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NUSO-Archiv - Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
Umweltgeschichtliches Zeitungsarchiv für Osnabrück
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Erscheinungsdatum:
aus Zeitung:
Inhalt:
Überschrift:
Erwin Lindemann und der Biomüll
Zwischenüberschrift:
Als Zeitungsredakteur beim Casting im Fernsehstudio – ein Erfahrungsbericht
Artikel:
Kleinbild
Originaltext:
Osnabrück. Ich heiße Erwin Lindemann, habe im Lotto gewonnen, und meine Tochter eröffnet nächste Woche eine Herrenboutique in Wuppertal. So wie Loriots Witzfigur muss ich immer wieder von vorne anfangen. Ich habe mich auf ein Casting bei os1.tv eingelassen. Mit Herzklopfen.
Von Rainer Lahmann-Lammert
Osnabrück. Frisch geduscht trete ich ein. Weil ich am Vormittag mit der Müllabfuhr unterwegs war. Und weil mir im Torfwerk Schwegermoor etwas auf den Kopf gerieselt ist. Biomüll, und was da alles drin ist, das da nicht reingehört. Mein Thema für eine Reportage in der Neuen Osnabrücker Zeitung. Und mein Einstieg in die Welt des Fernsehens.
Casting, das Wort schmeckt nach Dieter Bohlen. Ich habe mich gefragt, ob ich mir das überhaupt antun soll, als schreibender Redakteur. Ich wollte noch nie Tagesschausprecher werden, und wenn ich bei Terminen auf Fernsehleute stoße, schüttele ich nur den Kopf, warum sie zehn Stunden drehen, um drei Minuten zu senden.
Ich habe mich zum Casting angemeldet, ich bin der Delinquent. Ein Opfer meiner Neugier. Und meiner Eitelkeit. Vielleicht, so flüstert mir mein Ego ein, muss ich ja nur entdeckt werden. Und alle Herzen fliegen mir zu. So ein Blödsinn, kontert mein Verstand, du machst dich lächerlich in aller Öffentlichkeit!
Dann läuft es doch ganz entspannt ab. Von Claudia Puzik habe ich nichts zu befürchten als fürsorgliche Aufmerksamkeit. Sie ist die Chefin von os1.tv, sie richtet ihre Stativkamera auf mich. Aber sie versteckt sich nicht dahinter, sondern hält den Blickkontakt. Für einen DSDS-Kandidaten wäre das Wellness. Ich hingegen mache mir das Leben schwer, indem ich jedes Wort auf die Goldwaage legen und trotzdem locker erzählen will.
Aber ich komme langsam in Fahrt, das Mikrofon in der Hand, den Blick auf das schwarze Objektiv gerichtet. Angespornt durch Claudia Puziks fröhliche Aufmunterung, erzähle ich, dass ich schon mit dem Doppelnamen zur Welt gekommen bin. Dass ich schon Redakteur war, als die Zeitung noch im Bleisatz hergestellt wurde. Und dass ich für ein paar Stunden den Müllsündern auf der Spur war.
Ich bin schon mittendrin, bei den Störstoffen in der braunen Tonne und bei den Menschen, die diesen Dreck am Band aussortieren müssen. Auf einmal stoppt Frau Puzik meinen Redefluss: " Wir fangen noch mal an." Ich soll erst sagen, wer ich bin und was ich mache, dann die Geschichte. " Und kommen Sie mal näher zur Kamera!"
Während ich einen Schritt vortrete, werde ich gewahr, dass ich auch von der Seite gefilmt werde. Mit einer handlichen Digicam hält Studioleiter Thomas Sperschneider fest, wie ich den Wickert mache. Jetzt bin ich drin in der Mühle. Aber es fühlt sich an, als wäre nichts dabei.
Klappe, die zweite: " Ich heiße Rainer Lahmann-Lammert, ich bin Redakteur in der Stadtredaktion der Neuen Osnabrücker Zeitung . . ." Stop. Ebenso fröhlich wie energisch fällt mir die Chefin ins Wort, ich kann es ihr gar nicht übel nehmen: " Fangen Sie an mit , Herzlich willkommen auf os1.tv!′"
Dritter Versuch, ich erkenne mich selbst nicht wieder. Wie ein Automat spule ich herunter, was ich am Vormittag gesehen habe. Welchen Dreck manche Zeitgenossen den Müllsortierern zumuten, welche Ausmaße das in bestimmten Vierteln annimmt und wie viele Tonnen dieser ekligen Fracht nutzlos hin- und hergefahren werden müssen. Ohne einen Versprecher komme ich bis zum Ende. Aber es fehlt der knackige Akzent, die Pointe, der Hinweis auf die Zeitung von morgen.
Also noch einmal die Klappe. Unfallfrei schaffe ich die ersten Sätze. Dann höre ich mich sagen: " Ich habe in den braunen Tonnen auch elektrische Geräte angetroffen und sehr viel Plastikmüll . . ." Moment mal angetroffen? Seit wann treffe ich mich mit ausrangierten Kaffeemaschinen in schummerigen Müllcontainern? Ich komme ins Stottern, verhaspele mich und muss noch mal von vorn anfangen.
Langsam begreife ich, was Erwin Lindemann passiert ist, mit dem Loriot meine Geschichte vorweggenommen hat. Aber nein, beruhigt mich Frau Puzik, " das war klasse!". Sie zoomt mein Gesicht heran und gibt dazu ihre Kommentare ab: " So schön kantig", sagt sie, " ein Charakterkopf, und so authentisch!" Das hat mir noch nie eine Frau gesagt.
Ich versuche es noch einmal und laufe zur Hochform auf. Erst das " Herzlich willkommen", dann die ganze Biomüll-Geschichte, und zum Schluss der Satz: " Lesen Sie meine Reportage morgen in der Neuen Osnabrücker Zeitung. Ich verrate Ihnen auch, wo es am schlimmsten ist!"
Das ist es, was die Fernsehleute hören wollten. " Klasse", höre ich, " sehr gut". Sie strahlen, und mir fällt ein Stein vom Herzen. Hat ja gar nicht wehgetan, denke ich und kehre beschwingt an meinen Schreibtisch zurück. Es bleibt dabei, dass ich lieber schreibe als in die Kamera zu sprechen. Aber hin und wieder ein Anreißer fürs Internetfernsehen warum nicht?

Bildtext: Der Delinquent hält das Mikrofon: Zeitungsredakteur Rainer Lahmann-Lammert (links) beim Casting für os1.tv mit Studioleiter Thomas Sperschneider und Geschäftsführerin Claudia Puzik. Foto: Moritz Münch
Autor:
Rainer Lahmann-Lammert


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