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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Modehaus, Möbelhaus, Restaurant.
Zwischenüberschrift:
Das Haus Tenge gegenüber dem Rathaus hat in 200 Jahren viel erlebt.
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Die Zeitmaschine, die wir für unsere Zeitreisen zurück in die architektonische Vergangenheit Osnabrücks anwerfen, gerät heute etwas in Verwirrung. Denn das Haus Tenge, Krahnstraße 1/ 2, sieht aktuell annähernd so aus wie bei seiner Entstehung vor gut 200 Jahren, während die historische Aufnahme aus dem Jahr 1915 einige dem Kommerz geschuldete Veränderungen zeigt, die den harmonischen Fassadenentwurf störten.

Und das kam so: Der Kaufmann Ernst Friedrich Tenge errichtete zwischen 1795 und 1814 das genaue Baujahr wird unterschiedlich angegeben ein repräsentatives Wohn- und Geschäftshaus genau an der Stelle, wo aus der Bier- die Krahnstraße wird. Die Tenges waren durch den Leinenhandel zu Geld gekommen. Osnabrücker Leinen besaß weltweit einen guten Ruf. Firma Tenge exportierte die Ware unter anderem bis nach Spanien, von wo aus sie die noch weitere Reise in die südamerikanischen Kolonien antrat. Vor der napoleonischen Kontinentalsperre hatte Tenge durch kaufmännisches Geschick große Mengen an Rohtabak in seinen Besitz gebracht, die er später, als keine Importe mehr ins Land kamen, mit sattem Gewinn verkaufen konnte.

Wenn man über Einfluss und Geld verfügt, möchte man das meistens auch zeigen. Tenge besaß zuvor ein kleineres Haus, Krahnstraße 1, an der Ecke Heger Straße. Er kaufte das Nachbarhaus Krahnstraße 2 hinzu, ließ die alte Bausubstanz abreißen und einen stattlichen Neubau errichten. Der Ort gegenüber dem Rathaus war dafür gerade gut genug.

In der Architektur war damals eine neue Zeit angebrochen. Die tonangebenden Baumeister wollten vom Barock nichts mehr wissen. Man besann sich auf die geraden Linien und klaren Formen des klassischen Altertums. Prototyp des heute als klassizistisch bezeichneten Baustils war in Osnabrück die Bischöfliche Kanzlei von 1785. Private Bauherren, die etwas auf sich hielten, eiferten ihr nach, so auch Apotheker Meyer mit der Hirschapotheke am Nikolaiort und Kaufmann Schwartze mit dem Haus Krahnstraße 9/ 10 (heute Filiale der Sparkasse).

Die vier halbplastischen Säulen, als Pilaster bezeichnet, heben am Haus Tenge den dreiachsigen Mittelteil der Fassade hervor, genau wie bei der Hirschapotheke. Auch die schmückenden Girlanden und Kränze über Fenstern und Türen zeigen, wie eng die Apotheke und das Kaufmannshaus stilistisch verwandt sind.

Drei Generationen der Tenges lebten in dem Haus, bis es 1879 Abraham und Levy David erwarben. Damen- und Herrenmode war ihr Geschäft. Mode muss gezeigt werden, und so weiteten sie die Fenster des Erdgeschosses, wie es die neuen Zeiten forderten, zu Schaufenstern auf. Das bekam der bis dahin harmonischen Fassadengliederung nicht gut. Besonders die " schwebende Hauskante" über dem neu geschaffenen Eckeingang erntete damals Kritik. Diesen Zustand hält das Lichtenberg-Foto aus dem Jahr 1915 fest. Das Geschäft war da schon auf Sohn Samson David übergegangen.

20 Jahre später setzten unter der NS-Herrschaft Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte ein. Ab dem 1. April 1933 erschwerten oder verwehrten SA-Posten der Kundschaft das Betreten. Wer dennoch kaufte, wurde fotografiert und fand sein Bild mit diffamierenden Kommentaren versehen wieder, öffentlich ausgehängt auf der Hasebrücke der Georgstraße. Irgendwie schaffte es der damalige Modehaus-Inhaber Otto David zunächst, den Betrieb mithilfe eines versteckten, der SA anscheinend unbekannten, Hintereingangs aufrechtzu-erhalten. Doch nach den Novemberpogromen 1938 wurde er gezwungen, Geschäft und Liegenschaft weit unter Wert an die Stadt zu verkaufen. Otto David kam ins KZ Buchenwald. Er überlebte. Seine Schwester Gertrud David, die an Kinderlähmung und Epilepsie litt, wurde hingegen als " Euthanasie"- Opfer in der Landespflegeanstalt Brandenburg vergast. An sie erinnert ein Stolperstein, der 2008 ins Pflaster vor dem Haus eingelassen wurde.

Der durch Lagerhaft und Zwangsarbeit gesundheitlich ruinierte Otto David erhielt das Haus nach dem Krieg zurück. 1960 verkaufte er es an den Möbelhändler Wilhelm Dopjans. Der vermietete zunächst an Rincklake van Endert, bis Firma Dopjans-Möllmann dort von 1975 bis 1999 selbst Möbel verkaufte.

Dann erwarb der Kaufmann Hans-Jürgen Frommeyer das Baudenkmal mit der klaren Absicht, die Schaufenster zurückzubauen und dem Gebäude sein ursprüngliches Aussehen zurückzugeben. Nach nicht ganz einfachen Verhandlungen mit der Denkmalpflege die wollte die einzigartige Aufteilung in drei Bankettsäle im ersten Obergeschoss erhalten wissen, während das Gastronomie-Konzept Durchbrüche für große Feiern forderte war es im Dezember 1999 so weit: Das Gourmet-Restaurant " La Vie" unter Küchenchef Jörg Riepe eröffnete. Mit dem jetzigen Küchen-Maestro Thomas Bühner hat Mehrheitsgesellschafter Dr. Jürgen Großmann im November 2011 den dritten Stern vom Guide Michelin zugesprochen bekommen. Das " La Vie" im Haus Tenge gehört damit zur kulinarischen Weltspitze.

Bildtexte:

Das Haus Tenge an der Krahnstraße war 1915 Sitz des Modegeschäfts Samson David. Links am Eingang zum Markt ist das im Krieg zerstörte " Alte Rathaus" zu sehen.

Ins Jahr 1813 zurückgebaut wurde 1999 die Fassade der klassizistischen Architektur-Perle. Sie beherbergt heute das Gourmet-Restaurant " La Vie".

Fotos:
Rudolf Lichtenberg jr. (aus: Rolf Spilker, Lichtenberg Bilder einer Stadt, Band II).
Jörn Martens.
Autor:
Joachim Dierks


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