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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Kunst und Kitsch im Kleinformat
Zwischenüberschrift:
Mit Abiturientenkarten sagten die Schulabgänger früher ihrer Penne Adieu
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Zeichen und Rituale begleiten von jeher die Wendepunkte unseres Lebens. Ob es die Taufkerze ist oder die Schultüte, das Austauschen der Eheringe oder die Silberrosen im umkränzten Hauseingang, wenn die Sache 25 Jahre gehalten hat stets helfen Symbole und mit ihnen verknüpfte Handlungen, uns die Bedeutung eines zurückgelegten oder neu beginnenden Lebensabschnitts vor Augen zu führen. Volkskundler stellen auch das längst in Vergessenheit geratene Brauchtum der Abiturientenkarten in diesen Zusammenhang.

Eine Abiturientenkarte ist eine zumeist von den abgehenden Schülern selbst entworfene und herausgegebene Ansichtskarte, die sie an Verwandte und Bekannte in nah und fern verschickten, um die eigene Freude über die bestandene Abschlussprüfung und den bevorstehenden Eintritt in Berufsleben oder Studium mit ihnen zu teilen. Die dabei verwendeten Bildmotive und Texte sagen viel über den allgemeinen Zeitgeist, aber auch über die Zukunftsperspektiven und Wünsche der jeweiligen Schulabgänger in ihrer Zeit aus. Wie andere Themen-Postkarten auch stellen sie als kulturgeschichtliche Fundgruben inzwischen beliebte Sammlerobjekte dar. Die hier gezeigten Bildkarten wählte der Osnabrücker Sammler Helmut Riecken für uns aus.

Das Abitur (wörtlich: " Er/ sie/ es wird weggegangen") wurde 1834 in Preußen als Abschluss des Gymnasiums und " Zeugnis der Reife" für ein Universitätsstudium eingeführt. Als mit dem verstärkten Aufkommen von illustrierten Postkarten ab etwa 1900 auch die Abiturientenkarten begannen, sich zu einem beliebten Brauch zu entwickeln, war das Erlangen der Hochschulreife noch eine sehr exklusive Angelegenheit. Weniger als ein Prozent eines Jahrgangs erreichten den Abschluss, den heutzutage rund 30 Prozent schaffen (inklusive Fachhochschulreife sind es 43 Prozent). Umso ungewöhnlicher war es damals, wenn man den Stoff von 13 Schuljahren zur Zufriedenheit der Gymnasialprofessoren intus hatte darunter viel Griechisch-Römisches, viel auswendig Gelerntes, das mit der Lebenswirklichkeit Heranwachsender mitunter nicht viel zu tun hatte.

Die Abiturientenkarten verraten hier und da eine gewisse Erleichterung, das strenge Schulreglement hinter sich gelassen zu haben. Gleichzeitig deuten viele Bildmotive eine Bejahung des hellenistisch-humanistischen Bildungsideals an. Die Abiturientenkarte des Carolinums aus dem Jahr 1913 etwa zeigt eine hehre Gestalt mit klassischem Überwurf, die den (unsichtbaren) Schulabgängern die Hand reicht, um sie über das unbekannte Meer hin zur Sonne zu führen. Die Sonne steht dabei für die (akademische) Freiheit, die die Carolinger dank des genossenen Bildungsweges erwartet.

Die linke obere Ecke ziert ein schwarz-rot-goldenes Band und das zu Zeiten des schwarz-weiß-roten Kaiserreichs! Wie das zustande kam, erklärt einer, der es wissen muss: Benno Suerbaum. Er war von 1941 bis 1950 Schüler und von 1955 bis zu seiner Pensionierung 1992 Lehrer für Geschichte und Latein am Carolinum.

Demokratische Zeichen

" Schwarz-Rot-Gold sind die Traditionsfarben der Schule, die damit die Erinnerung an die erste deutsche Revolution von 1848, an die Versuche einer nationalen Einigung unter demokratischen Vorzeichen, wachhalten wollte." Unter der Nazi-Herrschaft sei das Zeigen dieser Farben gefährlich gewesen, weil es einem Bekenntnis zur offiziell verhassten Weimarer Republik gleichgekommen wäre. " Wir konnten es aber nicht lassen", erzählt Suerbaum, " als unser Unterricht kriegsbedingt nach Kloster Oesede ausgelagert war und wir das Gebäude mit dortigen Volksschülern teilen mussten, steckten wir uns kleine schwarz-rot-goldene Bändchen an die Jacke. Damit wollten wir uns auf dem gemeinsamen Pausenhof etwas von den Volksschülern abheben." Dann sei aber einer der Volksschullehrer auf sie zugekommen und habe das Tragen der Bändchen verboten. " Unsere eigenen Caro-Lehrer hatten sich nicht daran gestört", so Suerbaum.

Wer damals nicht studieren wollte, sondern etwa eine Karriere beim Militär oder als Beamter anstrebte, begnügte sich mit dem " Einjährigen", also dem Abgang nach Klasse 10. Dieser mittlere Schulabschluss hatte seinen Namen daher, dass junge Männer damit statt des normalen dreijährigen Wehrdienstes nur ein Jahr zu dienen brauchten. Offiziell hieß der Abschluss " wissenschaftliche Befähigung für den Einjährig-Freiwilligen Militärdienst".

Was den Abiturienten recht war, nämlich ihren Abschluss mit Abiturientenkarten zu feiern, war den " Einjährigen" nur billig. 1913, also im gleichen Jahr wie die Abiturienten, gaben sie am Carolinum die hier abgebildete " Einjährigenkarte" heraus. Sie beschreibt nicht den Aufbruch ins Elysium, sondern kommt etwas bodenständiger daher, nämlich mit der Silhouette der Heimatstadt. Keineswegs fehlen durften die Traditionsfarben Schwarz-Rot-Gold im Wappenschild, ebenso wenig der Burschenschafter-Zirkel, mit dem sich auch schon Schüler-Verbindungen gern schmückten.

Manche Symbole auf den Schülerkarten sind heute nicht mehr vertraut. So steht etwa der Frosch für den Schüler, der weiterhin in seiner Penne gefangen ist, das Maultier oder " Mulus" hingegen für den Abgänger, der nicht mehr Schüler, aber noch nicht Student ist so wie das Maultier weder Esel noch Pferd ist. Bücher und Schulhefte, die verbrannt oder in den vorbeifließenden Fluss des Lebens geworfen werden, sprechen für sich, ebenso der Torbogen, den man durchschreitet, um die Enge des Städtchens und des bisherigen Daseins hinter sich zu lassen. Das Schwenken des Hutes zum Lebewohl-Wunsch an die Heimatstadt begegnet uns auf der Karte des Königlichen Realgymnasiums an der Lotter Straße, des späteren EMA-Gymnasiums. Der Abiturient, schon ganz im Wichs eines Burschenschafters, hat die alte Schülermütze aufgespießt und trägt die als " Stürmer" bezeichnete Studentenmütze.

Die Abgänger des Katholischen Lehrerseminars bemühen die Symbolik des Adlers, der sich, von allen Fesseln befreit, in die Lüfte schwingt, und die der Eule, die in dem eingeschobenen Bildchen von einer Frauengestalt, vielleicht der Göttin der Weisheit Athene, getragen wird. Der bildlich dargestellten " kleinen Gasse" wird mit leichter Wehmut Lebewohl gesagt. Die Skizze zeigt den Blick aus der Kleinen Domsfreiheit in den Durchgang zum Carolinum. Rechts und links in den Gebäuden war das Lehrerseminar untergebracht.

Sturmerprobte Mädchen

Die Abgängerinnen der Oberschule für Mädchen am Schlosswall sehen sich 1940 auf einem Schiff, das über ein mächtig aufgewühltes Meer davonsegelt. Hier könnte der begonnene Zweite Weltkrieg durch die Höhe der Wellen angedeutet sein, auch wenn die Abiturientia trotzig behauptet, dass sie das alles nicht erschüttern könne.

In den 1950er-Jahren verlor sich das Brauchtum der Abiturientenkarten. Dafür gibt es viele Gründe. Das Verhältnis der Schüler zu ihrer Schule und den Lehrern wandelte sich grundlegend. Die Protestgeneration der " 68er" vermutete unter den Talaren den Muff von tausend Jahren und räumte gründlich mit alten Traditionen auf. 1970 war es schick, sich das Abi-Zeugnis im Sekretariat abzuholen und dann der Schule grußlos den Rücken zu kehren. Natürlich spielte auch der technische Wandel in den Kommunikationsmöglichkeiten eine Rolle. Die langsame und altmodische Postkarte hatte ausgedient.

In den letzten zwanzig Jahren haben sich neue Traditionen rund um das Abitur entwickelt. Abi-Vorbereitungskomitees denken sich das Abi-Motto aus und planen Abi-Feten, mit denen Geld für die zentralen Abi-Events gesammelt wird: für Abi-Fahrt, Abi-Ball, Abi-Zeitung, Abi-Gag und so weiter. T-Shirts mit aufgedrucktem Abi-Motto und Auto-Aufkleber haben die gute alte Abiturientenkarte abgelöst.

Bildtexte:
Auf zur Sonne! Die Abiturientenkarte des Carolinums von 1913 (oben) verspricht die Freiheit, die eine akademische Zukunft den Absolventen verhieß. Bodenständiger kamen die Karten der sogenannten Einjährigen (unten links) daher, während sich die Absolventen des Lehrerseminars fühlten wie der majestätische Adler (unten rechts).

Historische Abiturientenkarten Einjährige Caro 1913.

Historische Abiturientenkarten Katholisches Lehrerseminar 1910–1913.

Historische Abiturientenkarten Oberschule für Mädchen 1940.

Historische Abiturientenkarten Realgymnasium.

Motive:
Sammlung Helmut Riecken
Autor:
Joachim Dierks
Themenlisten:


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