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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Die Geburtsstätte des Ghia
Zwischenüberschrift:
Bis 1962 befanden sich mehrere Karmann-Betriebsstätten an der Martinistraße
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. " Karmann im Fledder" ist auch den Spätgeborenen noch ein Begriff. Aber " Karmann an der Martinistraße"? Nie gehört und kaum zu glauben, werden die meisten Osnabrücker sagen. Und doch entspricht es den Tatsachen, wie dieses historische Foto beweist.

Zwischen 1911 und 1962 hatte der Fahrzeugbauer wesentliche Teile seiner Werksanlagen zwischen Martini- und Weidenstraße. Karmann gehörte zu den " drei großen K" in diesem früh entstandenen Industriegebiet Osnabrücks in der Vorderen Wüste. Neben Karmann waren dies die Gasuhrenfabrik Kromschröder (jetzt Studentenwohnheim am Jahnplatz) und die Bettfedernfabrik Künsemüller (jetzt Gesundheitszentrum " Medicos").

Das Foto ist wie auch das unserer " Zeitreise" der vergangenen Woche dem Osnabrücker Straßenbahn-Experten Alfred Spühr zu verdanken, dem es im September 1958 darum ging, die letzten Fahrten auf der Straßenbahnlinie 3 (Martiniplatz Schützenstraße) festzuhalten. Ganz nebenbei gerieten ihm dabei Straßenszenen aus den Wiederaufbaujahren in die Optik, an die sich heute kaum noch jemand erinnert.

Die Martinistraße hatte Ende der Fünfzigerjahre noch ihr Vorkriegs-Kopfsteinpflaster, Parken am Straßenrand war eine Selbstverständlichkeit, und die Straßenbahn behauptete sich mit zwei Schienensträngen in der Straßenmitte. Für den Autoverkehr blieb je Fahrtrichtung nur eine Spur das Traumziel grüner Verkehrspolitik war in den 1950ern mithin bereits Realität. Nur mit dem Unterschied, dass die Martinistraße noch kein Autobahnzubringer war und keine zehn Prozent des heutigen Verkehrs verkraften musste.

An der Martinistraße gelang Karmann der Durchbruch zu einem der Großen im deutschen Karosseriebau. Die Wurzeln lagen jedoch nicht hier, sondern in noch weitaus beengteren Verhältnissen in der Innenstadt. 1901 kaufte der gelernte Stellmacher Wilhelm Karmann senior (1871–1952) die Wagenfabrik Klages am Kamp 31 und führte zunächst die Produktion von Pferdekutschen auf drei Stockwerken fort. Im Erdgeschoss waren Schmiede, Lackiererei und ein Fahrradgeschäft untergebracht, im ersten Stock eine Stellmacherei, im Dachgeschoss Lager und Wohnung. Ein handbetriebener Aufzug transportierte die fertigen Wagenkästen nach unten.

Karmann baute bereits 1902 mit zehn Mitarbeitern die ersten Automobilkarossen im Auftrag der Dürrkopp-Werke Bielefeld. 1905 fertigten 30 " Karmänner" die Aufbauten für Opel, Adler und Mercedes. Das " Werk I" am Kamp 31 platzte aus allen Nähten, die Kunden empfing durchgehend ohrenbetäubender Lärm. Um ihnen das zu ersparen, eröffnete Karmann an der Möserstraße 44 seinen ersten Präsentationsraum. 1911 folgte die nächste Großinvestition: Wilhelm Karmann kaufte die Maschinenfabrik und Eisengießerei Lindemann an der Martinistraße das später so genannte " Werk II", dessen Zufahrt zwischen den Hausnummern 59 und 63 unser " Zeitreise"- Foto zeigt.

In den Zwischenkriegsjahren weitete Karmann die Produktion weiter aus, rückte von der Holzkarosserie ab und ging zur Halbstahl- und später zur Ganzstahlkarosserie über. " Werk III" an der Martinistraße 93/ 95 (heute Aldi) nahm den Modellbau auf, im " Werk IV" an der Weidenstraße entstand 1935 das erste Presswerk. Auf neuen Ziehpressen konnten nun die Blechverkleidungen für Karosserien maschinell hergestellt werden. Dieses Presswerk machte wiederum die Einrichtung eines Werkzeugbaus notwendig. In der Vorderen Wüste waren die Erweiterungsmöglichkeiten nun aber ausgeschöpft. Also machte Karmann 1936 den Sprung in den Fledder. " Werk V" an der Neulandstraße entstand.

Der Zweite Weltkrieg hinterließ alle Betriebsstätten als Trümmerfelder. Der Not gehorchend, begann der Wiederaufbau an allen Standorten, nämlich überall dort, wo man noch auf Reste einer betrieblichen Infrastruktur zurückgreifen konnte. Die aus heutiger Sicht eigentlich schon 1945 fällige Konzentration auf den Fledder unterblieb infolgedessen. In kleinen Schritten wurde die Produktion wiederaufgenommen. Zunächst standen Schuhanzieher, Esslöffel und Gabeln, Blechwannen für Schiebkarren und Klappsessel für das Ritz-Kino auf dem Programm. Der Fahrzeugbau startete mit der Fertigung eines (!) Humber " Snipe" täglich in Lizenz für die britische Besatzungsmacht.

1950 begannen Karmanns glanzvollsten Jahre mit der Herstellung des VW-Käfer-Cabriolets und ab 1955 der Karmann Ghias. Die Werke an Martini- und Weidenstraße waren voll in die Produktionsabläufe eingebunden. Eine Folge der über die Stadt verteilten Standorte: häufige innerbetriebliche Transporte quer durch die Osnabrücker Innenstadt. Jeden Tag passierten 25 Lkw den Rosenplatz mit einer Kette von Anhängern, auf denen Rohkarossen von der Martinistraße zur Endmontage an der Neulandstraße geschaukelt wurden jedem Kostenrechner lief es dabei kalt den Rücken herunter. Das erkannten natürlich auch die " Karmänner". Sie erwarben ein zehn Hektar großes Anschlussareal im Fledder, um das Werk dort zu konzentrieren. Ab 1957 zog ein Betriebsteil nach dem anderen von der Martinistraße zur Neulandstraße um. 1962 hatte Karmann das Gelände in der Wüste komplett geräumt.
Bildtexte:
Die Martinistraße, hier in Blickrichtung stadtauswärts, war 1958 noch ein Karmann-Standort.
In dem grünlichen Gebäudekomplex in der Bildmitte war bis Ende der Neunzigerjahre das Schulaufsichtsamt untergebracht. Seit der Modernisierung 2005 beherbergt er unter anderem das Betriebsarztzentrum, das zuvor in der benachbarten Villa Karmann (links im Bild) zu finden war.
Foto:
Alfred Spühr, Joachim Dierks
Autor:
Joachim Dierks
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