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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
250 Rettungskräfte sahen dem Tod ins Auge
 
Große Zweifel an der Sicherheit von Gefahrgut-Transporten
Zwischenüberschrift:
Zehn Jahre nach der Zugentgleisung und Beinahe-Explosion in Schinkel
 
Pro-Bahn-Mitglied hält Katastrophe auf Schienen jederzeit für möglich
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. So viel Glück hatte Osnabrück noch nie: Am 17. März 2004 brannte in Schinkel ein mit Propen gefüllter Bahn-Waggon. Wäre das austretende Gas explodiert, hätte im Umkreis von einem halben Kilometer wohl niemand überlebt. Zehn Jahre danach haben wir mit dem damaligen Feuerwehr-Einsatzleiter Klaus Fiening über die Beinahe-Katastrophe gesprochen.

Klaus Fiening ist nicht als großer Schweiger bekannt, aber heute redet der Sachgebietsleiter der Osnabrücker Feuerwehr wirklich ohne Unterlass. " Sie merken ja, wie aufgewühlt ich bin. Der Einsatz ist bei allen, die damals dabei waren, noch total präsent."

Gemeint ist der Einsatz am 17. März 2004. Um 23.33 Uhr rückte die Osnabrücker Feuerwehr zu einem Brand in Schinkel aus. Am Bahnhofsteil " Klus", etwa auf Höhe des heutigen Rewe-Marktes an der Bohmter Straße, brannte ein Bahnwaggon lichterloh. " Der Himmel über Osnabrück war hell erleuchtet", sagt Klaus Fiening. Bis Hasbergen war die knapp 80 Meter hohe Feuerwand damals zu sehen.

Was war passiert? Ein aus Richtung Hamburg kommender Güterzug hatte wegen defekter Bremsen ein Stoppsignal vor der Bremer Brücke überfahren. Knapp 600 Meter weiter kamen Weichen, die den viel zu schnellen Zug entgleisen ließen. Der erste Waggon schlug leck, Propen strömte aus und entzündete sich zu einer riesigen Flammenwand.

" Es war schwer, den Unfallort zu erkunden", sagt Klaus Fiening. Alle Fahrdrähte lagen auf den Gleisen, jedem Helfer, der der Unglücksstelle zu nahe kam, drohte ein tödlicher Stromschlag. Einsatzleiter Fiening ließ alles absperren und rief Verstärkung aus der ganzen Region. 250 Rettungskräfte waren am Ende vor Ort. " Das war ein unglaubliches Gequassel im Sprechfunk, da musste man erst mal den Überblick behalten", sagt Fiening.

Seine wichtigste Entscheidung hatte der Einsatzleiter da schon längst getroffen: kühlen, kühlen, kühlen aber nicht löschen. Um eine Explosion zu verhindern, musste der Gas-Tank davor bewahrt werden zu überhitzen. Gleichzeitig sollte das bereits ausgetretene Propen kontrolliert abbrennen. Andernfalls hätte sich eine Gaswolke bilden und über dem nahe gelegenen Wohngebiet explodieren können.

Parallel zu den Löscharbeiten wurden die umliegenden Häuser evakuiert, 86 Menschen verbrachten die Nacht in der Gesamtschule Schinkel. Die Lokführer des Zuges hatten sich selbst befreit und in Sicherheit gebracht.

Um die Katastrophe zu verhindern, verbrauchten die Feuerwehrleute in der Spitze zwischen 7000 und 10 000 Liter Wasser pro Minute. Dazu verteilten sie Unmengen an Löschschaum, durch den aber immer wieder Flammen schossen. Die letzte, knapp 25 Meter hoch, morgens um sechs Uhr.

Dann war Ruhe. Osnabrück war gerade noch einem furchtbaren Unglück entkommen. " Wenn so ein Kesselwagen explodiert, steht im Umkreis von 500 Metern kein Haus mehr. Kein Mensch überlebt", sagte Feuerwehr-Pressesprecher Jan Südmersen damals.

Im Rückblick wird klar, wie viel Glück die Einsatzkräfte und Anwohner hatten. Nur einer der Waggons brannte, der Unfallort war über eine Stichstraße sehr gut zu erreichen, und es gab ausreichend Wasser. Das Wichtigste aber: Bis die Bahn die Strecke sperrte, kam auf der viel befahrenen Nord-Süd-Route kein anderer Zug vorbei. Der wäre mitten in das Flammen-Meer hineingerauscht. " Daran darf man gar nicht denken", sagt Klaus Fiening, als er jetzt, zehn Jahre später, wieder an der Unglücksstelle steht. Fiening ist nicht alleine gekommen, er hat ein Großtanklöschfahrzeug mitgebracht. Das hatte die Osnabrücker Feuerwehr nach dem Einsatz vor zehn Jahren gekauft, weil der auf dem Fahrzeugdach montierte Schaum-Wasser-Werfer einen Brand auch aus größerer Distanz bekämpfen kann. Beim Einsatz vor zehn Jahren mussten die Feuerwehrleute noch unter höchstem Risiko ganz nah an den brennenden Kesselwagen herangehen.

Um für Unglücke dieser Art besser gewappnet zu sein, schaffte die Feuerwehr noch weitere Geräte an, zum Beispiel Container zum Transport von Löschschaum. Bleibt die Frage, wie man als Feuerwehrmann so ein Erlebnis wegsteckt. " Jetzt macht uns das noch nicht verrückt, davon lenken einen die normalen Einsätze ab", sagt Klaus Fiening. " Aber vielleicht fangen wir dann ja im Alter an zu spinnen."
Bildtexte:
Löschwasserversorgung und Erreichbarkeit der Unglücksstelle waren gut, andernfalls hätte es vor 10 Jahren zu einer fürchterlichen Katastrophe kommen können.
Immer wieder schlugen meterhohe Flammen an der Unglücksstelle in den Himmel.
Das Wrack des Güterzuges am Tag nach dem Unglück. Deutlich zu erkennen ist die Hitzeentwicklung rings um den havarierten Waggon. Hier hatte der Unfall im wahrsten Sinne des Wortes verbrannte Erde hinterlassen.
Fotos:
Archiv/ Michael Hehmann, Feuerwehr Osnabrück

Risiko-Gas Propen

Propen oder Propylen ist ein farbloses Gas und einer der wichtigsten Grundstoffe in der chemischen Industrie. In Deutschland gab es in den letzten Jahren immer wieder Bahn-Unfälle mit dem hochentzündlichen Stoff, wobei zum Glück niemand verletzt wurde. In Spanien platzte 1978 ein mit Propen beladener Tankwagen auf einem Campingplatz. Das Feuer tötete 216 Menschen. Gibt man auf der Internet-Plattform YouTube die englische Abkürzung " BLEVE" ein (das steht für Gasexplosionen mit siedenden und sich ausdehnenden Flüssigkeiten), findet man ein erschreckendes Video aus den USA. Es zeigt, wie im Jahr 1983 in Illinois ein mit Flüssiggas gefüllter Waggon in die Luft geht. Laut der Osnabrücker Feuerwehr hätte die verhinderte Explosion im Schinkel ein vergleichbares Ausmaß gehabt.

Osnabrück. Wie kam es zu der Beinahe-Zugkata strophe in Osnabrück? Experten zufolge mischten sich menschliches Versagen und ein unglaublicher Zufall. Doch die Zugunfälle der letzten Jahre zeigen, dass sich ein Unglück wie 2004 jederzeit wiederholen kann.
Der entscheidende Satz steht auf Seite 36: " Eine vereinfachte Bremsprobe mit dem Tfz in Maschen kann bei geschlossenen Luftabsperrhähnen nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sein." So hört es sich an, wenn das Eisenbahnbundesamt erklärt, warum ein Zug entgleist ist.
Folgt man dem Untersuchungsbericht der Behörde, dann hat am 17. März 2004 ein Bahn-Mitarbeiter am Rangierbahnhof Maschen nicht wie vorgeschrieben geprüft, ob die Bremsleitung zwischen einer Lok und den angehängten Waggons funktioniert. Deshalb rollte einige Stunden später ein Zug auf abschüssiger Strecke praktisch ungebremst durch den Schinkel.
Aber hätte der Lokführer das nicht früher merken müssen? " Nein, der hatte ja von Maschen bis Osnabrück eine grüne Welle", sagt Dietmar Koch, ehemaliger Bahnhofsleiter in Osnabrück. " Wenn er nur einmal hätte bremsen müssen, dann wäre es ihm aufgefallen." Dass ein Zug auf dieser langen Strecke kein einziges Mal seine Fahrt verlangsamen muss, kommt laut Koch so gut wie nie vor.
Die Güterverkehrssparte der Bahn zog aus dem Osnabrücker Unfall trotzdem Konsequenzen: Seit April 2004 müssen die " Bremsbeamten" vor der sogenannten vereinfachten Bremsprobe prüfen, ob die Hauptluftleitung einen freien Durchgang hat. Also: ob die Druckluftbremse funktioniert. Außerdem ist der Lokführer nun dabei, wenn die Bremsanlage getestet wird. Bis zu der Zugentgleisung in Osnabrück hatte er mit dieser Prüfung nichts zu tun.
Wie viel sicherer macht das den Güterverkehr mit Risiko-Stoffen? " Damit ist nur eine seltene Fehlerquelle ausgeschlossen", sagt Martin Sturm vom Fahrgastverband Pro Bahn. Sehr viel häufiger würden Züge entgleisen, weil die Achsen heiß gelaufen seien. Früher hätten entlang der Strecke Mitarbeiter gesessen, die unter anderem auf die sogenannten Heißläufer achten sollten. Diese Angestellten aber hat die Bahn zum großen Teil wegrationalisiert. Stattdessen gibt es " Heißläuferortungsanlagen" auf insgesamt 30 000 Streckenkilometern aber nur 500 Stück. Und als das Eisenbahnbundesamt im Jahr 2007 die Anlagen untersuchte, haben laut einem Bericht 56 nicht funktioniert.
Was meint die Bahn dazu? " Die Heißläuferortungsanlagen arbeiten absolut zuverlässig", sagt der hiesige Bahn-Bezirksleiter Reinhard Warhus. " Unsere Anlagen werden alle turnusgemäß überwacht und inspiziert. Wir haben hoch zuverlässige Zugsicherungssysteme", meint Bahn-Pressesprecherin Sabine Brunkhorst.
Trotzdem entgleiste erst im vergangenen Jahr ein Güterzug in Düsseldorf. Dabei kippte ein Kesselwagen um. Gefüllt war dieser, wie der brennende Waggon in Osnabrück, mit Propen. Während allerdings der Kessel in Osnabrück durch ein Metallstück aufgespießt wurde und das Propen damit entweichen und sich entzünden konnte, blieb der Düsseldorfer Waggon unversehrt. Dasselbe gilt für den Güterwaggon, der 2009 in Berlin von einem Regionalexpress gerammt wurde. Inhalt des Waggons: ebenfalls Propen. " Knapp an der Katastrophe vorbei", titelte damals der Berliner Tagesspiegel. Martin Sturm von Pro Bahn sagt, so eine Kata strophe könne jederzeit passieren. " Und vorher wird die Bahn auch nichts ändern."
Bildtext:
Ein ausgebrannter Kesselwagen und geschmolzene Schienen zeugen am Tag nach der Katastrophe von der ungeheuren Hitze, die am Unfallort herrschte.
Foto:
Michael Hehmann
Autor:
Hendrik Steinkuhl


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