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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Fahrten durch den Märchenwald
Zwischenüberschrift:
Unterwegs mit den Bussen der Verkehrsgemeinschaft Osnabrück
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Gelegentlich melden sich Leser in der Redaktion, um Till von schrecklichen, witzigen oder schönen Busfahrerlebnissen zu berichten. Dabei verläuft so ein Tag im Bus meist höchst unspektakulär. Aber langweilig wird es nie.
Manchmal, wenn Menschen in der Redaktion von ihrer jüngsten Busfahrt durch Osnabrück und das Umland erzählen, ist es, als berichteten sie aus dem Märchenwald. Da streifen raffgierige Räuber durch die Mittelgänge und stehlen den Unaufmerksamen die Handtaschen, betrunkene Schurken drangsalieren arglose Mitfahrer, und über allem thronen die bösen Busfahrer, die Unschuldige mit unnachgiebiger Härte aus ihrem Reich verbannen. Hier und da taucht in den Erzählungen eine selbstlose Prinzessin auf, die ihren Sitzplatz dem gebrechlichen Mütterchen anbietet. Es ist von edlen Recken zu hören, die mit starken Armen Rollatoren und Kinderwagen über den tückischen Abgrund zwischen abgesenkter Busschwelle und Bordstein wuchten, und von mitfühlenden Busfahrern, die auch für den verspätetesten aller Nachzügler milde lächelnd die Tür noch einmal öffnen.
Klischeefahrten
Tatsächlich ist das Fahren mit den Linienbussen in Osnabrück überhaupt nicht märchenhaft. Vielmehr ist es vor allem eines: völlig unspektakulär. Das heißt aber nicht, dass eine Busfahrt langweilig ist. Ganz und gar nicht. Ein Tag in den Bussen der Verkehrsgemeinschaft Osnabrück (VOS) ist voller Busfahrklischees und einzigartiger Momente.
Bus fahren, das heißt aus dem Fenster gucken und fremde Telefonate mithören, heißt schweigen und fremdschämen, heißt verstohlene Blicke und schüchternes Lächeln, heißt träumen, dösen, hochschrecken, heißt Musik hören, die mitgebrachte und die des Nachbarn, heißt lesen und abschalten, ungewollte Nähe und Einsamkeit.
7.09 Uhr an der Haltestelle Hans-Böckler-Straße in Wallenhorst. Drei Mädchen in Röcken stehen mit verschränkten Armen in einer Gruppe zusammen, zu ihren Füßen liegen zusammengeknautscht die Schultaschen. Die Mädchen kneifen die Augen zusammen, während sie die von Häusern verschattete Straße herunterblicken. Der Bus kommt aus der Morgensonne.
Endstation und Sitzplatz
Bus fahren heißt warten. Auf den Bus, der schon fast zwei Minuten zu spät ist. Auf den Nachbarn, der nicht schnell genug aufsteht, auf die Schulfreundin, die im nächsten Ort einsteigt, auf die Endstation, auf das Wechselgeld. Auf den freien Sitzplatz.
Die Schüler sind gerade weg. An der Haltestelle Bramstraße in Haste sind zwei Männer und zwei Frauen zurückgeblieben. Jeder steht für sich, keiner spricht. Warten. Einer der Männer lehnt an einer Gebäudefassade. Er schaut manchmal nach vorne und manchmal nach rechts. Meist schaut er nach links. Von dort wird der Bus kommen. Der Mann geht nach vorne, drei, vier Schritte, Vierteldrehung nach links. Dann zurück in die Ausgangsstellung an der Hauswand. Fünf Sekunden später tappt er wieder los. Vier Schritte, Vierteldrehung, zurück. Ein rastloser Wann-kommt-er-endlich-Tanz.
Schnaufende Türen
Busfahren ist das Schnaufen der Türen, das Quietschen des Gelenkes, ist das Dröhnen des Motors, das Murmeln der Fahrgäste, ist das Säuseln der Lüftung, das Hupen der Autos und das freundlich blecherne Klingen der Frauenstimme, die von der nächsten Haltestelle kündet.
Die Tür schwingt auf, ein Fahrgast betritt den Bus. Fahrgast sieht Busfahrerin an. Busfahrerin blickt Fahrgast durch Sonnenbrille an. Fahrgast hält Fahrkarte hoch. Busfahrerin nickt. Fahrgast nickt. Fahrgast ab.
Bus fahren heißt bei der VOS mehr als 57 Millionen Fahrgäste und 21 Millionen Fahrkilometer im Jahr, heißt 60 Linien und 42 000 Schüler pro Tag.
" Und? Gestern in der Schule?" " Ja." " Und?" " Langweilig." Gähnen. " Ich komm morgen nicht." " Ich auch nicht. Nie wieder." Lachen. Pause. " Wann schreiben wir?" " Die letzten beiden Stunden." " Hab nicht gelernt." " Ne?" " Ne. Hast doch gehört, was zählt: Prüfung."
Bus fahren heißt Freunde treffen, zum Arzt fahren, Einkäufe erledigen, zur Schule müssen, nach Hause dürfen, heißt zum Sport kommen, das Auto abholen, zur Musikschule fahren, die Party verlassen, zum Bahnhof gelangen, heißt den Dom erreichen, beim Kino landen und am Arbeitsamt einsteigen.
Der Bus der Linie 12 hat gerade vom Bussteig am Neumarkt abgelegt. Ein wenig dauert es noch, bis er sich in den Verkehrsfluss einreihen kann wie ein feister Barsch in den Heringsschwarm, denn die Ampel zeigt rot. Der Busfahrer unterhält sich mit einem Kollegen, der eingestiegen ist, um nach Hause zu fahren. Am Bussteig beginnt eine Frau zu laufen, auf den Bus zu. Sie klopft an die Scheibe der Tür. Der Busfahrer grinst und öffnet. Danke, sagt die Frau. Die Ampel wird grün.
Schäbige Rückansichten
Bus fahren heißt Graffiti in Grün und Rot und Blau an grauen Hauswänden, heißt Sonneninseln und Schattenschluchten, heißt Grün mitten in der Stadt, heißt Reihenhäuser und Vorgärten, heißt leuchtende Fassaden und schäbige Rückansichten, heißt uralte Kirchenbauten und neue Altenheime, heißt wuselige Innenstadtgassen und idyllische Landstraßen.
Auf dem Weg zur Berningshöhe sitzt ein Mann im Anzug mit dem Rücken zum Fahrer im Vierersitz. Die lederne Aktentasche hält er im Arm. Ihm gegenüber sitzt eine Frau mit Kopftuch und weiten Kleidern. In ihren Händen hält sie eine Plastiktüte. Das grüne Blatt irgendeines Gemüses guckt heraus. Mann und Frau schweigen. Er schaut aus dem Fenster, sie auf den Boden. Auf der anderen Seite des Gangs sitzt eine Frau, zierlich und blond. Mit sauber manikürten Nägeln tippt sie auf ihren Handybildschirm. Ihr Gegenüber schaut sie nicht an.
Busfahren ist jung und alt, ist männlich und weiblich, kommunikativ und schweigsam, gebrechlich und mobil, laut und leise, ist zuvorkommend und stur, hektisch und gelassen, abgerockt und aufgetakelt, stinkend und duftend, ist desillusioniert und neugierig.
Am Abend sitzt eine Mutter mit ihrer Tochter im Bus. Die beiden haben einen Vierersitz für sich allein. Die Kleine schaukelt mit den Beinen und guckt aus dem Fenster, als müsse sie nachdenken. Draußen blitzt die Sonne auf den Dächern der Autos. Dann wendet sich das Mädchen plötzlich seiner Mutter zu. " Mami, ich mag lange Fahrten am liebsten. Und weißt du auch warum? Da kann man so lange sitzen."

Bildtexte:
Der Busfahrer lächelt, der Kunde auch so sollte jeder Fahrscheinkauf laufen.
Jetzt wird′s eng: ein Blick in einen Schulbus.
Hinein! Alt und Jung steigen in den Bus.
Wanderbewegung: Schüler auf dem Weg zum Bussteig.

Fotos:
Elvira Parton
Autor:
Michael Schiffbänker


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