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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Überschrift:
Alles begann mit 28 Portionen Rinderbraten
Zwischenüberschrift:
50 Jahre "Essen auf Rädern" in Osnabrück – Sozialer Aspekt spielt heute untergeordnete Rolle
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Der Name und die Idee stammen aus England, und indirekt ist Deutschland schuld daran: Hitlers Luftkrieg gegen London und andere britische Großstädte nahm vielen Menschen die Wohnung und damit die Möglichkeit zu kochen. Ein wohltätiger Frauenverein versorgte sie mit warmen Mahlzeiten – " Meals on wheels" war geboren.

Auch in unserem Land litten kriegsversehrte, alte und einsame Menschen Not. In Niedersachsen war es der Paritätische Wohlfahrtsverband, der die Idee aufgriff und den Mitbürgern, die nicht mehr aus dem Haus kamen, das Essen ins Haus brachte. Auch wenn sich die deutsche Übersetzung " Essen auf Rädern" nicht so schön reimt wie im Englischen, wurde sie doch schnell zu einem griffigen Schlagwort für ein Hilfsprogramm, das in eine große Bedarfslücke stieß. " Der Paritätische ist dadurch eigentlich erst richtig bekannt geworden", weiß Jörg Echterhoff, der die Geschäfte des Kreisverbands Osnabrück führt.

Erste Gehversuche mit dem " Essen auf Rädern" unternahm der Paritätische 1963 in Hannover, Braunschweig und Hildesheim. Die Erfahrungen waren gut, und so beschloss die Osnabrücker Ortsgruppe unter ihrem Vorsitzenden Werner Marquardt, Gleiches zu tun. Unterstützung kam vom Kuratorium Deutsche Altenhilfe, die aus Spendenmitteln der Fernseh-Lotterie " Miteinander füreinander" den Opel Rekord Caravan für die Auslieferungsfahrten stellte, und von der Bezirksregierung, die in ihrer Behördenkantine die zusätzlichen Essen kochen ließ.

Am 2. Januar 1964 begann das Essen in Osnabrück zu rollen. Die " Neue Tagespost" berichtete acht Tage später, dass nun bereits 28 Portionen Rinderbraten durch die Stadt kutschiert würden, dazu Erbsen, Möhren und Kartoffeln mit Soße. " Lecker, lecker, muss ich sagen", ließ sich eine Kundin, eine 73-jährige gehbehinderte Frau, zitieren. Eine andere, die mit ihren verkrüppelten Händen nicht mehr arbeiten konnte, sagte: " Ich brauch nicht mehr einzukaufen und nicht zu kochen. Können Sie jetzt verstehen, wie groß mir diese Hilfe ist?"

Im Keller der Regierung befüllten vier Frauen und zwei männliche Helfer die vierteiligen Essenträger aus Aluminium. Waren vier Essenträger fertig, kamen sie in einen länglichen, isolierten Blechbehälter. " Abdeckbrett drauf, und wieder ist eine Partie fertig", schrieb die Zeitung. Bis zu 50 Portionen fanden auf diese Weise in dem Caravan Platz. Was uns heute recht balüsig und schwer vorkommt, wurde damals als großer Fortschritt empfunden gegenüber den Anfangstagen in London, als man das Essen zum Warmhalten in einen ausgehöhlten Strohballen oder in zweckentfremdete Fellmützen steckte und in ausgedienten Kinderwagen durch die Straßen schob.

Kurz vor zwölf fuhr der Osnabrücker Kombi los. " Wo er hält, bringt er mit dem Essen die Freude ins Haus", schrieb die Zeitung, " und die zwei Frauen, die das Essen austeilen, stoßen auf Dankbarkeit und sehen in leuchtende Augen". Eine Frau, die im dritten Stock wohnte, ging den Essensbringerinnen immer unter großen Mühen in den zweiten Stock entgegen, damit sie nicht so viel steigen mussten.

Die Selbstkosten einer Portion einschließlich der Versicherung der freiwilligen Helfer und der Fahrzeugkosten betrugen 2, 80 D-Mark. Sozialhilfeempfänger brauchten nur eine D-Mark zu zahlen. Für die dadurch nicht gedeckten Kosten sammelte der Paritätische Spenden. Etwa zwei Jahrzehnte war das " Essen auf Rädern" Aushängeschild und Markenzeichen des Paritätischen. Dann machten auch andere Wohlfahrtsverbände wie das DRK, Johanniter, Malteser und Caritas ähnliche Angebote unter dem gleichen, nicht geschützten Namen " Essen auf Rädern".

Mit dem Aufkommen der Tiefkühlgerichte wurde der Markt der Menü-Bringdienste für private Anbieter interessant, die die Mahlzeiten im industriellen Maßstab vorproduzieren. Einer der ganz Großen im Geschäft sorgt heute mit 700 Mitarbeitern dafür, dass Tag für Tag 55 000 Menüs ausgeliefert werden können. Der soziale Aspekt ist in den Hintergrund getreten. Jeder Kunde bezahlt den gleichen Preis, ob er nun bedürftig ist oder einfach nur keine Zeit oder Lust hat zu kochen. Sozialhilfeempfänger können sich allerdings einen Teil der Kosten erstatten lassen.

Der Paritätische in Osnabrück hat sich der Wettbewerbslage angepasst, indem er der Tiefkühlware den Rücken gekehrt hat und nur noch frisch zubereitetes Essen eines regionalen Bio-Anbieters im Radius von vier Kilometern rund um die Geschäftsstelle am Kurt-Schumacher-Damm ausfährt. " Das ist für uns kostendeckend, und in diesem Bereich würden wir gern auch noch neue Kunden bedienen", sagt Geschäftsführer Echterhoff.

Bildtexte:
Ehrenamtliche Helferinnen bei der Essenszubereitung.
Leichte Styropor-Boxen waren Anfang der Sechzigerjahre noch unbekannt In der Anfangszeit wurde das " Essen auf Rädern" in solchen länglichen, isolierten Blechbehältern transportiert.

Fotos:
Archiv/ Kurt Löckmann
Autor:
Joachim Dierks


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