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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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aus Zeitung:
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Überschrift:
Täglich 800 Meter in Beton gegossen
Zwischenüberschrift:
November 1968: Osnabrück bekommt Autobahn-Anschluss – Der Streit um das Lotter Kreuz
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Die Schere wurde von allen Beteiligten zwar als Anachronismus empfunden, aber staatliches Handeln kommt nun mal nicht ganz ohne Symbole aus: Am 14. November 1968, und zwar genau um 12.58 Uhr, wie die Reporter notierten, durchschnitt Bundesverkehrsminister Georg Leber das weiße Band: " Ich gebe die Hansa linie für den Verkehr frei", sprach er anschließend in den Polizeifunk. Sein Vorgänger Seebohm hatte bei solchen Gelegenheiten immer nur mit der Schere hantiert.
Der Funkspruch wurde von Polizeibeamten und Autobahnmeistereien zwischen Münster und Neuenkirchen/ Vörden empfangen und war für die Männer das Signal, die letzten Sperren an den Zufahrten aufzuheben: " Sofort ergoss sich die erste Verkehrslawine in beiden Richtungen auf die neue Autobahn", so vermeldete anderntags die Neue Osnabrücker Zeitung unter der Überschrift " Freie Fahrt auf der BAB Hansalinie".
Wenn heute um die Notwendigkeit der A 33 Nord gerungen wird, lohnt sich ein Blick zurück. Denn der frostige 14. November 1968 war der vorläufige Schlusspunkt eines Ringens um eine angemessene Verkehrserschließung des Nordwestens der Bundesrepublik. Von einem " Jahrhundert-Erlebnis" sprach denn auch der IHK-Präsident Beckmann beim Empfang des Ministers im Rathaus, und deutete zugleich die weiteren Wünsche der Region an.
Aber zunächst noch einmal einige Szenen vom hohen Ministerbesuch am 14. November: Minister Georg Leber rauschte im Mercedes 280 S und mit Kradfahrer-Eskorte von Münster heran. In seinem Gefolge auch der NRW-Verkehrsminister. Am Lotter Kreuz trafen sie auf den niedersächsischen Minister für Wirtschaft und Verkehr, Karl Möller, sowie die Ministerkollegen aus Hamburg und Bremen. Man hielt sich offenbar nicht an Geschwindigkeitsbegrenzungen: Unterwegs ging durch Steinschlag eine erste Windschutzscheibe zu Bruch. Von Wallenhorst ging es zunächst zu einem Kurzbesuch ins Osnabrücker Rathaus, dann über die Lotter Straße wieder zur Anschlussstelle Gaste. Hier fand die offizielle Freigabe der Strecke statt. Die Schülerkapelle des Carolinums intonierte zur Begrüßung des Sozialdemokraten Leber ausgerechnet " Des Großen Kurfürsten Reitermarsch".
Die UNO plante mit
Die Streckenführung der Autobahn Hansalinie wir sprechen meist nur noch von der A 1 so wie von der A 7 oder der A 30, für die sich im Autobahn-Jargon der Name " Warschauer Allee" eingebürgert hat geht zurück auf den Fernverkehrsplan der NS-Zeit. Die Autobahn zwischen Hamburg und Bremen wurde von 1935 bis 37 gebaut. Sie blieb jedoch ein Torso, die Lücke von Bremen Ost bis Osnabrück und zum Kamener Kreuz erstreckte sich immerhin über 129 Kilometer nach Norden und 87 Kilometer Richtung Ruhrgebiet.
Das Lotter Kreuz oder korrekt das " Autobahnkreuz Osnabrück-Lotte", wie es damals noch etwas gequält hieß verdankt seine Entstehung letztlich einem Beschluss, der 1948 von einer Wirtschafts- und Verkehrskommission der Vereinten Nationen gefasst worden ist. Die UNO verabschiedete damals einen Plan der internationalen Fernverkehrsstraßen. Neben der Linie Stockholm– Hamburg–Köln wurde darin auch eine Achse London– Berlin–Moskau, eben die Europastraße E 8, festgelegt. In Osnabrück selbst hatte nach 1945 wie überall die Wiederherstellung der zerstörten Infrastruktur Priorität, sodass sich der gesamte Fernverkehr auf die Stadt zubewegte, dann auf dem durchweg noch zweispurigen Wallring um die historische Altstadt herumgeführt wurde und über die Bundesstraßen die Stadt wieder verließ.
Bei der Hansalinie gingen die Dinge schneller voran. Gerade mal fünf Jahre brauchten die Straßenbauer, um das Betonband durch die niedersächsisch-westfälische Tiefebene zu ziehen. Ende 1962 war die Teilstrecke Bremen Ost–Uphusen fertig, Mitte 1963 folgte das Teilstück bis Bremen–Brinkum, die südliche Umgehung von Bremen. Die Planfeststellungsverfahren für den Bau der Hansalinie müssen fast reibungslos verlaufen sein. Presseberichte etwa vom Ministerbesuch 1963 feiern den Stand der Planung euphorisch als " Durchbruch", dem nichts mehr im Wege stehe: " Die Marschrichtung ist angezeigt, sowohl von Bremen als auch von Kamen her."
Ausgerechnet dort allerdings, wo sich die Marschkolonnen vereinigen sollten, in Lotte nämlich, regte sich doch der Widerstand. Als Minister Seebohm im Sommer 63 die Trasse bereiste, wurde er mit Plakaten konfrontiert: " Von 1000 ha landwirtschaftliche Nutzfläche 100 ha Autobahn. Wir fordern Ersatzland. Dieses Kreuz drückt uns alle. Die Landwirtschaft ist empört!" Und zu guter Letzt: " Denken Sie an Lotte!"
Störrisches Landvolk
Im Jahr 1964 gibt es doch Konflikte mit dem Kreislandvolkverband, dem Minister Seebohm öffentlich " falsche Behauptungen" und Ausnutzung einer Machtposition, sogar die Bildung einer " geschlossenen Front" der Grundeigentümer vorwirft. Es klingt ein wenig so, als sei das moralisch verwerflich, weil doch diese neue Autobahn im nationalen Interesse entstehen solle. Mit einer solchen " Verzögerung um jeden Preis" sollten offensichtlich die Grundstückspreise in die Höhe getrieben werden. Immerhin wurden bislang bei 3172 Grundstücksverträgen nur sechs Enteignungen ausgesprochen.
Aber nicht nur mit dem störrischen Landvolk hat der Bundesminister zu kämpfen. Der Fernstraßenbau ist nämlich Ländersache. Und da sind die Prioritäten sehr ungleich verteilt, wenn es um Kosten und Nutzen geht. Zumal wenn die Baustelle eher am Rande liegt. Dazu das Osnabrücker Tageblatt: " Trotz betont guter Zusammenarbeit zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen scheint die E 8 daran zu kranken, dass sie im Grenzgebiet beider Bundesländer verläuft und die Initiative offenbar weder auf der einen noch auf der anderen Seite besonders groß ist." Wie viel Macht hat da ein Bundesverkehrsminister, der nur mit einer Schere bewaffnet ist?
Streit gibt es auch auf anderer Ebene: Im Sommer 1967 haben die Gemeinden Nahne, Voxtrup, Natbergen und Uphausen-Eistrup eine Koalition geschlossen und eine Verwaltungsklage gegen das Straßenneubauamt angestrengt. Sie wollen Lärmschutz und eine veränderte Streckenführung für den Anschluss der Autobahn an die zweispurige Umgehungsstraße in Richtung Belm erreichen. Die Behörde, so muss man dem Zeitungsbericht entnehmen, taktiert hinhaltend, die Gemeindevertreter fühlen sich " abgespeist". Aber irgendwie scheint man sich doch geeinigt zu haben. Im Sommer 67 und 68 entstehen die Brückenbauwerke für die A 30, hinter dem Heger Friedhof am Hakenhofholz wird Sand aufgespült, den ein Schwimmbagger aus dem Rubbenbruchsee hierher pumpt. Auf der Hansalinie werden zu dieser Zeit täglich 800 Meter Fahrbahndecke gegossen.
Im Juni 1968 ist Minister Leber in Osnabrück: Die Hansalinie soll nun definitiv am 14. November freigegeben werden. Die Europastraße E 8 wird zur Autobahn hochgestuft und damit auf ganzer Länge vierspurig ausgebaut. Zunächst soll die Strecke in Richtung Osten (Bad Oeynhausen), dann (ab 1971) Richtung Holland gebaut werden. Per Ministerentscheid musste dann noch eine hochwichtige Frage entschieden werden: Welchen Namen sollte das neue Autobahnkreuz von A 1 und A 30 bekommen? " Osnabrück West", wie es die Stadt Osnabrück gern gesehen hätte? Oder " Lotte", wie es die aufmüpfige Gemeinde in Nordrhein-Westfalen wollte? " Lotte-Osnabrücker-Kreuz" war in der Debatte, auch das " Autobahnkreuz Lotte/ Osnabrück". Minister Leber ordnete dann die Formulierung " Autobahnkreuz Lotte-Osnabrück" an. Alles Makulatur, möchte man heute sagen. Eingebürgert hat sich die kürzeste und prägnante Formulierung " Lotter Kreuz", nur der ADAC-Atlas spricht noch vom " Kreuz Lotte/ Osnabrück".
Und dann kam der 14. November 1968, an dem Minister Georg Leber den denkwürdigen Satz " Ich gebe die Hansalinie für den Verkehr frei" in das Funkgerät von Streifenwagen " Berta 1" sprach. Peinlich nur, dass die Stadt Osnabrück zu diesem Zeitpunkt über keinen einzigen funktionsfähigen Autobahnanschluss verfügte. An der Bramscher Straße wurde noch über Grundstücke verhandelt, Natruper Straße, Pagenstecherstraße und Wersener Straße wurden gerade überplant, die Martinistraße war im Ausbau begriffen. An der Rheiner Landstraße wurde gerade mal die Brücke für die A 30 gebaut, der Verkehr auf der B 65 deshalb über eine Behelfsstraße geführt. Der Ost-West-Fernverkehr quälte sich also weiter über den teilweise immer noch zweispurigen Innenstadtring. Die Stadt hatte zu spät reagiert. Erst 1971 war die E 8 (A 30) als Osnabrücker Südumgehung fertig.
Große Erwartungen
Aber dennoch. Mit einer Sonderbeilage feierte die Neue OZ die " Freie Fahrt auf der Hansalinie": 215 Kilometer war die Strecke zwischen Bremen-Ost und Kamen lang. Eine Milliarde Mark betrugen die Baukosten, zuletzt durchschnittlich fünf Millionen pro Kilometer. 70 Rastplätze und sechs Rasthöfe entstanden, 288 Brücken wurden gebaut. Die längste Brücke war die Talbrücke Exterheide mit 430 Metern im Teutoburger Wald. Von allen Seiten wurden große Erwartungen an die neue Autobahn formuliert: Handel, Transport, Gewerbe, Industrie, Tourismus, die " Verbindung zwischen den Zentren", so Minister Leber, solle mit ihrem " Verkehrswert" den Aufschwung bringen. Am schönsten formulierte diese Hoffnung ausgerechnet die Gemeinde Lotte, die doch zuvor so heftig Klage geführt hatte, weil sie zehn Prozent ihrer landwirtschaftlichen Nutzfläche aufgeben musste: " In Lotte befindet sich das Herzstück der , Hansalinie′, das Autobahnkreuz Lotte-Osnabrück, das mit Recht als Drehscheibe des Personen- und Güterverkehrs im niedersächsisch-westfälischen Raum bezeichnet wird. Lotte ist damit für diesen Bereich der Entwicklungsraum der Zukunft." Ob diese Hoffnungen sich bewahrheitet haben, bleibt offen. Eindrucksvoll sind allerdings die Frequenzzahlen und die Steigerungsraten, die sich bei den Verkehrszählungen der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr ergeben. Im Jahr der Einweihung passierten das Lotter Kreuz je nach Fahrtrichtung zwischen 4000 und 11 000 Fahrzeuge. Zu Anfang des 21. Jahrhunderts liegen die Frequenzzahlen über 70 000 Fahrzeuge pro Tag.

Bildtexte:
Das Kleeblatt: Bis zu 11 000 Fahrzeuge passierten 1968 täglich das Lotter Kreuz, heute sind es über 70 000 in jeder Richtung.
Staatsakt auf der Autobahn: An der Anschlussstelle Gaste auf der A 30 vollzog sich am 14. November 1968 nach langer Bauzeit die Freigabe der Autobahn " Hansalinie".
Erst die Schere, dann der Polizeifunk: Verkehrsminister Georg Leber bediente sich bei der Freigabe der A 1 erstmals moderner Nachrichtentechnik.
Fotos:
Archiv NOZ/ Kulturgeschichtliches Museum
Autor:
Frank Henrichvark
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