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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Der Geist von Rio ist verflogen
 
Eine Frechheit
 
Worum es geht
Zwischenüberschrift:
Die Hoffnungen nach dem ersten Erdgipfel haben sich nicht erfüllt – Klimawandel und Artensterben
Artikel:
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Originaltext:
Osnabrück. Die Herausforderungen für die Menschheit sind kolossal: Ressourcen werden knapper, die Weltbevölkerung wächst stetig, der Energieverbrauch steigt, der Bedarf an Nahrung auch. Der Erdgipfel " Rio+ 20" sollte eigentlich neue Wege hin zu einer Grünen Wirtschaft ebnen. Doch es droht ein Debakel.

Denn ohne verbindliche Ziele und feste Zusagen haben die Delegationen in Rio ein Abschlussdokument unterzeichnet. Die Staats- und Regierungschefs, die ab heute eintreffen, haben so gut wie keinen Spielraum, um daran etwas zu ändern. Die Umweltorganisation BUND spricht von einem " Begräbnis erster Klasse für Umwelt- und Klimaschutz". Martin Kaiser, Klimaexperte der Umweltorganisation Greenpeace, hält das Vorpreschen Brasiliens bei den Verhandlungen für " einen rüden Prozess". Kaiser: " Der Erdgipfel endet, bevor er begonnen hat."

Vor 20 Jahren, beim Erdgipfel ebenfalls in Rio, war das noch anders. Die Aufbruchstimmung war so euphorisch, dass kurze Zeit später gar vom " Geist von Rio" die Rede war. Anfangs zu Recht, denn für die Umwelt- und Klimapolitik wurden Meilensteine gesetzt mit Klimarahmenkonvention, aus der schließlich das Kyoto-Protokoll mitsamt Emissionshandel hervorging, den Agenda-21-Projekten, die das globale Denken lokal umsetzen sollen, sowie Abkommen zum Artenschutz.

Doch die Bilanz sieht trübe aus: Der Ausstoß von Kohlendioxid ist angestiegen, die Überfischung der Meere hat zugenommen, der Waldbestand hat sich verringert. Und: Die Weltnaturschutzorganisation IUCN schlägt immer noch Alarm und bestätigt die Warnungen des jüngst vorgelegten Living Planet Report. Ob Fruchtvampir, Rotkehl-Brillantkolibri oder Königskobra: Sie alle zählen mittlerweile zu den gefährdeten Arten und stehen auf der Roten Liste der IUCN. Fast die Hälfte der Amphibien ist bedroht, ein Viertel der Säugetiere und ein Zehntel der Vögel.

Der Direktor des UN-Umweltprogramms, Achim Steiner, sieht einen Ausweg aus dem Dilemma in einer Grünen Wirtschaft, die nicht allein auf Wachstum setzt, sondern eben auch auf Nachhaltigkeit. Grüne Wirtschaft müsse Teil einer internationalen Kooperationspolitik sein, fordert er.

Enorm wichtig sei überdies mehr Effizienz in der landwirtschaftlichen Produktion. Denn fast 40 Prozent der weltweit hergestellten Nahrungsmittel gingen zwischen Acker und Küchentisch verloren entweder durch Verluste beim Transport oder weil etwas in der Mülltonne lande. " Das kann sich eine Gesellschaft mit bald neun Milliarden Menschen einfach nicht mehr leisten", sagt Steiner unserer Zeitung. Praktische und technische Hilfen für Landwirte etwa im Umgang mit Schädlingen und Verpackungen, Bewusstseinsbildung für junge Menschen und eine Abkehr vom Billig-Prinzip bei Lebensmitteln wären erste Schritte für eine Verbesserung.

Deutsche Entwicklungsorganisationen werfen den Teilnehmern des Erdgipfels Versagen bei der Katastrophenprävention vor. In der Kritik steht Gastgeber Brasilien, aber auch Deutschland. " Es muss Schluss sein mit der Silo-Mentalität in den Verhandlungen zu nachhaltiger Entwicklung, bei denen Katastrophenprävention bisher nur eine Fußnote gewesen ist", sagt etwa Peter Mucke, Geschäftsführer von " Bündnis Entwicklung Hilft". Denn Katastrophen machten Entwicklungserfolge zunichte und zerstörten die Umwelt. Zugleich ließen eine zerstörte Umwelt, Armut und Schutzlosigkeit Katastrophen erst richtig schlimm werden. Vorrangig müsse das vorhandene Geld anders eingesetzt werden.

Mucke kritisierte das Gastgeberland Brasilien. Es gab nach seinen Angaben 2010 etwa 1, 4 Milliarden US-Dollar (rund 1, 1 Milliarden Euro) für Wiederaufbau aus, aber nur 83 Millionen US-Dollar für Prävention. Auch die Bundesregierung müsse umdenken. " In den internationalen Fonds zur Katastrophenvorsorge hat sie in den letzten fünf Jahren insgesamt 14, 27 Millionen US-Dollar (11, 33 Millionen Euro) eingezahlt", sagte der Geschäftsführer von " Bündnis Entwicklung Hilft", zu dem Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt, terre des hommes und Welthungerhilfe gehören. Das sei deutlich geringer als der Betrag, der von Deutschland allein in einem Jahr in den internationalen Nothilfe-Fonds eingezahlt werde, nämlich 16, 37 Millionen US-Dollar (rund 13 Millionen Euro) im Jahr 2011 und 19, 4 Millionen US-Dollar (etwa 15, 4 Millionen Euro) dieses Jahr.

Muckes Erwartungen an den Rio-Gipfel sind " sehr gering. Der politische Wille fehlt, und das vorliegende Konzept einer Grünen Wirtschaft ist schwach." Nachhaltige Entwicklung und Grüne Wirtschaft seien wachsweiche Begriffe. Jeder könne sie nach eigenem Bedarf auslegen, kritisiert er. Green Economy dürfe nicht auf Umwelteffizienz und Wirtschaftswachstum begrenzt werden.

Verpflichtungen wie das Verursacherprinzip setzen dagegen laut Mucke viel eindeutigere Maßstäbe. Unabdingbar seien ein Recht auf Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und ein Recht auf Schutz in Katastrophensituationen. Jeder müsse einen solchen Schutz einklagen können. Das zwinge Firmen zum Umsteuern und setze Regierungen unter Druck. Mucke zufolge hapert es an einem umfassenden nationalen und internationalen Haftungsrecht. Elementarschäden und Atomanlagen seien oftmals ausgeklammert. " Aber so wie jedes Auto eine Haftpflichtversicherung benötigt, kann man doch wohl von Wirtschaftsunternehmen verlangen, vor der Freigabe einer Anlage eine entsprechende Versicherung mit der erforderlichen Deckungshöhe abzuschließen", sagte Mucke.

Bildtext:
Die Königskobra ist die größte Giftschlange der Welt. Doch die Art ist bedroht.

Foto:
dpa

Kommentar
Eine Frechheit

Die Nachricht aus Brasilien ist eine Ohrfeige für alle, die ernsthaft um Ressourcen- und Umweltschutz bemüht sind. Im Hauruckverfahren haben die Delegationen wie leider schon so oft bei derartigen Mammut-Konferenzen ein nichtssagendes Abschlussdokument verabschiedet. Konkrete Ziele? Verbindliche Zusagen? Schutz der Meere? Maßnahmen zu mehr sozialer Gerechtigkeit? Alles Fehlanzeige.

Eine Frechheit ist überdies, dass die Minister und Staatenlenker, die erst noch in Rio eintreffen und eigentlich noch verhandeln wollten, als Statisten düpiert werden. Da die Abschlusserklärung keine offenen Punkte erwähnt, sind die Politiker zum Unterzeichnen verdammt. Einzelne Staatengruppen wie die G 77 oder die EU könnten nur noch eigene Resolutionen einbringen. Das Rio-Fiasko wäre komplett.

Das Desaster erinnert an das Scheitern der Klimakonferenz von Kopenhagen im Jahr 2009. Die Erwartungen an den Rio-Gipfel waren zwar von vornherein gering; dass es zu einem Kopenhagen II würde, hätte aber kaum jemand erwartet. Immer klarer wird: Die Vereinten Nationen sind nicht mehr die richtige Plattform für die Zukunftsfragen der Welt.

Worum es geht
Beim UN-Gipfel zur nachhaltigen Entwicklung (Rio+ 20) geht es in Rio de Janeiro bis Ende der Woche um eine fast unüberschaubare Zahl von Themen, Paragrafen und Streitfragen. Eine knappe Auswahl:
Finanzierung: Die Entwicklungsländer fordern neue Ressourcen in Milliardenhöhe für Projekte der nachhaltigen Entwicklung. Die Industrieländer wehren sich gegen die Schaffung neuer Fonds.
UN-Reform: Umstritten ist die Aufwertung des UN-Umweltprogramms UNEP zu einer vollwertigen UN-Umweltorganisation. Deutschland und die EU fordern dies. Brasilien will UNEP stärken, lehnt aber ein " Upgrade" zur Vollagentur ab. Auch die Einrichtung eines Hohen Repräsentanten für künftige Generationen ist strittig, ebenso die Aufwertung der bestehenden Kommission zur Nachhaltigen Entwicklung (CSD).
Weltmeere: Einer der Hauptpunkte könnte ein verbesserter Schutz der Ozeane sein. Umweltverbände fordern einen Rettungsplan für die Meere und eine verbindliche Ausweisung von Schutzgebieten auf hoher See. Vor allem die USA blocken.
" Green Economy": Das derzeitige Weltwirtschaftsmodell soll auf eine kohlenstoffärmere und ressourcenschonendere " Grüne Ökonomie" umgestellt werden. Aus Sicht des UNEP könnte ein Umbau gelingen, wenn bis 2050 jährlich zwei Prozent der derzeitigen globalen Wirtschaftsleistung (rund 1 Billion Euro) in die " Green Economy" investiert würden.
Nachhaltigkeit: Rio+ 20 soll die Grundlage für die Entwicklung von " Sustainable Development Goals" (SDGs), also Nachhaltigkeitszielen, legen, die nach 2015 greifen. Diese sind nicht in Konkurrenz zu den Millenniums-Entwicklungszielen (MDGs) gedacht, sondern sollen diese fortführen und ergänzen. dpa
Autor:
Klaus Jongebloed


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