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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Vier Jahre hinter Stacheldraht
Zwischenüberschrift:
Das Offiziersgefangenenlager am Westerberg: 500 Mann waren Geiseln für das Verhalten der Gegenseite
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Nur sechs Wochen nach dem Ausbruch der Kampfhandlungen an der Front kam der Weltkrieg zurück in die Heimat: In Osnabrück wurde bereits Mitte September 1914 ein Offiziersgefangenenlager eingerichtet. Bis zum Jahresende 1918 saßen hier in der Artilleriekaserne am Westerberg an die 500 gefangene Offiziere hinter Stacheldraht: vom Leutnant bis zum General. Beide Seiten betrachteten die gemachten Gefangenen als Geiseln, als ein Faustpfand der Diplomatie für das Verhalten des Gegners. Und deshalb wurden sie auch mal besser und mal schlechter behandelt.

Am Nordhang des Westerberges zwischen der Artilleriestraße und der Barbara straße hatte die Stadt Osnabrück zwischen den Jahren 1900 und 1903 eine Artilleriekaserne erbaut, sie wurde später nach dem letzten Kriegsminister des Kaiserreichs " General-von-Stein-Kaserne" benannt. Am 26. März 1902 zog hier die II. Abteilung des Feldartillerieregiments Nr. 62 ein zusammen 250 Soldaten und 150 Pferde. Der Krieg wäre ohne die Vierbeiner nicht zu führen gewesen. Denn eine solche Artillerieeinheit verfügte über drei Batterien mit jeweils sechs Geschützen, die im Einsatz von sechs Pferden gezogen wurden. Gelenkt wurde solch ein sechsspänniger Zug von drei Reitern im Sattel, die jeweils noch ein Handpferd zur Rechten führten. So wurden damals die schweren Kanonen und tonnenweise Munition und Material notfalls auch querfeldein transportiert.

Die Last der Langeweile

Mittlerweile gehört die Von-Stein-Kaserne zur Hochschule Osnabrück, sind hier Hörsäle und Labors eingerichtet. Aber weil an diesem Kasernenstandort in den folgenden Epochen praktisch nichts verändert worden ist, lässt sich das Konzept der damaligen Preußischen Heeresbauverwaltung für eine Einheit der bespannten Artillerie bis heute an den Liegenschaften ablesen: Das große Mannschaftsgebäude mit der Wache nebenan steht im Westen an der Artilleriestraße, ebenfalls liegen hier das Stabsgebäude und das Offizierskasino, es folgen Pferdeställe und Kanonenschuppen, Küche und Kantine, zwei Reithallen, die Hufschmiede und die Wagenmeisterei. Sogar ein " Isolierstall für kranke Pferde" war vorgesehen. Inmitten des Areals lagen die Abreiteplätze für die Arbeit mit den Pferden, unterhalb der Stallgebäude der Richtplatz zum Exerzieren mit den schweren Feldhaubitzen vom Kaliber 7, 7 Zentimeter.

Bereits sechs Wochen, nachdem die Osnabrücker Artilleristen in den Ersten Weltkrieg ausgerückt waren und während der vier Kriegsjahre insgesamt 652 862 Schuss Munition verfeuerten, wie das Kriegstagebuch penibel verzeichnet bekam die Artilleriekaserne am Westerberg im September 1914 eine neue Funktion zugewiesen: Bis Ende 1918 waren jetzt hinter doppeltem Stacheldraht etwa 500 gefangene Offiziere interniert. Die Gefangenenlisten sind erhalten, sie nennen Russen, Franzosen, Engländer; aber auch Belgier, Italiener, sogar fünf Inder und ein Portugiese waren darunter.

Auch eine Vielzahl von Fotos gibt es noch, teils von den Gefangenen selbst aufgenommen, teils auch von einem professionellen Fotografen aus der Stadt angefertigt um wohl mit der Feldpost den Angehörigen als Lebenszeichen in die Heimat geschickt zu werden.

Nach der Haager Landkriegsordnung mussten gefangene Offiziere ganz im Gegensatz zu den einfachen Soldaten, die häufig in der Landwirtschaft eingesetzt wurden nicht arbeiten. Die größte Plage des Lagerlebens dürfte deshalb die Langeweile gewesen sein.

Weshalb die am Westerberg internierten Offiziere denn auch rege Aktivitäten entwickelten: Sport auf dem Kasernenhof, Vorträge und Sprachkurse, auch Musik und Theateraufführungen wurden von der deutschen Bewachung begrüßt und gefördert. Immer wieder verwendeten die Gefangenen ihre Energie aber auch darauf, Fluchtpläne zu schmieden: Anfang Februar 1915 graben etwa zehn russische Offiziere im Keller des Südflügels einen Tunnel und werden dabei ertappt. Im Frühjahr 1916 kommt der Hauptmann Charles de Gaulle, der spätere französische Staatspräsident, ins Lager nach Osnabrück. Er war vier Wochen zuvor bei den Kämpfen um das Fort Douaumont bei Verdun verwundet und gefangenen genommen worden. De Gaulle, der später zum " Ausbrecherkönig" wurde, weil er bis 1918 insgesamt fünfmal seinen Bewachern davonlief, aber stets wegen seiner Größe von 1, 95 Meter prompt entdeckt wurde, schmiedet sofort Fluchtpläne und wird deshalb verlegt.

Auch im Sommer 1916 graben mehrere Offiziere erneut einen Tunnel und werden dabei entdeckt. Im Sommer 1915 springen der belgische Divisionspfarrer Brouwers und der russische Hauptmann von Schmidt aus einem Fenster. Ein tragischer Tod: Der Belgier wird von der Wache erschossen, der Russe ergriffen. Und noch im Sommer 1918 entkommen drei Franzosen von Osnabrück ins neutrale Holland.

Andererseits galt unter Siegern und Besiegten noch die tradierte Ritterlichkeit: Wer sein " Offiziersehrenwort" gab, durfte in Gruppen von etwa 40 Mann und begleitet von einem deutschen Bewacher längere Spaziergänge über den Westerberg unternehmen. Und mit allen militärischen Ehren wurden zwei im Lager verstorbene russische Offiziere, der Generalleutnant Michael Schreider und der Generalleutnant Simon Federow, im Jahr 1915 auf dem Johannisfriedhof beigesetzt. Der Trauerzug der Gefangenen quer durch die Stadt erregte damals großes Aufsehen.

Das Leben hinter dem Stacheldraht am Westerberg war gewiss langweilig, gleichwohl relativ privilegiert. Die Generäle wohnten in Einzelzimmern, die Hauptleute und Leutnants zu sechs oder acht in einer Stube; fürs Stiefelputzen, Ofenheizen und zur Bedienung hatten sie eigene Burschen, Verpflegung lieferte der Kantinenwirt mit der Möglichkeit, Wein und Bier zu kaufen oder Konserven aus der Heimat zu empfangen. Und dennoch: Die Gefangenen waren zugleich Geiseln für die Gegenseite. Ihre Versorgung verschlechterte sich deshalb, wenn es Klagen über die Unterbringung deutscher Kriegsgefangener in Russland gab: " Dies hat zur Folge gehabt, dass die russische Regierung die unwürdige Behandlung aufhob, worauf auch hier die Vergeltungsmaßregeln fortfielen", so heißt es in den Akten. Zur Kontrolle der Zustände gab es häufige Besuche von Gesandten neutraler Staaten und vom Roten Kreuz.

Unruhe im November 18

Mit dem Ende des Krieges wurde auch das Lager auf dem Westerberg aufgelöst. Am 18. Dezember 1918 fuhren die letzten französischen Offiziere mit einem Sonderzug vom Hauptbahnhof in ihre Heimat zurück. Zuvor muss es im Lager noch dramatische Szenen gegeben haben: " Als am 8. November 1918 sich auch die Revolution auf Osnabrück erstreckte", so heißt es in einem Bericht der Lagerverwaltung, " wurden die Kriegsgefangenen unbotmäßig." Sie wollten den Befehlen der Kommandantur nicht mehr folgen, sondern nach dem Waffenstillstand sofort entlassen werden. Daraufhin kam auch der in Osnabrück gebildete revolutionäre Soldatenrat ins Lager: " Verschiedene Mitglieder desselben hielten Ansprachen an die Gefangenen, die darin gipfelten, sie sollten nicht mehr als Feinde und Gefangene, sondern als Brüder angesehen werden."

Gleichwohl verschärfte der Soldatenrat die Bewachung und stationierte sogar zwei Maschinengewehre auf den Wachtürmen. Immerhin fanden die Revolutionäre und ihre Gegner von einst einen Kompromiss: Für die letzten Wochen der Internierung wurde einem französischen General die Aufsicht über seine Kameraden übertragen.

Bildtexte:
Fußballspielen auf dem Kasernenhof: Im Hintergrund das Wirtschaftsgebäude und rechts die Reithalle der Artilleriekaserne.
Bittere Ironie: Depart oder Abfahrt stand über dem Ausgang zum Sportplatz auf dem Kasernenhof. Hinten die frühere Hufschmiede, heute ein Labor der Hochschule Osnabrück.
Großes Aufsehen erregte im Sommer 1915 der Leichenzug aller Kameraden für den General Fedorow, der vom Lazarett in der Hakenstraße zum Johannisfriedhof ging.
Deutsche Wachtposten und eine Gruppe russischer Offiziere: Ein Erinnerungsfoto aus dem Gefangenenlager am Westerberg.
Die Nationalitäten waren ein Abbild der Koalition der Gegner. Hier posieren Russen, Franzosen, ein Schotte und indische Soldaten für den Fotografen.
Zwischen Kanonenofen und Klavier: Die unteren Dienstgrade lebten zu sechs oder acht in einer Stube.

Fotos:
Staatsarchiv Osnabrück
Autor:
Frank Henrichvark


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