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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Turmbahnhof eine technische Attraktion
Zwischenüberschrift:
Heute undenkbar: Der Centralbahnhof geriet preisgünstiger als geplant
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Für den normalsterblichen Reisenden ist " Osnabrück Hauptbahnhof" nicht unbedingt ein Zauberwort, für den Kenner eisenbahnerischer Belange indes ist der Name Inbegriff einer bahnarchitektonischen Besonderheit, die manch andere Errungenschaft des Jahrhunderts der Erfindungen in den Schatten stellt. Ein Sackbahnhof wie München oder Stuttgart ist verglichen mit dem Osnabrücker Hauptbahnhof ein Witz nicht hinsichtlich der Größe, sondern technisch-logistisch betrachtet, versteht sich.

In Osnabrücks zweigeschossigem Turmbahnhof kreuzen sich bedeutende Hauptverkehrsstrecken Europas. Fahrten in alle vier Himmelsrichtungen sind von einem Punkt aus möglich. Denn die hochgelegte Nord-Süd-Tangente überspannt im Bahnhofsbereich bei einem Niveauunterschied von 5, 85 Metern jene Gleise, die sich in Ost-West-Richtung erstrecken. Noch auf der zentralen Rolltreppe zum Bahnsteig 1 könnte sich der zeitlich und finanziell Ungebundene entscheiden, ob die Reise nach Amsterdam oder Warschau, nach Kopenhagen oder Venedig gehen soll.

Dass Osnabrück am Ende des Jahrhunderts mit solch außergewöhnlicher Drehkreuzfunktion aufwarten konnte, war, wie so oft, aus der Not geboren: Jahrzehntelang waren lange Fußmärsche durch die Stadt unvermeidlich für Reisende, die in Osnabrück von der Hannoverschen Westbahn, also der Eisenbahn-Verbindung von Hannover über Osnabrück nach Rheine, auf die Hamburg-Venloer Strecke umsteigen wollten, wenn sie etwa nach Bremen, Münster oder mit dem Haller Willem nach Bielefeld weiterzureisen beabsichtigten. Der Hannoversche Bahnhof lag nämlich (und liegt noch immer) in der Nähe des heutigen Berliner Platzes an der Wittekindstraße, wohingegen sich das als Bremer Bahnhof bezeichnete Empfangsgebäude der Konkurrenz in etwa einem Kilometer Entfernung am Klushügel, nur wenige Meter nördlich des heutigen Hauptbahnhofs, befand.

Um diesen unbequemen und auch für den Gütertransport äußerst lästigen Umstand zu beheben, beschloss die Preußische Staatsbahn 1888, am Kreuzungspunkt der beiden Strecken einen " Centralbahnhof" zu installieren.

Mit einem Gesamtetat von zwei Millionen Mark wurde nicht nur ein für damalige Verhältnisse enorm repräsentatives Empfangsgebäude im südwestlichen Winkel des Schienenkreuzes errichtet; auch zwei Postabfertigungsgebäude an beiden Linien, zusätzliche Gleise und Bahnsteige, die Verbreiterung der Eisenbahnüberführung an der Kreuzungsstelle, die Anlage eines Vorplatzes sowie die Verlegung der Hamburger Straße mitsamt dem Bau einer Straßenüberführung waren in dem Großprojekt enthalten.

Damit Güterwagen zwischen dem oberen und dem unteren Bahnhof ausgetauscht werden konnten, wurde als Erstes das westliche Verbindungsgleis, die Kluskurve, gebaut. Wenige Jahre später folgten die Schinkel-, Stahlwerks- und Löhner Kurve, schließlich die Münster- und Bremer Kurve. Ohne dass man es bewusst wahrnähme, prägt das so entstandene Kleeblatt-Prinzip, wie man es von Autobahnkreuzungen kennt, bis heute das Stadtbild.

Am 1. Mai 1895 (nicht 1894, wie die Jahreszahl im Giebel über dem Eingang verkündet) wurde der kaum fertiggestellte Centralbahnhof feierlich eröffnet. Lag die Ausführung des aufwendigen Baus auch nicht ganz im Zeitplan, so hatten die Verantwortlichen das zur Verfügung stehende Budget von 665 000 Mark umso besser im Griff: " Durch Maßhalten in der inneren und äußeren Ausstattung des Empfangsgebäudes haben die Ausführungskosten die Kostenanschläge nicht ganz erreicht", schrieb der für die Bauausführung verantwortliche Baurat Bergmann 1898 in der Zeitschrift für Bauwesen, die das Museum Industriekultur Osnabrück als schmucken historischen Reprint herausgegeben hat. So habe man aus den so wörtlich – " Bauersparnissen" noch ein besonderes Gebäude für Eilgut-Abfertigungen ausführen können ein für heutige Verhältnisse geradezu sensationeller Vorgang.

Ungeachtet der von Bergmann erwähnten Mäßigung in Ausstattungsfragen entstand ein beeindruckendes Gebäude, das dem hohen Stellenwert, den die damalige Gesellschaft der neuen Mobilität zuordnete, voll und ganz entsprach. Gründerzeitliche Prächtigkeit manifestierte sich in der dem Stadtzentrum zugewandten Schaufassade mit Türmchen und dem monumentalen winddrucksicheren Rundbogenfenster von 64 Quadratmeter Fläche. Im Inneren beeindruckte die mit Säulen geschmückte 14 mal 28 Meter große Eintrittshalle mit vier symmetrisch angelegten breiten Treppen, die zu den eleganten Warte- und Speisesälen, Damenzimmern und Absteigeräumen für " höchste Herrschaften" und zum Hannoveraner respektive Bremer Bahnsteig führten.

Welch hohen gesellschaftlichen Stellenwert der Bahnhof auch in den folgenden Jahrzehnten besaß, mag die Tatsache veranschaulichen, dass, wer auf sich hielt, an Fest- und Feiertagen im Schorn′schen Speisesaal essen ging. " Da musste man schon Wochen im Voraus reservieren", weiß Dietmar Koch, der sein Berufsleben der Eisenbahn widmete, als letzter kommissarischer Leiter des Hauptbahnhofs vor der großen Bahnreform die Verantwortung für den gesamten Bahnhof trug und heute sein umfassendes eisenbahnerisches Wissen gern an Interessierte weitergibt.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bahnhof mehrfach bombardiert und zerstört, doch unter der britischen Besatzung schnell wiederaufgebaut. Dabei erfuhr das Gebäudeinnere eine Umgestaltung nach modernen Gesichtspunkten. 1966 wurde das damals technisch hochinnovative Drucktasten-Stellwerk " Of" in Betrieb genommen. In den Folgejahren schlossen sich weitere Renovierungen und Umbauarbeiten zu einem modernen Reisezentrum an.

Schwerlich mag man heute den Bahnhof Osnabrück als " Kathedrale des Fortschritts" erachten. Dennoch kann das Gebäude als architektonische Individualität gelten, die das Gesicht der Stadt bis heute prägt.

Bildtexte:
Der Warte- und Speisesaal der ersten und der zweiten Klasse im Bremer Flügel. Die Aufnahme stammt etwa aus dem Jahr 1925.

Um 1900 präsentierte sich der damals noch abseits der Stadt gelegene Hauptbahnhof in seiner ursprünglichen gründerzeitlichen Gestalt.

Das Portal des Hauptbahnhofs, wohl in den 1920er-Jahren. Im Krieg büßten die Turmbauten ihre charakteristischen kegelbedachten Oberstübchen ein.

Dietmar Koch kennt den Osnabrücker Hauptbahnhof wie seine Westentasche - schließlich war er hier einige Jahre lang Chef.

Fotos:
Rudolf Lichtenberg
Autor:
Petra Pieper


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