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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Das Motorrad aus der Flugzeughalle
Zwischenüberschrift:
Der bewegte Lebenslauf des Hangars auf der Netter Heide
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Wenn man Erfindungen aus Osnabrück aufzählen soll, dann fallen einem vielleicht die Gaszähler von Kromschröder ein, oder der Brems-Prellbock von Rawie. Aber ein " Tropfen-Motorrad"? Nie gehört, werden die meisten sagen. Das formschnittige Unikum wurde im ersten freitragenden Flugzeug-Hangar Europas zusammengebastelt. Auf der Netter Heide.

Erfunden hat das strom linienförmig verkleidete Motorrad der aus Berlin stammende Flugpionier Max Schüler. Der konstruierte schon als Zwanzigjähriger während des Ingenieurstudiums 1908 sein erstes Fluggerät und den Motor gleich mit dazu. Tausendsassas und Universalisten waren sie, die ersten Flieger. Sie bauten Flugzeuge, unterrichteten Flugschüler und beförderten Passagiere, alles in Personalunion. In der unübersichtlichen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als der " Luftlandeplatz" Netter Heide eigentlich zur Schafweide abgerüstet werden sollte, kam Schüler nach Osnabrück. Er brachte sich in den Besitz der Halle und des dort lagernden fliegerischen Geräts, " ohne dass rechtliche Voraussetzungen vorhanden waren", wie der Luftfahrthistoriker Martin Frauenheim schreibt.

Mit einem Kriegsdoppeldecker vom Typ DFW C V veranstaltete Schüler Rundflüge über Osnabrück, woraus er die Firmierung " Luftreederei Max Schüler" ableitete. Das ging nicht lange gut. Die Abrüstungskommission der Siegermächte setzte die Zerstörung des Flugzeugs durch. Nun kam der Luftreeder mit dem leichten Hang zum Luftikus auf die Idee, im Flugzeughangar Motorräder zu bauen. Unter den Osnabrücker Industriellen fand er Gönner, die ihm Gelder vorstreckten. Schüler konstruierte 1923 ein " Tropfen-Motorrad", das die Handschrift des Flugzeugkonstrukteurs nicht verleugnete. Tatsächlich gelang die Fertigstellung einer Reihe von Vorserienexemplaren. Angetrieben wurden die skurrilen Vehikel von Einzylinder-Zweitaktmotoren mit entweder zweieinhalb, viereinhalb oder in der Super-Ausführung sechseinhalb PS. In einer Werbeanzeige verkündete Schüler: " Das Tropfen-Motorrad vereinigt alle Vorzüge des kleinen Wagens mit denen des Motorrades, ohne die Nachteile des Letzteren zu besitzen."

Das " neue Wahrzeichen Osnabrücks", wie Schüler es ohne falsche Bescheidenheit titulierte, fuhr tatsächlich, war allerdings schon von Weitem zu hören wegen der Klappergeräusche seines Blechkleids. Zu einer Serienfertigung kam es nicht, der wirtschaftliche Erfolg blieb aus. Schüler beschloss, sich wieder der Flugzeugkonstruktion zuzuwenden. Mit dem ersten Prototyp startete er am 10. Mai 1924 gegen 8 Uhr und flog etwa 20 Minuten. Beim Landeanflug auf die Netter Heide setzte der Motor aus, die Maschine streifte die Bäume am Rande der Heide und stürzte ab. Schüler entstieg den Trümmern unverletzt. Er hielt zunächst an seinem Plan fest, neben dem Flugzeugbau auch eine Flugschule einzurichten. Doch dann kamen Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten auf. Schüler war gezwungen, seine Pläne aufzugeben. Im Sommer 1924 verließ er Osnabrück.

Der Flugplatz Netter Heide erlebte in den folgenden Jahren seine verkehrsreichste Zeit. In den Jahren 1925 bis 1933 starteten von hier viersitzige Focke-Wulf " Möwe", später auch größere Linienmaschinen der " Luftverkehr Osnabrück G.m.b.H." und der " Deutschen Luft Hansa AG" etwa nach Dortmund und Frankfurt oder nach Bremen und Wangerooge. Adolf Hitler landete 1932 mit einer dreimotorigen Junkers JU 52, um eine Wahlkampfrede auf dem Klushügel zu halten. 1934 wurde der Flugbetrieb eingestellt. Die Wehrmacht übernahm das Gelände und begann mit dem Bau der Winkelhausen-Kasernen mitten auf der Start- und Landebahn.

Der 1914 von Ernst Friedemeyer gebaute Hangar gilt als der älteste erhaltene in Europa. Er überspannt eine Fläche von 600 Quadratmetern stützenfrei in der damals revolutionären Stahlbetonbauweise, sodass bis zu sechs Flugzeuge darin geparkt werden konnten. Der Hangar verlor nach 20 Jahren seine ursprüngliche Funktion. Er überlebte die Wehrmachtszeit, den Bombenkrieg, die britische Besatzung und, mehrfach verändert, auch die Nachkriegsjahre. Über viele Jahre nutzte ihn die Holzhandlung Bohlen & Sohn als Lager. Heute beherbergt er den Firmensitz der Tiefbaufirma Clausing. Erst mit der Zeit trat die Bedeutung des Bauwerks für die Architekturgeschichte, aber auch für die Stadtgeschichte und die Luftfahrthistorie ins allgemeine Bewusstsein. Firmenchef Christian Staub fühlt sich diesem Erbe verpflichtet. Sein Unternehmen wurde im vergangenen Jahr 90 Jahre alt. Aus diesem Anlass hat er die Süd- und die Ostfassade saniert und in einen optischen Zustand annähernd wie vor hundert Jahren zurückversetzt. Der Ostgiebel wird seitdem nachts von einer raffinierten Lichtinstallation in Szene gesetzt, die himmelwärts strahlt und an die große Vergangenheit des Gebäudes für die Osnabrücker Luftfahrt erinnert.

Bildtexte:
Das " Tropfen-Motorrad" auf einer Werbefotografie mit einem " Model" am Lenker. Die Erfindung des " Luftreeders" Max Schüler erblickte 1923 im Flugzeug-Hangar auf der Netter Heide das Licht der Welt.
Weitgehend in den Originalzustand zurückversetzt, dient das denkmalgeschützte Gebäude heute einer Tiefbaufirma als Reparaturhalle für ihren Maschinenpark.

Foto:
Joachim Dierks, Luftfahrthistorisches Archiv Martin Frauenheim
Autor:
Joachim Dierks


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