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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Phono-Truhen und Polydor-Mädchen.
Zwischenüberschrift:
Einkaufen am Neumarkt im Jahr 1956
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Die Einzelhandelslandschaft am Neumarkt kam 1956 sehr bescheiden daher. Der heutige Streit, ob ein neues Einkaufszentrum an genau dieser Stelle 22 000 Quadratmeter Verkaufsfläche haben darf oder höchstens 18 000, wäre den Inhabern der damaligen 120-qm-Lädchen in eingeschossigen Behelfsbauten wohl wie ein Gruß aus dem fernen Utopia vorgekommen.

Der Bombenkrieg hatte die Stadtmitte in eine Trümmerwüste verwandelt, aus der nur das Justizgebäude am linken Bildrand einigermaßen intakt herausragte. Rechts daneben, hinter dem Straßenbahn-Beiwagen an der Ecke Johannisstraße, stand bis zur Kriegszerstörung ein stattliches dreieinhalbgeschossiges Gebäude: das Hotel Bavaria, später Bayerischer Hof. Während das ausgebrannte Büroeinrichtungshaus E. A. Scherz dahinter an der Johannisstraße bereits recht schnell wieder hochgezogen wurde, blieb die Parzelle Neumarkt 14 noch bis Anfang der 1960er-Jahre eingeschossiges Provisorium, das bis an die Ruinen der Kornbrennerei Gosling heranreichte.

Unter den ersten Geschäften, die hier am Kreuzungspunkt von zwei Straßenbahnlinien aufmachten, waren die Drogerie Smits, Elles-Blusen, Piano Bössmann, ein Zigarrenladen und die " Stadtschänke". Und das Radiogeschäft W. Brüggen, dessen Inhaber den Werbefotografen Georg Bosselmann 1956 mit der Aufnahme dieses Fotos beauftragt hatte.

Die Unterhaltungsbranche konnte sich über kräftige Zuwächse freuen. Es war die Zeit der Röhrenradios, in Luxusausführung mit Plattenschrank und UKW-Empfangsteil, der " Phonotruhen", der ersten Fernsehgeräte. Seit 1953 wurde regelmäßig ein Fernsehprogramm ausgestrahlt. " Ein Programm" ist wörtlich zu nehmen. Und das nicht 24 Stunden am Tag, wie man es heute nicht mehr anders kennt, sondern ganze zwei Stunden am Abend. In der übrigen Zeit konnte man das Testbild studieren. Erst ab 1961 gab es mit der Gründung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) eine Programm-Alternative.

Eine ehemalige Verkäuferin des Ladengeschäfts Brüggen, damals als " Polydor-Mädchen" im orangeroten Glockenkleid mit Werbe-Aufnäher hinter der Plattentheke, erinnert sich an die hohen Verkaufszahlen, die damals mit diesem einzigen Tonträger von Bedeutung erzielt wurden. Magnetophon-Bänder spielten nur eine untergeordnete Rolle, und andere Speichermedien wie Musikkassetten, CDs oder MP3-Player waren noch nicht erfunden. Wer also Musikkonserven hören wollte, kam an Schallplatten nicht vorbei. Das Medium-Terzett aus Voxtrup gehörte zu den auch überregional bekannten Schallplatten-Stars. Um den Verkauf ihrer Tonträger anzukurbeln, gaben die drei Jungs aus Voxtrup öfter mal Autogrammstunden im Geschäft, weiß unsere Zeitzeugin. Unvergessen ist ihr auch die Polydor-Reklame, die mit springenden Lichteffekten das Drehen einer Platte imitierte.

In den Kinofilmen der 50er-Jahre traten häufig Schlagerstars auf. So ist die Werbung für das Ritz-Filmtheater oben auf dem Schallplattenladen nachvollziehbar. In der Schwarz-Weiß-Filmkomödie " Wie werde ich Filmstar?" von 1955 wirkten neben Theo Lingen und Oskar Sima auch die Musiker Bully Buhlan, Paul Kuhn und Bibi Johns mit.

Das Ladengeschäft Brüggen existierte von 1954 bis etwa 1964 am Neumarkt. Dann brachen neue Zeiten an. 1966 baute W. Brüggen das fünfgeschossige Geschäftshaus in der damals hochmodischen grünen Kacheloptik. Mieter jener Tage waren unter anderem Wollkayser, Elles-Blusen, Firma Hensel und das Café Panorama im ersten Obergeschoss. Von hier genoss man den Blick über Osnabrücks Verkehrsknotenpunkt und konnte beobachten, ob die Rolltreppen in den zwei Jahre zuvor eröffneten Neumarkttunnel gerade einmal funktionierten oder ob sie standen.

Bildtexte:
Eingeschossige Behelfsbauten prägten 1956 die südwestliche Kante des Neumarkts zwischen Landgericht (linker Bildrand) und Ruinen der Kornbrennerei Gosling (ganz rechts).

Seit 1966 steht an gleicher Stelle das nach heutigen Maßstäben wenig attraktive Geschäftshaus mit den grünen Kacheln. Dessen Tage könnten gezählt sein, wenn die noch umstrittenen Pläne für ein Neumarkt-Einkaufszentrum Gestalt annehmen.

Fotos:
Joachim Dierks
Autor:
Joachim Dierks


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