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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
In den Krieg mit Blumen am Gewehr
Zwischenüberschrift:
Viele Menschen reagierten begeistert auf die Mobilmachung – aber nicht alle
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Am Samstag, 1. August 1914, wurde bekannt gemacht, dass " Seine Majestät der Kaiser" die Mobilmachung der Armee und Marine befohlen hatte. Vielerorts reagierten die Menschen mit Begeisterung doch längst nicht überall.
" Blumenüberschüttet", so heißt es in der Chronik des Osnabrücker Infanterie-Regiments Nr. 78, sei die Einheit am 8. August 1914 zum Bahnhof marschiert: " Singen, Zurufe, alte Armeemärsche, mit denen schon die Väter zur Schlacht zogen. Alles begeistert und ergriffen."
Bilder aus diesen Tagen zeigen Soldaten mit Blumen in den Gewehrläufen. Aber die Gesichter lassen ahnen, dass es mit dem " Spaziergang nach Paris" nichts werden würde. Und wirklich sollte schon Mitte November, als der Stellungskrieg in Flandern begann, von ehemals 45 Offizieren und 1984 Soldaten der Osnabrücker Bataillone die Hälfte nicht mehr leben.
Der Osnabrücker Lehrer Karl Koch (1875–1964) hat in seinen Erinnerungen die Erregung jener Tage geschildert: " In Osnabrück durchzieht ein Gewoge von Menschen die Straßen. Um 6 Uhr abends (am 1. August) wird der Mobilmachungsbefehl bekannt gegeben. Auch der Landsturm der Jahrgangsklassen 1869–1875 wird aufgerufen. Am Montag eröffnen die Franzosen ohne Kriegserklärung die Feindseligkeiten. Der deutsche Reichstag tritt zusammen. Der Kaiser prägt das Wort: ' Ich kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche.'"
Wenig später mischen sich dann erste bange Töne in die allgemeine Euphorie. Noch einmal Karl Koch, der als Reservist auf seine Einberufung wartet: " Am 7. August ist Kriegsbußtag. Wir besuchen den Gottesdienst in St. Marien, wo Pastor Dr. Pfannkuche die Predigt hält. Er spricht über den Text: ' Dass Du Dich nicht fürchtest, Gott der Herr ist Dein Trutz.'"
Die Historikerin Simone Herzig hat die Berichterstattung und Kommentierung der Osnabrücker Tageszeitungen für den Zeitraum vom Attentat in Sarajevo über die Mobilmachung bis zum Anlaufen der deutschen Offensiven auch wissenschaftlich untersucht. Zu jener Zeit erscheinen in Osnabrück vier Zeitungen mit wechselnden konfessionellen oder politischen Schwerpunkten, die vom bürgerlichen Spektrum bis zu einer eigenen SPD-Parteizeitung reichen.
Dabei sind die vorgefundenen Bewertungen durchaus relativierend und weniger von Hurra-Patriotismus als von " entschlossenem Ernst und fester Zuversicht" geprägt. Als zentraler Topos kann dafür das Wort von der " Begeisterung" gelten, dass nach den Textanalysen von Simone Herzig mit Charaktereigenschaften wie " ernste Gesinnung", " starkes Pflichtgefühl", " Opfermut und Hingabe" verbunden wurde.
Die Menschen im Emsland und der Grafschaft Bentheim erfuhren vom Ausbruch des Krieges in Beesten etwa durch die Brandglocke oder in Salzbergen durch den Ortsdiener. Die Bevölkerung reagierte gegensätzlich, glaubt man Berichten in den Schulchroniken, die von der Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte ausgewertet wurden.
" Mobilmachung! Krieg!! Brauste es in den ersten Aug.Tagen 14 in herrlicher Begeisterung durch unsere Emslandgauen", notierte ein Lehrer in Listrup. Und nicht nur in der Chronik der evangelischen Schule Freren steht: " Mit großer Begeisterung und festem Gottvertrauen zogen die Krieger ins Feld." Anders verhielten sich die Salzbergener: " Jung u. alt eilt auf die Straße. Große Erregung, erschreckte Gesichter", bemerkte der Chronist. " Lautlos kehrt alles in die Häuser zurück, manche erscheinen wir erstarrt." Für den Tag danach stellt er fest: " Stimmung sehr gedrückt. Man fühlt etwas Ungewisses, Unheimliches, Drohendes im Anzuge. Viel weinende Frauen."
Für die Meppener war schon lange absehbar, dass irgendwann ein Krieg ausbrechen würde. " Im Mobilmachungsfalle": So hatten bereits ab 1894 zahlreiche amtliche Schreiben zwischen dem Landratsamt und dem " Kommandierenden General des X. Armeekorps" begonnen und sich über 20 Jahre mit dem Ausbau des Meppener Ludmillenstifts zum Garnisons-Lazarett und anderen Details beschäftigt.
Zu den prägenden Bildern in den ersten Kriegstagen gehörten mit Soldaten durchfahrende Eisenbahnen. Zahlreiche Militärtransportzüge passierten die Bahnhöfe, und das tagelang. Wo sie haltmachten, wurden die Soldaten reichlich mit Fleisch, Eiern und Brot bewirtet.
Katholische Rekruten gingen zur Beichte, bevor sie die Heimat verließen. " Der Ernst und der Eifer, mit welchem heute gebetet wurde und man sich auf die Beichte vorbereitete, hatte besonderen Grund: Es war der Kriegszustand verkündigt worden", heißt es in der Pfarrchronik von Schüttorf. " Man wollte sich für alles bereit machen."
Auch dem Meppener Zweigverein des Roten Kreuzes war bald bewusst, dass es Tote und Verletzte geben würde: " Der Krieg hat . . . unendlich viel Leid und Not im Gefolge", stellte der Vorstand in einem Aufruf fest, den die " Ems- und Hase-Blätter" am 12. August abdruckten. " Unsere heiligste Pflicht ist es, diese Not zu lindern, soweit nur in unseren Kräften liegt." Das Rote Kreuz bat dringend um Geldspenden, um Verwundeten und Angehörigen helfen zu können.
In Holsten gingen die jungen Männer davon aus, dass sie zur Salzbergener Kirmes im Oktober wieder zu Hause seien, spätestens aber gegen Weihnachten. Zur Begründung schrieb ein Lehrer: " Ein moderner Krieg mit seinen gräßlichen Mordwaffen würde nicht lange dauern können."
Dass dieser Krieg ein " Opfergang" sei, aus dem die Gesellschaft geläutert hervorgehen werde, war damals offenbar eine weitverbreitete Vorstellung. Von einem " mentalen Heroisierungsprozess" spricht deshalb auch Herfried Münkler in seinem Buch (" Der Große Krieg. Die Welt 1914–1918"): " Die Vorstellungen von Opfer und Ehre hatten eine bis dahin unvorstellbare Relevanz für den Zusammenhalt der Gesellschaft bekommen."
Spätestens mit dem Einsetzen der amtlich gelenkten Kriegspropaganda wurde dann auch das " Augusterlebnis" überhöht und zu einer nationalen Wiedergeburt stilisiert. Je länger der Krieg dauerte, je höher die Verluste waren und je größer die Not an der Heimatfront wurde, umso mehr wurde an jenem Mythos von nationaler Einheit gewoben, den die Zeitzeugenberichte auch für Osnabrück deutlich differenzierter sehen lassen.

Bildergalerie
auf www.noz.de
Bildtexte:
Durch eine dichte Menschenmenge ging der Weg zum Bahnhof: ein Bild vom 8. August 1914 auf dem Osnabrücker Neumarkt.
Vor dem Osnabrücker Schloss wurden Anfang September 1914 Freiwillige vereidigt.
Fotos:
Staatsarchiv Osnabrück/ Archiv Neue OZ
Autor:
Christof Haverkamp, Frank Henrichvark


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