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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Die Armen trifft die Flut zuerst
Zwischenüberschrift:
Wenn der Ozean in die Hauptstadt kommt – Klimawandel gefährdet besonders Entwicklungsländer
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Nouakchott. Salzwasser aus der Erde sickert in die Häuser von Nouakchott. Ganze Stadtviertel werden unbewohnbar. Steigt der Meeresspiegel weiter an, drohen der Hauptstadt des westafrikanischen Landes Mauretanien Katastrophen.
Der Boden unter der bunten Plastikmatte ist klamm. Trotz der Zementschicht, die Mariam Mint Mouhamed Mahmoud hat auftragen lassen und die sie sich eigentlich gar nicht leisten kann. Es ist bereits die dritte. Die 44-Jährige lebt in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren drei Kindern im Haus des verstorbenen Vaters. Sie hat das Wasser schon oft kommen und gehen sehen. Ihr Viertel Socogim PS liegt in einer Senke. Seit der Stadtteil während der Regenzeit immer häufiger überschwemmt wird, zieht eine Familie nach der anderen weg. Die Schule, auf die Mariams Kinder früher gingen, ist seit drei Jahren geschlossen.
" Das Schlimmste ist, dass die meisten Nachbarn weggegangen sind und dass wir mit unseren Vorräten oft durchs Wasser waten müssen", sagt die geschiedene Sekretärin. Diebe trieben sich im Viertel herum. Einmal musste sie ihre an Malaria erkrankte Tochter den weiten Weg zum Arzt tragen. Die altersschwachen Mercedes-Taxis von Nouakchott fahren nicht mehr in die braune Brühe von Socogim PS.
Der Grundwasserspiegel steigt. Und es ist Meerwasser, das von unten in die Häuser sickert. Denn nur wenige Kilometer entfernt brandet der Atlantik an die Ufer des westafrikanischen Landes. Das Salz zerfrisst die Mauern und macht die Häuser baufällig.
Ob das Wasser, das große Teile der 900 000-Einwohner-Stadt bedroht, schon eine Folge des steigenden Meeresspiegels und des Klimawandels ist, untersuchen derzeit Wissenschaftler. So oder so Mariams Chancen, in ihrem Elternhaus bleiben zu können, stehen schlecht. Es gebe Pläne, das Viertel einzuebnen, sagt sie.
Denn Socogim PS liegt unterhalb des Meeresspiegels. Immer wieder ergießen sich Sturmfluten durch die Dünen hinter dem nahen Strand in die Straßen von Nouakchott. Im mauretanische Umwelt- und Nachhaltigkeitsministerium grübelt man deshalb, wie sich die stark wachsende Hauptstadt vor der Gewalt des Ozeans schützen lässt.
Mauretanien zählt nach Statistiken der Vereinten Nationen zu den 30 ärmsten Ländern der Welt. Und zu den Armen kommt das Wasser zuerst. " Fehlende finanzielle Mittel und eine wachsende Bevölkerung erschweren in Entwicklungsländern auch die Anpassungsmaßnahmen in vielen Küstengebieten und führen dazu, dass eine zunehmende Zahl von Menschen den Risiken eines steigenden Meeresspiegels ausgesetzt ist", schreibt die Nichtregierungsorganisation Germanwatch, die sich für einen Interessenausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern einsetzt. In Afrika sind südlich der Sahara vor allem Gambia, Mauretanien und Guinea-Bissau gefährdet. Die Weltbank erwartet bei einem Meeresspiegelanstieg um einen Meter, dass acht Prozent der mauretanischen Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden.
Unter den Küstenstädten Westafrikas träfe die Flut besonders die nigerianische Metropole Lagos. Viele ihrer zehn Millionen Einwohner leben auf Aufschüttungen in früheren Feuchtgebieten.
Verglichen damit bräuchten sich die Einwohner von Nouakchott wegen des Meeresspiegels eigentlich kaum zu sorgen die Dünen hielten bisher die meisten Sturmfluten fern. Doch in dem natürlichen Bollwerk klaffen Lücken. Die Sahel-Dürren der Siebziger- und Achtzigerjahre trieben die Menschen vom Land in die Stadt. Im folgenden Bauboom musste der Küstenstreifen als Sandquelle herhalten. Erosion nagt nun an den verbliebenen Dünen, und viele Städter scheren sich bei Freizeitausflügen an den Strand nicht um den Erhalt der Sandbarriere. 30 Prozent des Stadtgebiets sind deshalb flutgefährdet.
Die Regierung will von den Dünen nun retten, was zu retten ist. Nach erfolglosen Versuchen, die Breschen mit Bulldozern aufzuschütten, versucht man es nun, unterstützt von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), auf sanftere Weise. Arbeitstrupps aus der Stadt errichten Flechtwerkzäune, an denen sich Flugsand sammelt. Er soll die Dünen wieder wachsen lassen. 60 Männer und Frauen bepflanzen die gefährdeten Abschnitte auf 2, 5 Kilometer Küste mit salzresistenten Sträuchern, ähnlich dem Strandhafer an der Nordseeküste.
Bis 2017 soll der Dünengürtel so auf einer Länge von 25 Kilometern mindestens vier Meter Höhe erreichen. Dann, so hoffen die Planer, wird er die wichtigste Stadt des Landes vor dem Gröbsten bewahren können.
Outhman Ould Lemin hat einen frischen grünen Halm aus dem Flechtwerk gefischt und sich in den Mund gesteckt. Das Arbeitstempo seines Trupps ist gemächlich. " Der Lohn könnte besser sein, aber wir danken Gott für das Geld", sagt der 21-Jährige. Sein Job in den Dünen bringt ihm umgerechnet fünf Euro pro Tag ein. Welche Rolle die natürliche Barriere spielt, ist Lemin klar anders als manchen seiner Mitbürger: " Es gibt Leute, die hier mit Geländewagen in die Dünen fahren, das finde ich nicht gut", sagt er. Die Behörden versuchen, den Offroad-Enthusiasten mit weißen Betonpollern die Zufahrt zu verwehren.
Amadou Ba will, dass seine Landsleute den Wert der Dünen verstehen lernen und helfen, sie zu erhalten. Aber der Chef der Umweltschutzorganisation Naforé sieht am Strand von Nouakchott, wo Fischer mit primitven offenen Booten in See stechen, auch die mächtigen Industrieländer in der Pflicht: " Wir sind hier in Mauretanien nicht Akteure, sondern Opfer des Klimawandels", sagt er. Das 1960 von Frankreich unabhängig gewordene Land trägt nur minimal zum globalen Kohlendioxid (CO 2 )- Ausstoß bei. Mauretanien beheimatet bis auf eine große Erz- und eine Goldmine praktisch keine Industrie. Nur wenige der drei Millionen Einwohner besitzen Autos oder können sich anderweitig einen CO 2 - intensiven Lebensstil leisten.
Im Kyoto-Protokoll hätten die Industrienationen der Welt versprochen, ihren CO 2 - Ausstoß zu begrenzen, um das globale Klima stabil zu halten, sagt Umweltschützer Ba. " Daraus leite ich auch eine Verpflichtung ab, uns bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen."
Immer wenn während der Regenzeit das Wasser kommt, fürchtet Mariam Mint Mouhamend Mahmoud um ihr Elternhaus. Für die Reparaturen der Wasserschäden hat sie sich verschuldet. Ein Fehlschlag des Küstenschutzprojekts wäre für sie eine Katastrophe.

Bildtexte:
Land unter im Stadtviertel Socogim PS. Salzwasser sickert von unten in die Gebäude und zersetzt das Mauerwerk.

Mit Flechtwerk und Setzlingen versuchen mauretanische Arbeiter, die Dünen nahe Nouakchott zu festigen.

Klammer Boden: Das Elternhaus von Mariam Mint Mouhamed Mahmoud ist in Gefahr.

Fotos:
Thomas Imo
Autor:
Christian Schaudwet


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