Bremse treten. " Stadtnahe Flächen sind eine knappe Ressource", so Griesert, " die darf man nicht vorschnell vergeben."
Der Autor hat ein Buch zum Thema veröffentlicht. Stadt Osnabrück (Hrsg.): " Jeder zehnte Osnabrücker war ein Engländer. Die britische Ära und der Konversionsprozess". Druckhaus Meinders & Elstermann, 156 Seiten, 18, 90 Euro.
Bildtexte:
Zeiten des Übergangs: In der Winkelhausenkaserne am Hafen hat die Zukunft bereits begonnen. Hinten rechts das neue Kaffee-Partner-Gebäude, daneben das Polizeirevier.
Im strömenden Regen: die letzte Fahnenzeremonie am 26. März 2009 am Limberg.
Foto:
Jörn Martens, Gert Westdörp
Autor:
Frank Henrichvark


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