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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Diakonissen in bürgerlicher Kleidung
Zwischenüberschrift:
Der Kindergarten an der Miquelstraße ist der zweitälteste in Osnabrück
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Ein Gebäude, wechselnde Namen und viele Träger: Das 1907 als städtische " paritätische Kleinkinderbewahranstalt" gegründete Haus stand zwischendurch unter dem Kommando der Weberei Hammersen, der Evangelischen Frauenhilfe und der NS-Volkswohlfahrt, bis nach dem Krieg die evangelische Luthergemeinde und schließlich seit 2009 die heutige Südstadt-Kirchengemeinde Träger wurden.

Um das zeitgemäße Ganztagsangebot herauszustellen, spricht man heute von " Kindertagesstätte" und hat dafür den guten alten, von der halben Welt als Lehnwort übernommenen Begriff " Kindergarten" geopfert. Von " projektorientierter Arbeit" mithilfe sozialpädagogischer Fachkräfte, " ganzheitlicher Sprachförderung" und " offener Familien begleitender Kommunikation" war 1907 noch keine Rede. Gründungsanlass war die Gefahr der Verwahrlosung der Kinder aus jenen Familien in der Südstadt, wo Vater und Mutter zum Überleben auf ganztägige Arbeit in den Industriebetrieben angewiesen waren. Die " automatische" Kindererziehung wie in Ackerbürger- oder Handwerker-Haushalten, wo sich das Erwerbsleben rund um den heimischen Herd abspielte, funktionierte vielfach nicht mehr.

Die heute oft als Anhängsel der Lutherkirche gesehene Kita hat eine eigenständige Geschichte und ist sogar älter als die 1909 geweihte Lutherkirche. Alteingesessene Bürger der Neustadt, die sich Sorgen um die Entwicklung in den Arbeitervierteln machten, hatten sich schon kurz nach der Jahrhundertwende an den Magistrat mit der Bitte gewandt, eine entsprechende " Anstalt" einzurichten. Unterstützt wurde der Vorstoß von der Werksleitung der Weberei Hammersen, die sehr deutlich die Probleme wahrnahm, die daraus entstanden, dass sie eine große Zahl junger Mütter an ihre Webstühle fesselte.

Die Firma bot zu Vorzugsbedingungen ein Pachtgrundstück an der Miquel straße an und stellte einen Baukostenzuschuss von 3000 Goldmark in Aussicht, wenn die Stadt sich zu einem Bau entschließen könne. Das konnte sie, aber erst nach mehreren Jahren langwierigen Verhandelns. Stadtbaurat Friedrich Lehmann entwarf das Haus mit dem charakteristisch geschwungenen Walmdach und den vom Jugendstil beeinflussten Dachgauben. Er machte 37 000 Goldmark an städtischen Mitteln locker. Am 19. August 1907 wurde die " paritätische Kleinkinderbewahranstalt" eröffnet.

Damit war sie aber nicht der älteste Kindergarten Osnabrücks. Älter ist der Kindergarten der Marien-Gemeinde an der Turnerstraße. Der wurde 1875 als " Filiale" der bereits 1840 entstandenen Kleinkinderschule an der Alten Münze gegründet und existiert bis heute, während der Standort Alte Münze schon lange keinen Kindergarten mehr hat.

Der Kindergarten Miquelstraße war von Anfang an überlaufen. 60 Plätze waren vorgesehen, mit 67 Kindern ging man an den Start. Um die Parität, also den überkonfessionellen Charakter zu wahren, bekamen die als Erzieherinnen angestellten (evangelischen) Kaiserswer ther Diakonissen die Anweisung, " ihren Dienst in bürgerlicher Kleidung durchzuführen".

Die historische Ansichtskarte zeigt die noch ziemlich einsam an der Miquelstraße stehende " Anstalt" im baulichen Zustand vor 1916. Das lässt sich sagen, weil die Karte im August 1916 versandt wurde. " Das Haus welches auf dem Bilde steht ist die Kinderschule in Osnabrück wo ich gewesen bin als ich klein war", so heißt es in ungelenker Sütterlin-Schrift auf der Ansichtsseite der Postkarte, während auf der Rückseite nachzulesen ist, dass die Karte an " Agnes Sauerborn (?), per Adr. Herrn Kaufmann Pohlmann, Glane bei Iburg" adressiert war. Schreiberin war " Deine Freundin Alma", die 1916 kaum älter als 14 Jahre gewesen sein dürfte, wenn sie 1907 zu den ersten Kindern an der Miquelstraße gehört hat.

In der Weimarer Republik hieß die Einrichtung " Volkskindergarten". Als die Stadt sie in den Wirren der Inflationszeit nicht mehr halten konnte, kaufte Hammersen das Haus und führte es als Werkskindergarten weiter. 1924 übernahm Anna Gastvogel die Leitung. Die behielt sie auch, als der Stadtverband der Evangelischen Frauenhilfe Träger wurde und später im gleichgeschalteten NS-Staat die " NSV-Volkswohlfahrt". 1945 hatten die britischen Besatzer ein totales Arbeitsverbot für alle deutschen Erziehungsinstitute verhängt, um die ideologische Neuorientierung unter Kontrolle zu bekommen.

Anna Gastvogel ließ sich davon nicht beirren. Sie sah die Not der Familien und machte einfach weiter. Dank guter Beziehungen zur Hammersen-Werksleitung versorgte die Werksküche sie mittags mit belegten Broten und einer warmen Suppe. Das war für die Kinder oft die einzige Mahlzeit am Tag. Die Briten sahen, dass " Tante Anna" ihren Laden im Griff hatte, und ließen sie gewähren.

1959 verkaufte Hammersen das Gebäude an die Stadt. Die gewann die Lutherkirche als Trägerin des Kindergartens. 1998 war ein weiterer Meilenstein, als die benachbarte Evangelische Familienbildungsstätte auszog und damit das Haus Miquelstraße 15a hinzugenommen werden konnte. Seitdem führt Leiterin Angela Beuck eine großzügig ausgestattete Kita mit hellen Gruppenräumen, Ruhe- und Kreativbereichen und einem differenzierten Programm, in dem eine individuelle Sprachfördererziehung ebenso zu finden ist wie integrative Kunst- und Musikschulkurse.

Bildtext:
Älter als die Lutherkirche am rechten Bildrand (1909 geweiht) ist der Kindergarten an der Miquelstraße 15 (1907 eröffnet). Vorne mündet die Teutoburger Straße ein. Die 1916 abgeschickte Ansichtskarte stammt aus der Sammlung von Helmut Riecken.
Vom linken Nachbarhaus arg bedrängt und mit einem unhistorischen gelben Anstrich versehen, ist das 106 Jahre alte Haus mit seinen fünf Fensterachsen in der Grundsubstanz dennoch erhalten.

Foto:'
Joachim Dierks
Autor:
Joachim Dierks


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