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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Haushalt 2010: Wo bleibt der Rettungsschirm?
Zwischenüberschrift:
Die Grenzen des Sparens – Ein Plädoyer für eine bessere Finanzausstattung der Kommunen
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Erst wenn das letzte Theaterlicht gelöscht, der letzte Jugendtreff geschlossen und die letzte Turnhalle vergammelt ist, werden die Regierenden in Berlin merken, dass man Steuersenkungen nicht auf Kosten der Kommunen machen kann.
Oberbürgermeister Boris Pistorius blickt grimmig auf den Poker in Berlin. Wenn dasWachstumsbeschleunigungs gesetz verabschiedet wird, das SPD-Ratsmitglied Nils Peters im Rat " Schuldenbeschleunigungsgesetz" nannte, dann werden wieder Lasten auf die Städte und Gemeinden zukommen, die diese längst nicht mehr schultern können. Im nächsten Jahr muss die Stadt ihr Girokonto um 56 Millionen Euro überziehen. Dieses Geld fehlt, um die laufenden Ausgaben für Löhne, Heizung oder Strom zu bezahlen. Mit den Lasten aus den Vorjahren wird die Stadt Ende 2010 ein Minus von über 150 Millionen Euro haben bei Gesamtausgaben von 450 Millionen. Die langfristigen Schulden für Investitionen von rund 75 Millionen kommen noch hinzu. Und wenn jetzt die Bundesregierung den Hoteliers eine Milliarde durch die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Übernachtungen schenkt, bleibt mindestens ein Viertel der Zeche an den Kommunen hängen. Die Länder feilschen mit dem Bund. Die Kommunen sind die zahlenden Zuschauer.
Pistorius hat genug davon. Der Oberbürgermeister fordert in einem Brandbrief einen " Rettungsschirm" für die Städte und Gemeinden. Die Kommunen würden " buchstäblich zerrissen zwischen den galoppierenden Kosten etwa im Sozialbereich und den Einnahmeausfällen" durch die Wirtschaftskrise. Pistorius weiter: " Über sinnvolle Investitionen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge brauchen wir nicht mehr zu diskutieren, weil wir nicht einmal mehr in der Lage sind, die Substanz zu erhalten. So diskutieren wir in Osnabrück beispielsweise über die Schließung der Stadtteilbibliotheken und anderer Einrichtungen. Wenn nicht schnell etwas passiert, geht den Städten die Luft aus."
Die Städte sind kaum noch Herr ihrer selbst. Nur über elf Prozent des Haushaltes kann der Rat frei verfügen. Das sind die freiwilligen Leistungen zum Beispiel die Zuschüsse für das Theater (etwa neun Millionen im Jahr), die Hilfen für die freien Kulturträger oder die Sportvereine. Alles andere ist fremdbestimmt durch die Gesetzgeber in Bund und Land. Weil der Bund etwa seinen Anteil an den Wohnungskosten von Hartz-IV-Empfängern um drei Prozent kürzt, muss die Stadt dafür einige Hunderttausend Euro mehr aufbringen. Bei den Sozialkosten schwimme die Stadt seit Jahren " drei Meter unter der Wasseroberfläche". Oder der (von allen gewollte) Ausbau der Kinderbetreuung: Der Bund beschließt, die Kommunen zahlen. Osnabrück bringt dafür jährlich 4, 5 Millionen Euro extra auf. Boris Pistorius erinnert auch gern daran, dass Osnabrück in den letzten zehn Jahren 140 Millionen Euro in den Fonds Deutsche Einheit eingezahlt hat.
Einfach das Theater schließen? Sollte die Stadt alle freiwilligen Leistungen stoppen (was das Ende des Theaters oder die Schließung der Gemeinschaftszentren bedeuten würde), könnte sie im nächsten Jahr 46 Millionen Euro sparen. Das würde aber nicht einmal reichen, um das Minus auf dem Girokonto auszugleichen.
Die Stadt ist finanziell so schwerfällig wie ein voll beladenes Riesenschiff, das einen Bremsweg von fünf Kilometern hat. Das Schiff muss immer mehr Ladung aufnehmen und wird dadurch immer schwerfälliger. Die Motorisierung reicht längst nicht mehr. Mit dem Herumreißen des Ruders erreicht der Kapitän auf die Schnelle gar nichts. Der Wendekreis ist viel zu groß. Der Stadtrat entzweite sich in der jüngsten Sitzung über die Frage, wer Schuld trägt an dieser Lage und wer verhindern kann, dass das Schiff auf ein tödliches Riff zusteuert. CDU und FDP sagen: Bund und Land sind auch verantwortlich, aber die Stadt muss selbst noch mehr sparen. SPD und Grüne sehen das genau andersherum: " Es ist wie auf der Titanic", sagte Grünen-Sprecher Michael Hagedorn, " oben feiern sie noch, und unten laufen alle um ihr Leben."
Entlassungen in der Stadtverwaltung? Markig die Forderungen der FDP: städtische Mitarbeiter entlassen. Die Verwaltung solle den Vertrag mit dem Gesamtpersonalrat über betriebsbedingte Kündigungen aufheben und Personal abbauen. Anteile an städtischen Tochtergesellschaften sollen gewinnbringend verkauft und die Kooperation mit anderen Kommunen und Institutionen im Blick haben die Liberalen auch eine Fusion der Stadt mit dem finanziell gesunden Landkreis verstärkt werden. Der OB solle mit der " Augenwischerei" aufhören und nicht immer nur Bund und Land für die Misere verantwortlich machen, sagt Thiele. Dass sich die FDP damit keine Freunde macht, liegt auf der Hand. Frank Hennig (SPD) schleuderte dem FDP-Sprecher Thomas Thiele im Rat entgegen: " Die FDP macht in Berlin Steuersenkungspolitik und wer soll das ausbaden: die Mitarbeiter der Verwaltung."
Ein " Geschmäckle" hat SPD-Sprecher Ulrich Hus auf der Zunge, wenn er an die 600 Millionen Euro denkt, die das Land der Stadt durch eine Reform des Länderfinanzausgleichs in den letzten fünf Jahren vorenthalten habe: " Erst weist die Landesregierung uns weniger Geld zu, und anschließend ist sie für die Genehmigung unseres Haushalts zuständig."
Bringt das Sparen überhaupt noch etwas? 4, 6 Millionen umfasst das Sparpaket, das die Verwaltung dem Stadtrat vorgelegt hat. Das ursprüngliche Ziel von zehn Millionen ist weit verfehlt. An der Bildung wird nicht gespart, dafür soll zum ersten Mal der Kulturbereich Einbußen hinnehmen. Es trifft vor allem die freie Kultur, die Debatte gewinnt an Temperatur. Selbst wenn es gelänge, ab 2013 rund eine halbe Million Euro im Kulturbereich einzusparen was wäre das im Vergleich zum mutmaßlichen Minus von über 250 Millionen Euro? Wohl nicht mehr als der Flossenschlag eines Delfins vor dem Bug des Riesenschiffs.
Warum sollten sich die Ratsmitglieder also den zermürbenden Streit mit den Betroffenen antun? Das Sparen bringt doch ohnehin nichts oder? Pistorius macht eine andere Rechnung auf: Jeder Euro, der jetzt nicht ausgegeben wird, spart über die Jahre viele Euro an Zinsen. Darin liege der Gewinn und der Sinn der schwierigen Spardebatte.
Im März soll der Haushalt 2010 verabschiedet werden. Es steht den Ratsmitgliedern wieder einmal ein nervenraubender Streit um kleine und kleinste Beträge bevor. Was sollen sie auch sonst tun? Dass Berlin tatsächlich einen Rettungsschirm für die systemrelevanten Kommunen spannt, ist nicht zu erwarten. Man müsste ja eingestehen, dass in den letzten Jahrzehnten einiges schief- gelaufen ist bei der Finanzausstattung der Städte und Gemeinden.

Bildtext: Die Reißleine würden die Kommunen gerne ziehen, wenn es denn wenigstens einen kleinen Rettungsschirm gäbe. Aber was den Banken gewährt wird, steht Städten wie Osnabrück nicht zu obwohl sie sich finanziell im freien Fall befinden. Foto: Archiv
Autor:
Wilfried Hinrichs


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