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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Tangoschritte in der Güterabfertigung
Zwischenüberschrift:
85 Jahre lang wurden an der Hamburger Straße Waren umgeschlagen
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Massenproteste gegen Bahnprojekte sind keine Erfindung der Schwaben. Gut hundert Jahre vor " Stuttgart 21" wurden die sonst so friedlichen Osnabrücker zu " Wutbürgern". Einen Sturm der Entrüstung löste 1905 das Vorhaben der Königlich Preußischen Eisenbahndirektion Münster aus, einen neuen Güter- und Rangierbahnhof im Fledder bauen zu wollen.

Warum im Fledder, wo so viel schönes Gartenland hätte dran glauben müssen? Hörne, weiter draußen in Richtung Münster gelegen, hielten sie für besser geeignet. Oder den Nordwesten, parallel zum projektierten Kanalhafen. Bürgerversammlungen wurden einberufen, Unterschriften gesammelt. Am meisten ärgerte die Osnabrücker, dass die Bahnverwaltung ihnen eine fertige Planung vorsetzte und dabei das Hauptanliegen der Stadt, nämlich endlich die Schienenfreiheit des Straßennetzes durch Höherlegung der Bahnkörper herzustellen, komplett ignorierte. Die " Osnabrücker Volkszeitung" schrieb von " Profitwut", " Beutelpolitik" und " Vetternwirtschaft". Die Bahnverwaltung geriet in Verdacht, vorher Absprachen mit interessierten Grundbesitzern getroffen zu haben.

Die umfangreichen Gleisanlagen, das geplante Bahnbetriebswerk samt Lokschuppen, die Güterabfertigung mit kilometerlangen Verladerampen würden sich wie ein Keil zwischen Schinkel und den südlichen Fledder schieben. Das Stahlwerk und Firma Rawie protestierten, weil ein Großteil ihrer Beschäftigten aus den Wohngebieten an der Meller Straße einen doppelt so langen Weg zur Arbeit haben würde.

Auch die städtischen Gremien waren empört. Sie kämpften schon seit Jahren für eine Gesamtlösung, die auf jeden Fall eine Anhebung des " Eisernen Rings", einen Bahnanschluss für den geplanten Kanalhafen und eine Straßenquerverbindung zwischen Mindener und Meller Straße später als Schellenbergbrücke verwirklicht beinhalten müsse. Ziemlich bedröppelt soll Bahnbaurat Schellenberg von einem Gespräch mit den städtischen Kollegien per Zug nach Münster zurückgekehrt sein. Ihm waren umfangreiche Aktenordner voller Protestschreiben mitgegeben worden. Dafür musste er eine zusätzliche Gepäckgebühr berappen, wie der Osnabrücker Eisenbahn-Historiker Lothar Hülsmann schreibt.

Die Gemüter beruhigten sich, als im Folgejahr 1906 die Bahn in den meisten Punkten einlenkte. Nur in einem nicht: Es blieb beim Standort Fledder. Von 1909 bis 1912 wurde das Gelände südlich der Bahnlinie Löhne - Bentheim zu einem großzügig bemessenen Rangier- und Güterbahnhof ausgebaut und dafür unter anderem auch das Flussbett der Hase verlegt.

Das historische Bild aus den 1920er-Jahren zeigt das 1912 fertiggestellte Gebäude der Güterabfertigung mit seinem markanten Uhrenturm. Am rechten Bildrand ist die Horizontlinie der Harderberg-Ausläufer zu erkennen und davor der Bahndamm der " Bremer Kurve". Sie hieß so, weil sie Zügen aus Bremen den Übergang auf die West-Ost-Strecke Richtung Löhne ermöglichte. Die alte Güterabfertigung wurde im Zweiten Weltkrieg wie die meisten Bahnanlagen zerstört und durch ein schlichtes Funktionsgebäude mit Backstein-Sichtmauerwerk ersetzt. Hinter diesem Gebäuderiegel erstreckt sich, vor wie nach dem Krieg, die 12 000 Quadratmeter große Güterhalle mit zehn Gleisen, in denen bis zu 202 Güterwagen unter Dach Platz fanden.

Eigentlich lag der Güterbahnhof ganz gut im Rennen. In den besten Zeiten Mitte der 1980er-Jahre wurden bis zu 3600 Waggons pro Tag abgefertigt, und der Container-Umschlag nahm langsam, aber beständig zu. Von den 16 großen Bundesbahn-Stückgutzentren nahm Osnabrück einen beachtlichen sechsten Platz nach der Menge ein. Dennoch stellte die Deutsche Bahn im Juli 1997 den Betrieb auf dem Güterbahnhof ein. Für den Transport von Stückgut und Teilladungen hatte sich die Bahn als zu langsam und unflexibel im Vergleich zum Lkw erwiesen. Das 22 Hektar große Areal lag lange Zeit brach, bis es 2010 zwei Investoren der Bahn-Tochter Aurelis abkauften. Sie würden dort gern einen Solar-Park errichten. Das will die Stadt aber nicht. Derweil hat sich eine Kultur- und Party-Szene angesiedelt. Im Obergeschoss der Güterabfertigung kann man jetzt Tango lernen.

Bildtexte:
Die Güterabfertigung an der Hamburger Straße auf einer Ansichtskarte aus den 1920er-Jahren: Das Gebäude erlitt im Zweiten Weltkrieg allerdings irreparable Schäden.
Den Nachkriegs-Ersatzbau nutzt die Bahn nicht mehr. Er bietet seit 2008 einer Kleinkunst-Szene Heimat.

Fotos:
Ansichtskarte aus der Sammlung Helmut Riecken
Dierks
Autor:
Joachim Dierks


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